Inflationsbekämpfungspaket: Kommt Deutschland so aus der fossilen Energiekrise?
Agora Energiewende legt Plan vor, um fossile Energiekrise strukturell zu überwinden und den Klimaschutz zu stärken.
Zuletzt forderten die Klima-Aktivisten von Fridays for Future ein Investitionspaket von 100 Milliarden Euro für mehr Klimaschutz. War die Forderung relativ unkonkret, bringt nun Agora Energiewende in die Bresche. Der Think Tank schlägt unmittelbar vor der Weltklimakonferenz COP27 ein Inflationsbekämpfungspaket im Umfang von 92 Milliarden Euro vor – und meint damit im Kern eine Investitionsoffensive in Erneuerbare Energien, Energieeffizienz sowie strombasierte Technologien in Industrie und Gebäuden. Kommt Deutschland so aus der fossilen Energiekrise?
Mit einer solchen Investitionsoffensive kann Deutschland die fossile Energiekrise nach Auffasung der Agora Energiewende strukturell überwinden und zugleich seine Ausgaben für Gas- und Öl-Importe massiv senken. Das Inflationsbekämpfungspaket soll Herstellungs- und Umsetzungskapazitäten für klimaneutrale Technologien deutlich ausweiten, bürokratische Hürden drastisch abbauen und eine sozialgerechte Förderung sowie die Absicherung von Investitionen finanzieren.
Aus der neuen Studie der Agora Energiewende geht hervor, dass sich ein solches Maßnahmenpaket durch die eingesparten Ausgaben für fossile Energieimporte vollständig selbst tragen würde: Den erforderlichen Haushaltsmitteln stehen Einsparungen bei Öl- und Gasimporten in Höhe von 160 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 15 Jahren gegenüber.
Mit Energieeffizienz, Erneuerbaren Energien und dem konsequenten Einstieg in die Kreislaufwirtschaft können wir fossile Energieimporte dauerhaft ersetzen und bezahlbare Energiepreise sichern. Unser Maßnahmenpaket hat eine dreifache Wirkung – für Klimaschutz und Energiesicherheit und gegen die Inflation.
Simon Müller, Direktor Deutschland von Agora Energiewende
Die bisherigen Politikmaßnahmen zielen überwiegend auf schnelle Entlastungen für Haushalte und Industrie ab – wie zuletzt auch die Vorschläge der Gas-Kommission. „Aktuell konzentriert sich die Bundesregierung auf das Krisenmanagement, um die kurzfristigen Folgen der fossilen Energiekrise über Entlastungspakete abzufedern. Angesichts der drastischen Preissteigerungen ist das richtig und wichtig. Um die fossile Energiekrise jedoch tatsächlich zu überwinden, müssen wir jetzt die Investitionen auf den Weg bringen, die unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen beenden“, sagt Müller.
Für eine strukturelle Krisenbekämpfung sorgt laut dem Inflationsbekämpfungspaket ein Zusammenspiel von finanziellen Mitteln für klimaneutrale Technologien einerseits und dem Aufbau von Herstellungs- und Umsetzungskapazitäten sowie dem Abbau bürokratischer Hürden andererseits. Die Erweiterung der Umsetzungskapazitäten bei Herstellern, im Handwerk und bei Behörden erhöht das Angebot an klimaneutralen Technologien und ist die Voraussetzung, um eine gesteigerte Nachfrage bedienen zu können. Der Abbau bürokratischer Hürden beschleunigt die Transformation und senkt die Kosten.
Durch die Kombination von Finanzmitteln und Politikinstrumenten würde ein massiver Hochlauf von Erneuerbaren Energien, klimaneutraler Wärme, Energie- und Rohstoffeffizienz in der Energiewirtschaft, Industrie und Bauwirtschaft ermöglicht sowie der Verbrauch von fossilen Energien strukturell reduziert. In der Folge würden die Energiepreise in Deutschland wieder dauerhaft sinken.
„Wir müssen jetzt alle Signale auf Transformation stellen. Damit wir die neue Dynamik auslösen, brauchen wir sowohl finanzielle Mittel und Umsetzungskapazitäten als auch regulatorische Klarheit“, sagt Müller.
- Das Inflationsbekämpfungspaket veranschlagt 15 Milliarden Euro, um die Umsetzung – Herstellung, Fachkräfte und Behörden – der Energiewende zu stärken: Zwei Drittel des Betrags ist für den Aufbau von Fertigungskapazitäten für Windkraftanlagen, PV-Anlagen, Wärmepumpen, Wasserstoff-, Speicher- und Stromnetztechnologien in Europa vorgesehen; ein Drittel zur Stärkung der Fachkräfte sowie Planungs- und Genehmigungsbehörden. Auf diese Weise wird die Umsetzung beschleunigt und Lieferketten werden abgesichert.
- 20 Milliarden Euro sollen in die Energiewirtschaft fließen, um Investitionen in Erneuerbare Energien abzusichern, das Strom- und Wasserstoffnetz auszubauen, die Offshore-Industrie zu unterstützen und einen intelligenten Netzbetrieb sowie Flexibilitäten zu schaffen, etwa mit Zuschüssen für Smart-Meter Nachrüstungen oder dem Bau von regelbaren Kraftwerken. Zudem schlägt die Studie die Absicherung langfristiger Stromlieferverträge vor: Über die Einführung einer symmetrischen Marktprämie kann Anlagenbetreibern eine feste Einspeisevergütung garantiert, aber zugleich ab einem bestimmten Gewinn auch eine Rückzahlung eingefordert werden. Ebenso sollen Flächen für Windkraft- und PV-Anlagen schneller gesichert und Antragsverfahren verkürzt werden.
- 30 Milliarden Euro sieht das Paket vor, um den Ausbau CO₂-freier Wärme in Häusern sozial gerecht voranzubringen: Die Mittel sollen in die Förderung von Sanierung und Heizungstausch, insbesondere für einkommensschwache Haushalte, in einen klimakompatiblen sozialen Wohnungsbau sowie für den Ausbau grüner Wärmenetze fließen. Auf regulatorischer Ebene sollen verbindliche Sanierungspfade und die zügige gesetzliche Festschreibung der 65-Prozent-Anforderung, nach der ab 2024 jede neue Heizung auf Basis von 65 Prozent Erneuerbaren Energien betrieben werden muss, die Transformation im Wärmebereich beschleunigen.
- 15 Milliarden Euro sind für eine Modernisierung der Industrie gedacht. Hieraus soll ein Sonderförderprogramm für Investitionen in Wärmepumpen, Elektrodenkessel und Energieeffizienztechnologien, etwa zur Abwärmenutzung oder fortschrittliche Sortier- und Recyclingtechnologien bereitgestellt werden. Weitere Mittel werden zur Finanzierung von Klimaschutzverträgen für die Stahl-, Chemie und Zementindustrie veranschlagt, mit denen die Differenzkosten von klimafreundlicher gegenüber der CO₂-intensiven Produktion abgesichert werden. Zusätzlich sollte ein gesetzlicher Rahmen die industrielle Wärmewende unterstützen, indem etwa durch Quoten Absatzmärkte für klimafreundliche Grundstoffe geschaffen werden.
- Einen weiteren Posten von 12 Milliarden Euro sieht das Maßnahmenpaket zur Inflationsbekämpfung für die Sicherung von Energieimporten und die Unterstützung der globalen Transformation vor: So soll der schnelle Hochlauf von grünen Wasserstoff-Importen finanziert und zugleich sollen internationale Klima- und Energiepartnerschaften gestärkt werden.
„Wir brauchen jetzt eine strategische Neuaufstellung für den Hochlauf von Zukunftstechnologien. Nur so sichern wir unseren Wirtschaftsstandort und führen das Land gestärkt in die neue Energiezukunft“, sagt Müller. „Jedes Windrad, jede PV-Anlage und jede Wärmepumpe bringt uns einen Schritt näher an die Unabhängigkeit von fossilen Energieimporten und stellt sicher, dass sich Deutschland und Europa als zentraler Markt für Zukunftstechnologien etablieren.“
Der Impuls „Volle Leistung aus der Energiekrise – Mit Zukunftsinvestitionen die fossile Inflation bekämpfen“ enthält ein Inflationsbekämpfungspaket zur Überwindung der fossilen Inflation und Energiekrise in Deutschland und Europa. Die 55-seitige Publikation (Download) enthält zudem eine ausführliche Dokumentation der seit Kriegsbeginn beschlossenen Maßnahmen zur Krisenbewältigung.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.