Achtung Desinformation: Wie Tichys Einblick mit Müllgeschichten die Energiewende torpediert
Tichys Einblick, ein Medium, das sich selbst im konservativ-liberalen Spektrum verortet, aber regelmäßig durch rechtspopulistische Tendenzen und eine aggressive Rhetorik gegen die Energiewende auffällt, schlachtet einen Müllskandal in Tschechien genüsslich aus. Die Schlagzeile vom 26. Januar 2025: „Windräder ohne Entsorgung – Deutscher Windkraftschrott in Tschechien verklappt“. Der Tenor: Die Energiewende sei eine ökologische Katastrophe, und jetzt komme auch noch der Müll-GAU dazu. Doch bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass Tichys Einblick die Fakten verzerrt und mit Halbwahrheiten arbeitet, um Stimmung gegen die Windkraft zu machen.
Der Fall: Müll aus Weiden in Tschechien
Tatsächlich gab es illegale Mülltransporte aus Weiden in der Oberpfalz nach Tschechien. Das berichtete das seriöse Medium Euractiv Czechia am 21. Januar 2025, und auch deutsche Medien griffen den Fall auf. Es ging um Glasfaserabfälle, die offenbar von einem deutschen Unternehmen als Kunststoffabfall deklariert und illegal nach Tschechien gebracht wurden. Die tschechischen Behörden ermitteln, und es ist noch unklar, wer genau für den Skandal verantwortlich ist.
Tichys Einblick: Stimmungsmache statt Aufklärung
Während seriöse Medien wie Euractiv Czechia den Fall sachlich schildern, nutzt Tichys Einblick ihn für eine Generalabrechnung mit der Energiewende. Der Autor Georg Etscheit zeichnet ein düsteres Bild: Windräder verschandeln die Landschaft, gefährden die Energieversorgung, töten Vögel und bringen für das Klima nichts. Und jetzt auch noch der Müll! Etscheit suggeriert, dass die illegalen Mülltransporte nach Tschechien nur die Spitze des Eisbergs sind und dass riesige Mengen an Windradschrott unkontrolliert in der Welt entsorgt werden.
Verzerrungen und Halbwahrheiten
Tichys Einblick arbeitet mit verschiedenen Mitteln der Desinformation:
- Dramatisierung: Die „30.000 Windkraftwerke“, die angeblich die Landschaft verschandeln, werden ohne Kontext präsentiert. Dass Windkraft einen immer größeren Anteil am deutschen Strommix hat und aktiv zum Klimaschutz beiträgt, wird verschwiegen.
- Cherry Picking: Etscheit zitiert selektiv aus Studien und Berichten, um seine Thesen zu stützen. So wird etwa die Aussage des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages, dass das Recycling von Rotorblättern „nur schwer“ möglich sei, als Beweis für die Unmöglichkeit des Recyclings präsentiert. Dass es aber durchaus etablierte Recyclingwege gibt, etwa in der Zementindustrie, wird nur am Rande erwähnt.
- Framing: Die Energiewende wird als „aleatorisches Prinzip von Trial and Error“ dargestellt, als planloses Chaos, das zwangsläufig scheitern muss. Die Tatsache, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien auf langfristigen Strategien und gesetzlichen Rahmenbedingungen basiert, wird ignoriert.
- Spekulationen: Etscheit spekuliert, dass große Mengen an Windradschrott nach Afrika verschifft werden. Dafür liefert er aber keine Beweise. Diese Spekulation dient dazu, die Energiewende als rücksichtsloses Projekt darzustellen, das auf Kosten der ärmeren Länder geht.
- Unsaubere Quellenarbeit: Obwohl der deutlich seriösere Artikel von Euractiv Czechia inhaltlich nahezu identisch zum Artikel in Tichys Einblick ist, wird dieser mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen beruft man sich auf Regionalzeitungen.
Die Realität: Recycling ist eine Herausforderung, aber lösbar
Es ist richtig, dass das Recycling von Rotorblättern aus Windkraftanlagen eine technische Herausforderung ist. Die Verbundwerkstoffe sind komplex, und die Zerkleinerung und Trennung der Materialien ist aufwendig. Aber es ist falsch zu behaupten, dass es keine Lösungen gibt. Es gibt verschiedene Recyclingverfahren, und die Forschung arbeitet intensiv an neuen Methoden.
Fazit: Tichys Einblick diskreditiert, statt zu informieren
Der Artikel von Tichys Einblick ist ein typisches Beispiel für die unseriöse Berichterstattung des Mediums. Anstatt den Müllskandal in Tschechien sachlich zu analysieren und die Herausforderungen des Windrad-Recyclings konstruktiv zu diskutieren, wird der Fall instrumentalisiert, um die Energiewende zu diskreditieren.
Mit Verzerrungen, Halbwahrheiten und Spekulationen wird Stimmung gegen die Windkraft gemacht. Wer sich wirklich über die Energiewende und ihre Herausforderungen informieren will, sollte auf seriöse Medien wie Euractiv Czechia zurückgreifen und nicht auf die Stimmungsmache von Tichys Einblick hereinfallen. Es wäre gut, wenn die Medienkompetenz der Leser*innen steigen würde, um derartige unseriöse Artikel direkt als solche zu erkennen und zu ignorieren.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.
Es gibt hierzu noch eine neue Information vom Bundesverband Windenergie:
„Der BWE fordert seit 2019, dass der Einsatz gebrauchter Rotorblätter im Inland zwar möglich bleiben sollte, gleichzeitig der Export von gebrauchten Rotorblättern, die älter als fünf Jahre sind, nur dann möglich sein darf, wenn ein Einsatz nachgewiesen wird. Zudem fordern wir, dass die Entsorgungsnachweise regelmäßig den unteren Abfallbehörden vorzulegen sind und dort archiviert werden müssen.“
Auf die zumindest thermische Verwertung der Rotorblätter für die Zementherstellung ist die Bremer Firma Neocomp spezialisiert.
Mit der Forderung ist dann ja auch die Arbeit des BWE erschöpfend erbracht und man ist fein raus. (Stelle eine Forderung dann hast du keine Verantwortung?)
PS. Das europäische Stromverbundsystem existiert seit 1958. Die Nutznießer probabilistischer Energiequellen greifen notgedrungen auf ein System zurück, das sie nicht zu diesem Zweck schufen und von dem sie bei Strafe ihres Untergangs abhängig bleiben.
Dennoch bleibt die Frage, nunmehr aus einer anderen Richtung zu stellen, warum bei einem täglichen elektrischen Energiebedarf von ca. 72 GW eine installierte Leistung (WKA und PVA) von fast 170 GW nicht ausreicht und noch weiter ausgebaut werden muss, Importe (und damit neue Abhängigkeiten) dringend nötig bleiben und Erfolge bei Speicherlösungen mit uns bekannten Technologien unmöglich bleiben.
Abgesehen davon dass WKA und PVA in hohem Maße von Importen, auch aus nichtfreundlichen Staaten, anhängig bleiben. (Ich war Zeitzeuge und unfreiwillig Beteiligter des Zusammenbruchs der deutschen und des Erfolgs der chinesischen Solarindustrie. Und die „Täter“ waren nicht irgendwelche finstere Demiurgen, sonder gierige Investoren die dem Honigtopf der Energiewender folgten.)
PPS. Ich nehme mal an, Sie kennen den Begriff Streisand-Effekt. Ihre Kritik an dem ursprünglichen Artikel machte mich erst darauf aufmerksam. Sie haben der Reichweite von Tichys Einblick einen Dienst erwiesen oder wollten Sie der eigenen einen Schub verleihen? 😉
https://www.northdata.de/neocomp%20GmbH,%20Bremen/HRB%2030491
Leider scheint sich das Geschäft von Neocomp nicht nachhaltig zu entwickeln.
Antwort an Herrn Jendrischik:
Mir geht es nicht um die Verteidigung von „Tichys Einblick“. Auf den kritisierten Artikel bin ich erst durch Sie aufmerksam geworden.
Zu 1. Nun, hier haben Sie recht. Für mich persönlich haben sich die Strompreise in der Tat nur um 40% erhöht. Gleichzeitig hat sich mein Gaspreis aber um 270% erhöht. An meine Stadtwerke muss ich nun den doppelten Betrag vorauszahlen. Es ist richtig, Strom und Gas sollte man nicht vermengen, meinem Portemonnaie ist das aber egal.
Zu 2. Sorry, es sollte heißen „immer noch Strom importiert“.
Zu 3. Eine wirtschaftliche und nachhaltige Lösung für das Recycling der Rotorblätter sehe ich noch nicht. Alle Informationen sind diesbezüglich Absichtserklärungen. Und auch bei Continuum Composites Recycling fand ich, wie bei anderen auch, nur was sie wollen, nicht was sie konkret können. Und solche Sätze wie: „Ab Ende 2023 oder Anfang 2024 soll sie in der Lage sein, Rohstoffe anzunehmen“, lesen sich zu Beginn des Jahres 2025 etwas merkwürdig, denn über einen Produktionsstart konnte ich nichts finden. Und bis es soweit ist, werden die Dinger irgendwo auf den Haufen geworfen, denn ein Deponieverbot gibt es nicht.
Ihre Kritik bleibt Ihnen völig unbenommen. Und das ist doch auch gut so, denn zu Medienkompetenz gehört auch das Ertragen anderer Meiungen, damit man sie nicht vor dem lesen schon ignoriert. 😉
Lieber anonymer Kommentator,
nun: zu Punkt 2 möchte ich auf das Europäische Verbundsystem verweisen. Es wird immer Stromimporte geben, weil mal Strom aus Skandinavien zB billiger ist als solcher aus deutschen, fossilen Kraftwerken. Dieser Energieaustausch ist gewollt und wird auch dann bleiben, wenn es keine fossilen Kraftwerke mehr gibt. Das ist ein Thema, das von BILD und Anderen aufgebauscht wird – es hat aber keinerlei relevante Substanz.
zu Punkt 3: Zwischen der Aussage bei Tichy und meiner Aussage, dass 99 Prozent von Windkraftanlagen problemlos recycelt werden können, ist ein „kleiner“, aber sehr bedeutsamer Unterschied. Deponierungs-Bilder gibt es bislang ausschließlich aus den USA – mir sind in Deutschland keine Fälle bekannt. Wie sich das Thema bei „Roth International“ gestaltet und wer hier Mist gebaut hat, wird sich noch herauskristallisieren.
Viele Grüße,
Martin Jendrischik
Der Kritiker wirft dem Autor bei Tichy das vor, was er selbst betreibt: Stimmungsmache gegen Kritiker der probabilistischen Energiequellen. Seine Argumentation blendet völlig aus, daß das Recycling der Rotorblätter z.B. Stand Januar 2025 nicht gelöst ist. (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/recycling-branche-warnt-vor-muellproblem-windraeder-100.html oder https://www.mdr.de/wissen/umwelt-klima/windrad-windkraft-wka-fluegel-muell-recycling-entsorgung-wiederverwertung-100.html ) Und das ist die Kernaussage des kritisierten Artikels.
Und wenn dem Kritiker ein Kontext zu den 30.000 WKA fehlt, dann sollte er sich die Frage stellen, warum die BRD bei einer installieren Kraftwerksleistung von 69 GW WKA und 99 GW PVA immer noch Strom produziert und sich die Preise für die Privatverbraucher in den letzten 3 Jahren verdoppelt haben.
Hallo anonymer Kommentator,
vielen Dank für den Kommentar und die versuchte Verteidigung von Tichys Einblick. Dazu meine Anmerkungen.
1. Nein, die Strompreise für Verbraucher haben sich seit 2021 nicht verdoppelt. Das ist Desinformation.
2. Den Satz mit dem „immer noch Strom produziert“ verstehe ich nicht.
3. Erstens belegen die Quelle nicht die getroffene Aussage. Zweitens ist klar, dass 99 Prozent der Materialien von Windrädern problemlos recycelt werden können. Nur die Rotorblätter stellen eine Herausforderung dar. Im MDR-Artikel wird hierfür eine Lösung skizziert, auch aus Dänemark kommt dafür eine Lösung: https://www.cleanthinking.de/continuum-rotorblaetter-hochleistungsplatten/
Der Punkt ist eher, dass es nicht überall ein Deponieverbot gibt, um Recycling verpflichtend zu machen. Von „nicht gelöst“ kann also keinerlei Rede sein.
Meine Kritik bleibt vollumfänglich bestehen.
Viele Grüße,
Martin Jendrischik