Netzausbau: Übernimmt die Bundesregierung das deutsche Stromnetz von TenneT?
Mit der Übernahme der Nord-Süd-Regelzone müsste Deutschland selbst in Stromnetz-Erdtrassen Südlink und Südostlink investieren.
Der Netzausbau in Deutschland hinkt seit Jahren hinter den Notwendigkeiten der Energiewende hinterher. Das gilt auch für die Stromnetz-Erdtrassen Südlink und Südostlink, die Strom durch das Netzgebiet des Übertragungsnetzbetreibers TenneT nach Bayern bringen sollen. Der Plan, mindestens eine der beiden Stromautobahnen rechtzeitig zur Abschaltung der letzten Atomkraftwerke fertig zu haben, ist gescheitert. Jetzt wird öffentlich: Das niederländische Staatsunternehmen kann die hohen Kosten von 15 Milliarden Euro für das Stromnetz nicht stemmen – und will das Deutschland-Geschäft an die Bundesregierung verkaufen.
Das machte TenneT heute öffentlich. Die Bundesregierung, die bereits Uniper übernommen hat, wird dem Vernehmen nach ein Angebot übersenden, denn sie begrüßt die Bereitschaft des Stromnetz-Betreibers aus den Niederlanden, das Deutschland-Geschäft zu verkaufen. Der niederländische Staat hat kein Interesse daran, das Unternehmen bei der Finanzierung der deutschen Stromautobahnen zu unterstützen – jetzt wird aller Wahrscheinlichkeit nach Deutschland selbst die Investitionen in Höhe von geschätzt 15 Milliarden Euro übernehmen.
Ziel der Neuaufstellung ist es aus Sicht von TenneT, zwei starke, nationale Akteure zu schaffen, die beim Vorantreiben der Energiewende zusammenarbeiten. Der Übertragungsnetzbetreiber ist zu 100 Prozent in Staatsbesitz – die Entscheidung der Regierung der Niederlande bezüglich des Verkaufs des Deutschland-Geschäfts steht aber noch aus.
TenneT will mit Bund verhandeln
Gelingt es dem Bund, seine deutschen Leitungen zu für TenneT akzeptablen Bedingungen zu kaufen, geht der Trend zur Nationalisierung der Energieversorgung weiter. Da das Stromnetz eine ganz zentrale Bedeutung im Rahmen der Energiewende spielen, ist es aus Sicht des deutschen Staates vorteilhaft hier weniger Abhängigkeit und mehr Kontrolle zu haben. Auch, um die Digitalisierung und damit den Ausbau zum Smart Grid zu vereinfachen.
Schon im November 2022 hatte die deutsche Regierung Interesse an einem solchen Deal verdeutlicht. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck betonte damals, einen solchen Weg zu gehen, könnte für die Bundesregierung „attraktiv“ sein. Jetzt zeichnet sich ab, dass es tatsächlich so kommen wird und das Stromnetz dann im Wesentlichen in deutscher Hand sein wird.
TenneT: Bedeutsame Nord-Süd-Regelzone
Das Unternehmen aus den Niederlanden ist einer der vier Übertragungsnetzbetreiber hierzulande, dessen Regelzone besonders groß ist und besonders viel Beachtung findet. Denn diese reicht von der niedersächsischen Küste im Nordwesten bis tief in den Südosten Bayerns. Amprion ist überwiegend im Westen, 50Hertz im Osten und TransnetBW in Baden-Württemberg für die jeweilige Stromnetz-Regelzone verantwortlich.
Der Bau der seit fast einer Dekade angepeilten Nord-Süd-Trasse „Suedlink“ hat sich unter anderem durch jahrelange Blockade Bayerns und Streitigkeiten zwischen dem damaligen Ministerpräsident Horst Seehofer und dem Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel verzögert. Besonders kritisch ist es, weil die Stromautobahn fertig sein sollte, wenn die letzten Atomkraftwerke vom Netz gehen. Das geschieht nun am 15. April 2023 – aber die unter hohem Kostenaufwand in die Erde verlegte Trasse wird frühestens 2027 fertig.
In den kommenden Tagen will TenneT darüber hinaus den exakten Erdtrassen-Verlauf der zweiten Stromautobahn Südostlink bekanntgeben, wie der BR berichtet. Nächster Schritt sind danach die Übergabe an die Bundesnetzagentur und die Einbeziehung der Bürger. Südostlink führt aus dem Nordosten bis nach Niederbayern. Die Stromautobahn sollte sich bereits im Bau befinden – nun ist 2027 als Fertigstellungstermin angepeilt.
Mittlerweile sind die Stromnetze in Bayern und Baden-Württemberg immer häufiger am Limit. Erst kürzlich berichtete der Bayerischer Rundfunk darüber, dass mittelgroße PV-Anlagen in einer Region nicht mehr ans Netz gehen kann.
EnBW sucht für TransnetBW Investoren
Die Verstaatlichung der deutschen Netze ist mit der Nachricht rund um TenneT in vollem Gange. Reuters meldete kürzlich, die staatliche Bank KfW werde ein Minderheitspaket von 24,95 Prozent am Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW übernehmen. An 50Hertz ist die KfW derzeit mit 20 Prozent beteiligt.
Ob Deutschland das Stromnetz wirklich auf Dauer besitzen und eine Art Deutsche Netzgesellschaft ins Leben rufen würde, wenn die Veräußerung der Regelzone funktioniert, ist aber unklar. Denn es liegt grundsätzlich nicht im Interesse und im Gestaltungsbereich des Staates, ein solches Unternehmen zu führen. Die Gefahr besteht, dass Innovationskraft verloren geht – und das wäre ein großer Nachteil für die Energiewende.
Andererseits wird ein deutsches TenneT erst dann für Investoren attraktiv, wenn die beschriebenen Stromautobahnen vollständig auf den Weg gebracht sind. Hier kann das Bundeswirtschaftsministerium übergangsweise als Unterstützer und Vermittler tätig werden – um auch in diesem Segment des energiewirtschaftlichen Umbaus eine Beschleunigung hinzubekommen.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.