Energiewende im Herbst 2022: Anteil Erneuerbarer Energien steigt auf 49 Prozent
Index EWI von McKinsey beleuchtet den Status der deutschen Energieversorgung im Herbst 2022 anhand von 15 Kriterien.
Die Analyse von McKinsey zur Energiewende im Herbst 2022 zeigt: Die Indikatoren zum Status der Herkulesaufgabe verbessern sich leicht – aber: das Tempo zur Erreichung der Ziele für 2030 muss „massiv“ zunehmen. Der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttostromverbrauch stieg im ersten Halbjahr auf 49 Prozent. Allerdings hat sich die Ausgangslage durch den russischen Angriffskrieg, der im Februar begann, dramatisch verändert. Der Energiewende-Index zeigt drei Szenarien, wie sich Strom- und Gassektor zukünftig verändern werden.
Die Entscheidung der Europäischen Union zum künftigen Verzicht auf Erdgas aus Russland hat erhebliche Auswirkungen auf den Stromsektor. Die drei Szenarien des McKinsey-Index zeigen: Deutschland bleibt bis 2030 auf Erdgas angewiesen. Betrachtet man alle 15 Indikatoren der McKinsey-Analyse zur Energiewende im Herbst 2022, wird klar: 6 Indikatoren sind stabil realistisch erreichbar, sechs stehen auf der Kippe und weitere drei Indikatoren sind unrealistisch.
Wo Deutschland im Jahr 2030 stehen wird, kommt maßgeblich auf den Ausbau der Erneuerbaren Energien und die Situation am Gasmarkt an. Mit ihrer neuen Ambition, den EE-Anteil in Deutschland bis zum Ende dieses Jahrzehnts auf 80 Prozent zu erhöhen, hat sich die Bundesregierung viel vorgenommen. Dieses Ziel zu erreichen, ist eine Herkulesaufgabe. Dafür muss die komplette Wertschöpfungskette rund um den EE-Ausbau befähigt werden: angefangen bei der Aufstockung der Produktionskapazitäten über schnellere Genehmigungsverfahren bis hin zur Anwerbung bzw. Weiterqualifikation ausreichend vieler Fachkräfte für den Bau und Betrieb der Anlagen.
Um das 80-Prozent-Ziel zu erreichen, müssten jährlich PV-Anlagen mit einer Kapazität von 18 GW errichtet werden; in der Onshore-Windkraft müssten pro Jahr 1.800 Anlagen in Betrieb gehen – umgerechnet fünf pro Tag – und in der Offshore-Windkraft müsste sich die Kapazität nahezu vervierfachen.
Basisszenario: Erdgas wird bis 2030 gebraucht
Im Basisszenario verläuft die Energiewende so, wie von der deutschen Politik vorgegeben. Dabei werden diese Ausbauziele bis 2030 erreicht:
- 215 Gigawatt Photovoltaik
- 115 Gigawatt Onshore-Windenergie
- 30 Gigawatt Offshore-Windkraft
- Atomausstieg und Kohleausstieg bleiben, wie geplant
- 2030 sind 17 Gigawatt Kohlekraftwerke noch in Betrieb
In diesem Szenario steigt die Produktion aus Erneuerbaren inklusive Biomasse, Wasserkraft und Geothermie auf 751 Terawattstunden. Das sind 84 Prozent der Bruttostromproduktion.
Trotzdem wird noch immer 68 Terawattstunden aus Erdgas erzeugt. Wasserstoff soll mit 48 Terawattstunden zur Deckung der Stromnachfrage beitragen. Die Stromproduktion aus Kohle sinkt um 61 Prozent, liegt aber immer noch bei 63 Terawattstunden. In diesem Basisszenario des Index von McKinsey wird Deutschland zeitweise zum Netto-Stromexporteur.
Jedes der im aktuellen Index modellierten Szenarien geht davon aus, dass der Strombedarf wie von der Bundesregierung prognostiziert bis 2030 auf 750 Terawattstunden ansteigt und der CO2-Preis bei 100 Euro pro Tonne liegt. Die Szenarien „Strom aus Europa“ und „Weitgehende Selbstversorgung“ sollen hier nicht im Detail beleuchtet werden. Mehr dazu auf der Seite von McKinsey.
Entwicklung der 15 Indikatoren
Diese sechs Ziele sind realistisch erreichbar:
- Der EE-Anteil am Bruttostromverbrauch steigt von 41 in 2021 auf 49 Prozent in der ersten Jahreshälfte 2022.
- Der EE-Anteil am Bruttoendenergieverbrauch stieg um 0,4 auf 19,7 Prozent
- Haushaltsstrompreis und Industriestrompreis haben sich erheblich verbessert – trotz gestiegener Stromkosten
- Keine neuen Daten gab es für den Energiewende im Herbst 2022 Indikator Ausfall Stromversorgung. Er bleibt bei der Zielerreichung bei 117 Prozent.
- Gleiches gilt für die Verfügbare Kapazität für Import aus Nachbarländern. Damit verbleibt dieser Indikator mit einer Zielerreichung von 208 Prozent im realistischen Bereich.
Diese Indikatoren sind kritisch:
- Der Primärenergieverbrauch liegt nach wie vor bei 12.265 PJ – das entspricht einer Zielerreichung von 70 Prozent
- Die Emissionen belaufen sich wie schon im Halbjahr zuvor auf 762 Mio. t CO2e; damit verharrt der Zielerreichungsgrad hier bei 84 Prozent
- Für den Indikator Sektorkopplung Wärme wurden neue Hochrechnungen veröffentlicht. Der EE-Anteil am Endenergieverbrauch im Bereich Wärme und Kälte liegt danach aktuell bei 16,5 Prozent und damit 0,9 Prozentpunkte über dem Wert des Vorhalbjahres.
- Der Anteil der Gesamtenergiekosten Haushalte am Warenkorb der Verbraucher stieg zuletzt von 10,3 auf 11,2 Prozent.
- Für den Indikator Arbeitsplätze in erneuerbaren Energien liegen weiterhin keine neuen Daten vor. Er verharrt deshalb bei seiner bisherigen Zielerreichung von 96 Prozent.
- Die gesicherte Reservemarge liegt bei 0,2 und steht damit mehr denn je auf der Kippe.
Diese Indikatoren sind kaum erreichbar:
- Der Indikator Sektorkopplung Verkehr sinkt leicht von 44 auf 43 Prozent. 2021 waren insgesamt 1,3 Millionen effiziente Elektroautos zugelassen, doch es wären 2,8 Millionen nötig, um im Plan zu bleiben.
- Die Kosten für Netzeingriffe sind mit aktuell 8,1 Euro pro Megawattstunde weiterhin weit vom Startwert (1 Euro pro Megawattstunde) entfernt.
- Kaum Fortschritte gibt es beim Indikator Ausbau Transportnetze: Zwar wurden in den vergangenen beiden Quartalen rund 160 Kilometer fertiggestellt; die Gesamtlänge beträgt jetzt 2.005 km. Allerdings bleibt der Ausbau weiter deutlich hinter dem Zielwert von 4.977 KIlometer insgesamt und knapp 500 Kilometer pro Halbjahr zurück. Die Zielerreichung des Indikators beträgt 37 Prozent.
Was ist der EWI?
Die Unternehmensberatung McKinsey analysiert zwei Mal im Jahr den Fortschritt des deutschen Energieumbaus. Hierfür nutzt das Beratungshaus den Energiewende-Index EWI, der die drei Dimensionen Klima- und Umweltschutz, Versorgungssicherhit und Wirtschaftlichkeit in den Mittelpunkt rückt. Der EWI entsteht seit 2012.
Zwischendurch gab es auch einen Deutschen Energiewende-Index, der als Befragung durch Ernst & Young im Auftrag der Deutschen Energie-Agentur eher dem Geschäftsklima-Index des ifo-Instituts entsprach.
Der Energiewende-Index von McKinsey analysiert insgesamt 15 Indikatoren und gibt zu jedem dieser Indikatoren an, ob die notwendigen Etappenziele erreicht sind. Dabei orientiert sich McKinsey stets an den Klimazielen der Bundesregierung für das Jahr 2030 – im Mittelpunkt steht also die Energiewende im Herbst 2022 in der Dekade der Disruption.
Einschätzung von Martin Jendrischik, Cleanthinking.de:
Die Energiewende im Herbst 2022 ist definitiv eine Mammutaufgabe. Es braucht breite gesellschaftliche Anstrengung, um bewältigt zu werden. Mit den aktuellen Zielsetzungen ist die Bundesregierung auf einem Pfad, der wesentlich besser ist als das, was die Große Koalition geplant hatte. Funktioniert der Hochlauf der Erneuerbaren auf 22 Gigawatt pro Jahr, wie vorgesehen, dann wird das auch die Nutzung von Wärmepumpen oder den Einsatz von Elektrolyseuren für die Herstellung von grünem Wasserstoff beflügeln.
Klar ist auch: Laut Einschätzungen von Wissenschaftlern wie Prof. Claudia Kemfert, reichen selbst diese Ziele nicht für das 1,5-Grad-Ziel des Pariser Übereinkommens von 2015. Bedeutet: Sobald die Dynamik von selbst läuft, muss noch eine Schippe draufgelegt werden. Und: Der Wandel zu erneuerbaren Energien ist nur ein Teil der ökologischen Transformation insgesamt – zusammen die größte Menschheitsaufgabe.
Dieser Artikel zur Energiewende im Herbst 2022 entstand ursprünglich am 20. März 2013. Die letzte Überarbeitung gab es am 30. November 2022.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.
Hallo Martin Jendrischik,
erneut kam im Dez. 22 die Nachricht aus den USA “ die Kernfusion ist gelungen“. In Frankreich wird ITER gebaut. Bis Ende des Jahrhunderts ist das weltweite Energieproblem gelöst! Ich glaube nicht daran.!
Solange können wir nicht auf das Wunder warten! Warum will der Mensch das, was auf der Sonne geschieht, hier auf der Erde nachmachen? Lieber sollten wir die volle Energie die uns die Sonne jeden Tag auf die Erde liefert nutzen. Die kostet nichts und ist unendlich. Auch hier in Deutschland ist diese Solarenergie täglich vorhanden, wenn auch oft über den Wolken. Warum sollte es nicht möglich sein, sie von dort zu holen?
Wer AKW´s bauen kann, sollte doch auch die Sonnenernergie über den Wolken „einfangen “ können. Wem das gelingt, der hat den Energiehunger der ganzen Welt gestillt! ( Kohle, Öl, Gas, Akw´s = alle fossile Energietrager ade!!) Also , alle schlauen Köpfe der Welt strengt Euch an!
Martin, gerne hätte ich Deine Meinung dazu! Gruß Peter.
Hallo Peter,
es gab keine Meldung, dass die Kernfusion funktioniert habe. Es gab einen kleinen Fortschritt, der aufgebauscht wurde. Bei ITER gab es vor wenigen Stunden die Meldung, dass es sich mindestens um Monate, wenn nicht sogar um Jahre verzögert, weil bestimmte Bauabschnitte erneuert werden müssen. Vor 2025 findet hier kein Demobetrieb statt.
Meine Meinung ist ganz klar: Wer auf die Kernfusion wartet, wird die Energiewende und damit die Bekämpfung des Klimawandels verpennen. Das wäre töricht. Übrigens spricht der Chef von Wendelstein7X davon, dass sein Reaktor frühestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts fertig sei – wenn man sich beeile.
Insofern: Es geht nur über die schnelle Energiewende mit Erneuerbaren und Wasserstoff. Wer was Anderes behauptet, will diese Energiewende blockieren.
Viele Abendgrüße,
Martin
215 Giga = 215 EE 9
21,5 EE 6 x 10 EE 3 = 215 EE 9
oder?
Mit erneuerbaren Energien sollen im Jahr 2045 lediglich 1.030 TWh/a (BNetzA: „Genehmigung des Szenariorahmens 2023-2037/2045“, Juli 2022) der erforderlichen EE-Primärenergie von 2.000 TWh/a (BMWK: „Energieeffizienzstrategie 2050“, Dez. 2019) dargestellt werden. Also gut 50%. Der Rest, also knapp 50% netto, muss daher in Form von Wasserstoff und seiner Derivate importiert werden. Hierzu wird vom Ausland aufgrund von Wirkungsgradverlusten ein dort erforderlicher erneuerbarer Primärenergieeinsatz von 1.500 TWh/a erforderlich sein. Das Ausland muss daher ca. 50% mehr EE-Primärenergie erzeugen wie Deutschland für sich gerade mal selber in der Lage ist. Ergebnis: Deutschlands EE-Bereitstellung 2045 hängt massiv vom Ausland ab. Außerdem wird lt. Positionspapier des Westfälischen Energieinstituts, Gelsenkirchen, ein H2-Speicherbedarf in einer Größenordnung von (mindestens) 100 TWh erforderlich sein (s. angegebener Link). Physikalisch sicher verfügbar sind derzeit 33 TWh (Nationaler Wasserstoffrat) in vorhandenen, aber umzurüstenden Kavernenspeichern.
Somit fehlen zwei weitere m.E. sehr wichtige Indikatoren:
1. Indikator zur Überwachung des Zubaus an zwingend erforderlichen Wasserstoffspeichern (oder H2-Derivate-Speichern).
2. Und, noch wichtiger: Indikator zur Überwachung der Wasserstoff-/Wasserstoff-Derivate-Lieferungen aus dem Ausland (knapp 1.000 TWh/a bis 2045; im Jahr 2030 sollen in Namibia gerade einmal 10 TWh/a hergestellt werden; die hierfür eingeplanten 11 Mrd. Dollar Investitionskosten entsprächen knapp dem derzeitigen Bruttosozialprodukt Namibias).
Außerdem dürfte es bei den Transportnetzen kaum ausreichen, nur die Hochspannungsnetze zu betrachten. Hier müssten m.E. auch noch zwingend die erheblich ausgedehnteren Niederspannungsnetze (mindestens Verdoppelung der Übertragungsleistung und somit der Übertragungsquerschnitte bis zum Endkunden; Auswechseln sämtlicher Trafos und Schalter) und ein erweitertes Wasserstoff-Pipeline-Netz betrachtet werden. Zumindest im Bereich der Niederspannungsnetze tut sich m.W. derzeit noch gar nichts, sieht man von dem Erstaunen mancher kommunaler Versorger ab, dass hier wohl doch etwas zu tun wäre.
Hallo,
ja, wir sind auf dem richtigen Weg! Allerdings sind bei 215 Giga ca. 21,5 Mio. 10 kWp Anlagen, wenn ich richtig rechne erforderlich. Es dürften auch größere Anlagen gebaut werden! Nur: bei einer Vergütung des eingespeisten Stroms von 8,4 ct die kWh liegt kein Anreiz für den Otto Normal, wenn er 42,6 ct/kWh zahlen soll, für den selbst genutzten Strom. Die Ausbeute der Sonne beschränkt sich im Wesentlichen auf die Früh/Sommer/Herbst Zeit, dabei geht dann das Meiste ins Netz und da gibt es mit der Vergütung keine Motivation. Arbeiten Sie mal an einer Übersetzung des Glücks für den Anwender, der schon Steuern genug bezahlt, um die hoch gesteckten Ziele zu erreichen. Sonst gibt es aus rein idiologischen Gründen kein respektables Ergebnis.
Also! Weiter machen.
mfg
W.Schulz
Hallo Wolfgang,
Deine Rechnung stimmt nicht. Du hast drei „Nullen“ vergessen. Das wäre ja wirklich einfach, wenn wir nur 21,5 Millionen PV-Dach-Anlagen bräuchten. Nein. Es braucht viel, viel mehr Anstrengung.
Wer eine PV-Anlage betreibt, macht dies in der Regel, um möglichst viel Strom selbst zu verbrauchen. Zusätzliche Verbraucher wie Wärmepumpen und Elektroautos machen das noch ein Stück einfacher. Wer tagsüber nicht verbrauchen kann, besorgt sich einen Heimspeicher. Die allermeisten Anlagen werden mittlerweile mit Heimspeicher verbaut.
Der Anreiz ist es also, teuren Strombezug aus dem Netz durch Eigenstrom vom Dach zu ersetzen. Die Einspeisevergütung ist nur ein Zubrot für Überschüsse.
Viele Grüße,
Martin, Gründer von Cleanthinking