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Haßfurt: Pionierstadt der kommunalen Energiewende

300 Prozent Eigenversorgung aus Erneuerbaren

Das unterfränkische Haßfurt hat sich zu einem beeindruckenden Leuchtturmprojekt der Energiewende in Deutschland entwickelt. Die 13.000-Einwohner-Stadt produziert heute das Dreifache ihres eigenen Strombedarfs aus erneuerbaren Quellen und verfügt über ein innovatives System zur Energiespeicherung und -verteilung. Diese Erfolgsgeschichte zeigt, dass eine vollständige Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen nicht nur möglich ist, sondern bereits heute funktioniert – und das in einer Region, die traditionell eher konservativ geprägt ist.

Die Anfänge einer visionären Energiewende

Die Energiewende in Haßfurt begann bereits Ende der 1990er Jahre, zu einer Zeit, als erneuerbare Energien vielerorts noch als „grüne Spinnerei“ galten. Hauptverantwortlich für diesen frühen Start war Norbert Zösch, der langjährige Leiter der Stadtwerk Haßfurt GmbH. Er begann 1998 mit der Umsetzung seiner ehrgeizigen Ziele, die Energieversorgung der Stadt auf erneuerbare Quellen umzustellen. Im Jahr 2010 deckte Haßfurt bereits 29 Prozent seines Strombedarfs mit alternativer Energie.

Bemerkenswert ist, dass diese Entwicklung in einer traditionell CSU-geprägten Region stattfand. Der damalige CSU-Bürgermeister Rudi Eck musste gegen erhebliche Widerstände aus der eigenen Partei und von Bürgerseite ankämpfen, um die Energiewende voranzutreiben. Dies unterstreicht, dass erfolgreiche Nachhaltigkeitsprojekte nicht zwangsläufig an politischen Lagern, sondern an mutigen Entscheidungsträgern und überzeugenden Konzepten festgemacht werden können.

Ein diversifiziertes System erneuerbarer Energien

Heute verfügt Haßfurt über ein beeindruckendes Portfolio an Erzeugungsanlagen für erneuerbare Energie:

  • Mehrere große Photovoltaik-Anlagen
  • Ein Bürgerwindpark sowie weitere Windkraftanlagen
  • Eine Biogasanlage, die auch bei fehlender Sonne und Windstille Strom und Wärme liefert

Diese Anlagen bringen zusammen über 60 Megawatt Leistung Der Großteil der lokal erzeugten Energie stammt aus dem nahe gelegenen Bürgerwindpark sowie weiteren Windkraft- und Solaranlagen. Zusammen liefern diese Anlagen deutlich mehr Strom, als die Haushalte im Stadtgebiet verbrauchen4.

Das Stadtwerk Haßfurt produziert bilanziell inzwischen dreimal so viel Energie aus erneuerbaren Quellen, als die rund 17.000 Einwohner verbrauchen. Diese Überproduktion ist kein Zufall, sondern Teil einer durchdachten Strategie zur Energieautonomie und zur Schaffung regionaler Wertschöpfungsketten.

Wasserstoff als Schlüsseltechnologie

Was Haßfurt besonders auszeichnet, ist die innovative Lösung für das zentrale Problem der erneuerbaren Energien: ihre Volatilität. Im Oktober 2016 ging am Mainhafen die bayernweit erste Power-to-Gas-Anlage ans Netz. Diese Anlage wandelt den überschüssigen Strom aus Wind- und Solaranlagen mittels Elektrolyse in Wasserstoff um.

In Haßfurt ist erstmals in Deutschland eine vollständige wasserstoffbasierte und CO2-freie Speicherkette für regenerativen Strom im praktischen Einsatz. Sie umfasst einen Windpark, Elektrolyseure, eine Power-to-Gas-Anlage, Drucktanks zum Speichern und ein Blockheizkraftwerk (BHKW). Der so erzeugte Wasserstoff kann bei Bedarf ins Gasnetz eingespeist oder rückverstromt werden.

Ein containergroßer, reaktionsschneller PEM-Elektrolyseur (Proton Exchange Membrane) wandelt den überschüssigen Wind- und Solarstrom in Wasserstoff um und stabilisiert gleichzeitig das Stromnetz. Diese mit dem Bayerischen Energiepreis ausgezeichnete Technologie ermöglicht es, die lokal erzeugte erneuerbare Energie auch dann zu nutzen, wenn sie gerade nicht benötigt wird – ein entscheidender Vorteil gegenüber konventionellen erneuerbaren Energiesystemen.

Smarte Nutzung und Verteilung

Haßfurt geht auch bei der Energienutzung neue Wege. Das Stadtwerk hat bereits 10.000 intelligente Stromzähler (Smart Meter) in den Haushalten installiert. Diese ermöglichen den Verbrauchern, variable Stromtarife zu buchen und Energie dann zu nutzen, wenn sie besonders günstig ist – typischerweise zu Zeiten hoher Erzeugung aus erneuerbaren Quellen.

Letztlich findet sich in Haßfurt ein Lösungsweg für alle Herausforderungen bei der Transformation hin zu einer 100-prozentigen Energieversorgung aus Erneuerbaren: Ausgleich der Schwankungen, Sektorkopplung und Dezentralisierung. Diese ganzheitliche Herangehensweise ist ein wesentlicher Faktor für den Erfolg des Modells.

Treibende Kräfte hinter dem Erfolg

Der Erfolg der Energiewende in Haßfurt ist das Ergebnis einer bemerkenswerten Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren:

  1. Norbert Zösch, der langjährige Geschäftsführer des Stadtwerks Haßfurt, der 2025 die Geschäftsleitung an seinen Sohn Felix übergeben hat und nun als Senior Advisor tätig ist.
  2. Markus Eichhorn, Technischer Leiter für Gas, Wasser und Wärme beim Stadtwerk Haßfurt, der besonders stolz darauf ist, „den Windpark und die Power-to-Gas-Anlage mitgeplant und in Betrieb genommen zu haben“.
  3. Rudi Eck, der ehemalige CSU-Bürgermeister, der politische Rückendeckung gab, als erneuerbare Energien noch nicht mainstream waren.
  4. Hans-Josef Fell, ehemaliger Grünen-Bundestagsabgeordneter aus Hammelburg, der als „Vater des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“ gilt und die Verantwortlichen in Haßfurt in den Anfangstagen als Mentor unterstützte.

Die Rolle der Stadtwerk Haßfurt GmbH als kommunales Unternehmen ist ein weiterer wichtiger Faktor. Im Kontext einer „Welle der Rekommunalisierung“ hat das Stadtwerk 2015 die Beteiligung eines Privatunternehmens an den lokalen Energieanlagen aufgekauft. Diese Rückführung in kommunales Eigentum hat den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv befördert und zeigt, dass lokale Kontrolle über die Energieversorgung ein wichtiger Erfolgsfaktor sein kann.

Wissenschaftliche Kooperationen als Innovationstreiber

Ein zentraler Baustein des Erfolgsmodells Haßfurt ist die enge Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Einrichtungen, insbesondere mit der Technischen Hochschule in Schweinfurt. Diese hat vor vier Jahren den deutschlandweit ersten Bachelorstudiengang Wasserstofftechnik gestartet. Für die Studierenden ist die unterfränkische Kleinstadt längst zur „Spielwiese für die Energiewende“ geworden.

Die Studierenden haben Machbarkeitsstudien erstellt und zahlreiche Bachelor- und Masterarbeiten zu Projekten in Haßfurt verfasst. Sie waren auch an der Anlagenplanung und den Gesprächen mit Siemens beteiligt, dem Unternehmen, das die Power-to-Gas-Anlage gebaut hat.

Ein aktuelles Forschungsprojekt ist ein mit einer Brennstoffzelle betriebenes Flugzeug, das noch im Frühjahr 2025 vom Flugplatz in Haßfurt abheben soll – angetrieben vom lokal erzeugten Wasserstoff. Die Stadt ist damit nicht nur ein Vorreiter in der Energieerzeugung, sondern auch in der Anwendung innovativer wasserstoffbasierter Technologien.

Internationale Anerkennung und Vorbildfunktion

Die Erfolge in Haßfurt haben weit über die Stadtgrenzen hinaus Beachtung gefunden. Die Internationale Organisation für Erneuerbare Energien (Irena) hat in einem Weißbuch die Haßfurter Erfahrungen anderen Kommunen weltweit zur Nachahmung empfohlen. Regelmäßig besuchen internationale Delegationen, unter anderem aus China und Südkorea, die Anlagen in Haßfurt, um von den dortigen Erfahrungen zu lernen.

Vor zwölf Jahren wurde die Stadtwerk Haßfurt GmbH von der Deutschen Umwelthilfe als Vorreiter der Energiewende ausgezeichnet5. Die mit dem Bayerischen Energiepreis prämierte Power-to-Gas-Anlage ist zum Aushängeschild für die Region geworden4.

Haßfurt-Fazit: Ein Modell mit Strahlkraft

Die Energiewende in Haßfurt demonstriert eindrucksvoll, dass eine vollständige Versorgung mit erneuerbaren Energien bereits heute möglich ist – und das in einer Kleinstadt, die nicht durch besondere geografische Vorteile begünstigt ist. Der Erfolg basiert auf einer Kombination aus frühem Engagement, politischem Mut, technischer Innovation, wissenschaftlicher Kooperation und kommunaler Eigentümerschaft.

Norbert Zösch bringt es auf den Punkt: „Es ist ein gutes Zeichen, dass auch kommunale Projekte international Beachtung finden, denn nur so, mit Engagement und Bürgernähe, kann der Ausbau der Erneuerbaren vorangetrieben werden, um die Klimaziele zu erreichen“.

Das Beispiel Haßfurt zeigt, dass die Energiewende vor allem eines braucht: Mut zum Handeln. Als vor 25 Jahren das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) verabschiedet wurde, meinten Kritiker noch, mehr als zwei Prozent erneuerbarer Energie sei unrealistisch. Heute liegt der bundesweite Anteil bei etwa 60 Prozent – und Haßfurt hat mit 300 Prozent schon längst bewiesen, was möglich ist, wenn eine Kommune entschlossen vorangeht.

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