Kernkraftwerk GKN II wird bis 15. April 2023 weiterlaufen – kein Rütteln am Atomausstieg.
Das AKW Neckarwestheim II (GKN II) wird aller Voraussicht nach bis 15. April 2022 weiter genutzt werden. Für diese sogenannte Einsatzreserve muss das Atomgesetz geändert werden, das vorsieht, dass die Betriebserlaubnis des Kernkraftwerks der EnBW spätestens zum Ende des Jahres 2022 erlischt. Die nukleare Anlage in Baden-Württemberg verfügt über einen Druckwasserreaktor der vierten Generation (Konvoi-Typ, Siemens/KWU) und ist seit Erteilung der Betriebsgenehmigung am 28. Dezember 1988 am Netz. Wie genau wird der Weiterbetrieb des Atomkraftwerks Neckarwestheim II ablaufen?
Mit einer am 27. September 2022 geschlossenen Vereinbarung zwischen dem Betreiber des Atomkraftwerks Neckarwestheim II und der Bundesregierung soll die sichere Energieversorgung des Landes im Winter 2022/23 ermöglicht werden. Ein Stresstest der Übertragungsnetzbetreiber hatte zuvor ergeben, dass es unter bestimmten Rahmenbedingungen zu einer Unwucht im Stromnetz kommen kann: Das passiert dann, wenn die Versorgung nicht mehr gesichert ist, weil im Süden nicht genügend Reservekraftwerkskapazität vorhanden ist. Dann muss im Norden Erzeugung reduziert und gleichzeitig Last abgeworfen werden, um die Stabilität zu gewährleisten.
Diese mögliche Mangellage hängt entscheidend davon ab, ob es Frankreich gelingt, einen Großteil seiner derzeit in Wartung oder Reparatur befindlichen Atomkraftwerke bis Dezember oder Januar wieder ans Netz zu bringen. Mehr zur Nuklearenergie in Frankreich gibt es hier.
Eckpunkte der Einsatzreserve des AKW Neckarwestheim II
Die vereinbarte Einsatzreserve des Atomkraftwerks Neckarwestheim II sowie des bayerischen Kernkraftwerks Isar II folgt klaren Eckpunkten, die in der öffentlichen Diskussion aber kaum Berücksichtigung finden. Hier die Übersicht über die wesentlichen Rahmenbedingungen der Einsatzreserve des AKW GKN II:
- Am 31. Dezember 2022 wird GKN II abgefahren. Wird die Einsatzreserve abgerufen, wird der Reaktorkern der Anlage mit den vorhandenen, zum Teil verbrauchten Brennelementen neu zusammengesetzt.
- Dieser Weiterbetrieb von GKN II ist befristet bis zum 15. April 2023.
- Durch diesen Optimierungsschritt kann das Atomkraftwerk nach dem Wiederanfahren noch bis zu 1,7 Milliarden Kilowattstunden Strom liefern.
- Die Bundesregierung wird spätestens Anfang Dezember 2022 entscheiden, ob für die Versorgungssicherheit in Deutschland die Stromproduktion von GKN II in 2023 erforderlich ist. Nach Aussage von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz ist davon auszugehen, dass die Leistung abgerufen wird.
- Die zuständige Aufsichtsbehörde, das Umweltministerium von Baden-Württemberg, wird die Sicherheit des Atomkraftwerks fortlaufend prüfen.
- Kommt es zu Gewinnen durch den Weiterbetrieb des Kernkraftwerks, werden diese in „konkrete Maßnahmen der Energiewende“ investiert. Können Kosten durch den Verkauf des Stroms nicht gedeckt werden, erfolgt ein Verlustausgleich durch den Staat.
Änderung des Atomgesetzes
Um das Kernkraftwerk Neckarwestheim II bis 15. April 2023 betreiben zu können, ist eine Änderung des Atomgesetzes erforderlich. Auf Grundlage des konkret ausgearbeiteten und verabschiedeten Gesetzes wird dann auch eine schriftliche, vertragliche Vereinbarung mit den beiden Betreibern EnBW und EON (Preussen Elektra) folgen.
Am 5. Oktober 2022 soll der Gesetzentwurf zur geplanten Einsatzreserve das Kabinett passieren und bis Ende Oktober dann vom Bundestag verabschiedet werden. Die Regierungsverordnung muss dem Bundestag spätestens zum 18. November vorliegen.
Für die Energieunternehmen EnBW und EON ist die kurzfristige Verlängerung des Betriebs der beiden Atomkraftwerke keine leichte Situation. Insbesondere die EnBW steck tief in der Transformation vom ehemaligen, fossil und nuklear dominierten Konzern hin zu einem integrierten Energiewende-Konzern, der neben erneuerbaren Energien auch Elektromobilität, den Netzausbau und den Aufbau smarter Quartiere vorantreibt.
Kein Rütteln am Atomausstieg
Es gibt reichlich Kritiker der Entscheidung von Wirtschaftsminister Habeck mit Unterstützung von Bundeskanzler Scholz und Umweltministerin Steffi Lemke die Atomkraftwerke weiter über den Winter 2023 zu nutzen. Die Energieökonomin Prof. Claudia Kemfert beispielsweise machte zuletzt deutlich, dass auch ohne Atomstrom die Versorgung gesichert sei.
Die Befürworter hingegen kritisieren, dass das Atomkraftwerk Emsland nicht weiterbetrieben werden soll. Dies ist aber leicht damit zu erklären, dass einerseits Niedersachsen nicht von der beschriebenen Unwucht des Stromsystems betroffen ist, und andererseits die Brennstäbe dieses Kernkraftwerks so weit abgebrannt sind, dass bereits ab Oktober die Leistung gedrosselt werden muss.
Insgesamt ist aber klar: Es gibt kein Rütteln am Atomausstieg, der seit vielen Jahren feststeht. Denn das würde richtig teuer werden, umfassende Sicherheitsüberprüfungen notwendig machen. Außerdem würde damit der Ausbau der Erneuerbaren Energien, der gerade durch viele Maßnahmen der Ampel-Regierung entfesselt werden soll, wieder eingebremst. Die Zukunft liegt aber nicht bei AKW Neckarwestheim II oder KKW Isar II, sondern in Solar, Wind und anderen erneuerbaren Energien.
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Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.