Hochwasser als Weckruf: Extremwetter zwingt Menschen in die Knie, Politik schaut weg
Klimaschutz ist auch Migrationspolitik – aber Politiker wie Friedrich Merz überhöhen die Flüchtlingskrise, ignorieren die Klimakrise.
Es sind Bilder und Erzählungen, die sich ins Gedächtnis brennen: Meterhohe Wassermassen, die Straßen und Häuser in Osteuropa verschlingen. Menschen, die verzweifelt von ihren Verlusten berichten. Das jüngste Hochwasser, befeuert durch den Klimawandel und die Erderhitzung, ist ein erschütternder Beweis unserer Verletzlichkeit. Es ist ein Weckruf, der uns zum Handeln zwingen sollte, um die Klimakatastrophe aufzuhalten. Doch während die Auswirkungen des Klimawandels immer deutlicher werden, dominiert die Migrationspolitik die politische Agenda. Eine paradoxe Situation, die wir ändern müssen, bevor es zu spät ist.
Das Hochwasser in Osteuropa hat seit vergangener Woche mindestens sieben Todesopfer gefordert. Unzählige Menschen haben ihr Hab und Gut verloren – Teile Österreichs und Polens wurden zum Katastrophengebiet erklärt. Wegen akuter Überflutungsgefahr sind in Ostrava, der drittgrößten Stadt Tschechiens, Evakuierungen ausgeweitet worden. Auch in Rumänien haben die Wassermassen heftig gewütet. Das ganze Ausmaß der Katastrophe ist derzeit noch gar nicht abzusehen.
Trotzdem werden kaum politische Konsequenzen diskutiert. ZEIT-Autor Bernd Ulrich schreibt von einem fatalen Paradox: Je schlimmer die Klimakrise zuschlägt, desto brutaler das Rollback in der Klimapolitik. Er bringt auf den Punkt, was derzeit der politischen Agenda in Deutschland vollkommen fehlt: Klimaschutz. Denn politische Kräfte haben im Zusammenspiel mit viel medialem Tamtam entschieden, die längst wieder sinkenden Flüchtlingszahlen in den Mittelpunkt zu rücken – und nicht das Hochwasser.
Klimaschutz ist auch Migrationspolitik
Dabei gibt es ein weiteres Paradox: Migrationspolitik zu debattieren, ohne Menschenschutz vor der Klimakatastrophe zu betreiben, ist absurd falsch. Laut Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC) haben 2023 rund 26,4 Millionen Menschen ihre Heimat aufgrund von Katastrophen und klimabedingten Ereignissen wie Dauerregen, langanhaltenden Dürren, Hitzewellen und Stürmen sowohl kurz- als auch langfristig verlassen müssen – das ist die höchste Zahl seit einem Jahrzehnt.
UN-Generalsekretär Antonio Guterres warnte schon 2009: „Der Klimawandel könnte zum Hauptfluchtgrund werden. Er verstärkt den Wettstreit um die Ressourcen – Wasser, Nahrungsmittel, Weideland – und daraus können sich Konflikte entwickeln.“ Extremwetter oder Hochwasser zwingt Menschen in die Knie, Politik schaut weg.
Bis 2050 werden – je nach Prognose – zwischen 200 Millionen und 1,2 Milliarden Menschen gezwungen sein, vor vernichtenden Hitzewellen und dem steigenden Meeresspiegel in andere Teile ihres Landes oder sogar ins Ausland zu flüchten, weil sie sonst um Leben und Besitz fürchten müssen. Doch der globale Norden schaut weg.
Das Hochwasser in Osteuropa sowie in Sachsen, Brandenburg und Bayern ist ein Weckruf, den wir nicht ignorieren dürfen. Es ist Zeit, dass die Politik handelt und den Klimaschutz zur obersten Priorität macht. Denn nur so können wir die Klimakatastrophe aufhalten und eine lebenswerte Zukunft für alle sichern.
Aber speziell der wahrscheinliche Kanzlerkandidat, Friedrich Merz, schweigt zur Klimakrise und überhöht weiterhin die Migrationsthematik. Um 12 Uhr Montag Mittag postete sein Team auf X nicht etwa Worte des Dankes an das THW oder des Bedauerns über mindestens sieben Tote durch das Hochwasser und die sintflutartigen Regenfälle in Osteuropa, sondern wiederholte die Behauptung, man spreche „über eine echte Notlage.“
Zum selben Zeitpunkt äußert der viel kritisierte, aber glücklicherweise besonnene Bundeskanzler Olaf Scholz seine Bestürzung über die Bilder und erklärt: „Wir stehen für Hilfe bereit.“ Aber folgen daraus mehr Maßnahmen für Klimaschutz? Wahrscheinlich nicht.
Diese ohrenbetäubende Leere vieler Politiker im Hinblick auf die Klimakrise ist verheerend. Die Wissenschaft macht deutlich: Die Zunahme der Extremwetterereignisse in diesem Jahr ist keineswegs das „neue Normal“, sondern vielmehr der Teil eines dynamischen Prozesses, der zukünftig zu weit größeren Auswirkungen führen wird.
Hochwasser als Weckruf: Jetzt ist Handeln gefragt!
Es braucht jetzt vielfältige Maßnahmen, damit Hochwasser als Weckruf nicht wieder der Ignoranz mancher Politiker zum Opfer fällt. Es ist höchste Zeit, dass wir uns nicht nur an die Folgen des Klimawandels anpassen, sondern auch dessen Ursachen bekämpfen. Hunderttausende Deutsche werden in den kommenden Jahren von einem Hochwasserereignis betroffen sein – und das ist laut einer Studie die vorsichtige Prognose.
Forscher des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung prognostizieren hohe Einkommensverluste durch den Klimawandel, insbesondere in Nordamerika, Europa, Südasien und Afrika. Diese Verluste werden durch verschiedene wirtschaftliche Auswirkungen des Klimawandels verursacht, wie z.B. geringere landwirtschaftliche Erträge, verminderte Arbeitsproduktivität und Schäden an der Infrastruktur. Die geschätzten jährlichen Schäden im Jahr 2050 belaufen sich weltweit auf rund 38 Billionen Dollar.
Laut Umweltbundesamt sind seit 2014 fast 80 Prozent der Kommunen von Extremwetter betroffen.
Die Fakten zeigen: Handeln ist gefragt – jetzt. Und das nicht nur von und durch die Politik, sondern durch uns alle:
Am Freitag, 20. September, ruft Fridays for Future zum nächsten globalen Klimastreik auf. Hingehen und laut sein, lautet die Devise.
Wir müssen unsere Infrastruktur widerstandsfähiger machen, indem wir Dämme und Deiche verstärken und wassersensitive Stadtplanung betreiben. Frühwarnsysteme müssen ausgebaut werden, um Menschenleben zu schützen.
Gleichzeitig ist die weiterhin entschlossene Energiewende unabdingbar, um die Erderhitzung zu begrenzen. Der Ausbau erneuerbarer Energien, mehr Energieeffizienz, die Wärmewende mit Wärmepumpen und Fernwärme sowie die saubere Verkehrswende sind zentrale Bausteine auf diesem Weg.
Doch nicht nur technische Lösungen sind gefragt. Wir müssen das Bewusstsein für die Klimakrise schärfen und die Menschen dazu befähigen, aktiv am Klimaschutz mitzuwirken. Bildung, Aufklärung und die Einbindung der Bürger in Entscheidungsprozesse sind dabei entscheidend. Nur gemeinsam können wir diese Herausforderung meistern und eine lebenswerte Zukunft für alle sichern.
Es braucht jetzt mehr denn je Zusammenhalt und Vernetzung untereinander, um als aufgeweckte Zivilgesellschaft ins Handeln gegen die Klimakrise zu kommen. Es braucht Druck, damit endlich milliardenschwere, fossile Subventionen abgeschafft werden. Es braucht Druck, damit rückwärtsgewandte Kräfte keine Chance mehr haben, den Rollback in der Klimapolitik zu bewirken. Druck von der Straße, Druck im Internet, Druck im Dialog mit Entscheidungsträgern.
Packen wir es an, damit das Hochwasser ein Weckruf zur gerade noch rechten Zeit gewesen ist.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.