Ist diese Atombatterie eine Alternative für Smartphones?
Betavolt aus China will Radionuklidbatterie auf Größe eines Geldstücks geschrumpft haben.
Atombatterien sind keine neue Technologie – in den 70er Jahren gab es bereits Herzschrittmacher auf Basis von Plutonium. Auch in der Luft- und Raumfahrt sowie im Militärbereich sind Nuklearbatterien bekannt. Aber das chinesische Unternehmen Betavolt behauptet jetzt, eine Atombatterie entwickelt zu haben, die so klein wie eine Münze ist, aber über 50 Jahre stabile Energieversorgung verspricht. Zahlreiche Medien schreiben euphorisch von Smartphones, die mit der neuen Technologie nie wieder aufgeladen werden müssten. Wie real ist diese Erwartung?
Geräte wie Herzschrittmacher, Smartphones oder gar Drohnen und Laptops, die sich ohne Ladekabel und Batteriewechsel langfristig mit Energie versorgen, sind bislang technisch nicht realisierbar. Betavolt aus China behauptet nun, eine Mini-Atombatterie entwickelt zu haben, die Smartphones über 50 Jahre versorgen können soll. Dabei soll die erste Stromquelle BV100 15*15*5 Millimeter klein und dauerhaft Energie abgeben. Die Spannung soll bei 3 Volt liegen.
Um das zu schaffen, nutzt Betavolt den Zerfall von Nickel-63-Isotopen und kombiniert diese Isotope mit hauchdünnen Diamant-Halbleitern. 100 Mikrowatt emissionsfreie Energie sollen so abgegeben werden. Die Nuklearbatterie sei modular aufgebaut – es könnten also viele Schichten miteinander kombiniert werden, um mehr Leistung zu erzielen. Betavolt berichtet von der innovativen Batterie in der Pilotphase und stellt eine Massenfertigung in Aussicht.
In der deutschen (und britischen) Medienlandschaft sorgt die in China indes kaum beachtete Nachricht zur Atombatterie im Münzformat Euphorie aus:
- t3n fragt, ob damit das Akku-Problem gelöst sei
- Bild.de sieht „in naher Zukunft“ Smartphones mit Atomenergie-Batterie auf dem Markt – und hofft darauf, nie wieder laden zu müssen
- startupmag wähnt Betavolt mit der Technologie an der Schwelle zu einer neuen Ära der Energieversorgung
- The Independent hofft gar auf Drohnen, die ewig fliegen können
Wie realistisch sind die Pläne von Betavolt?
Doch bei genauerem Hinsehen erscheint der vermeintliche Durchbruch der chinesischen Forscher in einem ganz anderen Licht: 100 Mikrowatt genügt für die Versorgung eines langlebigen und energiehungrigen Smartphones nicht. Realistisch gesehen müssten mehrere Hundert bis Eintausend BV100-Atombatterien zusammengeschaltet werden. Angesichts eines Wirkungsgrades von zehn Prozent, wäre auch die Wärmeentwicklung eine Herausforderung.
Laut Betavolt sollen die nuklearen Batterien umweltfreundlich sein. Sie sollen eine zuverlässige Stromerzeugung bieten und auch bei niedrigen Temperaturen von -60 bis 120 Grad Celsius ohne Selbstentladung funktionieren. Dies liegt daran, dass das radioaktive Ausgangsisotop Nickel-63 nach einer bestimmten Zeit in stabile Kupferisotope umgewandelt wird und somit keine Gefahr für die Umwelt darstellt. Außerdem wird es in Zukunft keine teuren Recyclingprozesse wie bei chemischen Batterien mehr benötigen.
Besonders auf die Schippe genommen wird das Potenzial der Atombatterie von Betavolt bei Reddit:
- „100 Mikrowatt erzeugen 0,876 Wattstunden in einem Jahr. Die gesamte Lebensdauer des Geräts erzeugt 43 Wattstunden.“
- Wahrscheinlich, weil die Lebensdauer nur 43 Wattstunden beträgt, die Herstellung aber wahrscheinlich VIEL mehr kosten wird. Selbst wenn jeder Chip und jedes Nickelisotop nur 0,10 Dollar kostet, zahlt man 10.000 Dollar für eine einzige Glühbirne, die ein Array betreibt, das möglicherweise 50 Jahre hält. Eine solche Batterie würde mehr als ein Zehntel eines Kubikmeters einnehmen.
Wie neu sind Atombatterien für zivile Nutzung?
Aus Sicht der Chinesen soll die Nuklearbatterie etwa für Herzschrittmacher und andere Anwendungen der zivilen Nutzung funktionsfähig sein. Doch wirklich neu ist eine Mini-Atombatterie nicht. Schon 2019 verkündeten russische Forscher entsprechende Durchbrüche. Schon eine Dekade davor gab es Meldungen über Batterien, die ewig Energie liefern sollen.
Und auch das amerikanische Cleantech-Unternehmen NDB will eine Atombatterie auf Basis von Atommüll auf den Markt bringen, wie 2020 bekannt wurde. Neben medialem Hype ist aber bislang nicht viel Zählbares dabei herausgekommen. Im Gegenteil: Im September 2023 wurde das Unternehmen wegen falscher Versprechungen gegenüber Investoren von der Börsenaufsicht SEC verklagt.
Für das, was Betavolt macht, gibt es übrigens schon einen Fachbegriff: Betavoltaik ist das Prinzip der Stromerzeugung durch Bestrahlung eines Halbleiters mit schnellen Elektronen. Und bei Wikipedia findet sich folgende Definition:
„Eine Radionuklidbatterie, auch Radioisotopengeneratoren, Isotopenbatterie, Atombatterie, wandelt die thermische Energie oder aber die Betastrahlung bzw. Alphastrahlung des spontanen Kernzerfalls eines Radionuklids in elektrische Energie um. Sie gewinnt ihre Energie aus radioaktivem Zerfall, nicht etwa aus einer Kernspaltung mit nachfolgender Kettenreaktion, und ist daher kein Kernreaktor.“
Echte Durchbrüche für nukleare Batterien im Miniaturformat etwa für den medizinischen Bereich oder die Versorgung von Drohnen gibt es bislang nicht. Dabei sind Diamant-Halbleiter, die auch Betavolt laut eigener Aussage als „einziges Unternehmen weltweit“ produziert, ein durchaus wichtiger Baustein. Medienberichte über Diamant-Wafer oder die schnellsten Mikrochips der Welt unterstreichen, das ganz viel Forschung geschieht. Auch das Unternehmen Diamond Foundry und Diamfab aus Frankreich vermelden Durchbrüche, der sich ganz ähnlich anhört wie das, was die Chinesen präsentiert haben. Einzigartig ist deren „Durchbruch“ also keineswegs.
Bio- oder Atombatterie für Herzschrittmacher?
Der Markt für biologische Implantate wie etwa Herzschrittmacher umfasst ein Volumen von 60 Milliarden Dollar. Damit ist klar, warum es derart viele Medienberichte rund um entsprechende Technologien gibt: Die Cleantech-Unternehmen, die Atombatterien oder grundlegender Diamant-Halbleiter herstellen, suchen nach Partnern und Investoren. Nuklearbatterien in Herzschrittmachern haben sich in Westeuropa nicht durchgesetzt.
Investoren übrigens, die das Cleantech-Unternehmen Caltech zusammen mit Nano Dimension bereits gefunden hat. Für Herzschrittmacher setzen die Dresdener auf Bio- statt Atombatterien. Der Grundgedanke besteht darin, dass lebende Zellen in einem Organismus biologischen Batterien ähneln, die ständig elektrische Energie erzeugen. Wenn es gelingt, einen kleinen Teil dieser Energie zu nutzen, werden implantierte Medizinprodukte Energie-autark. Sogar Patienten mit bisher unheilbaren Erkrankungen, wie z.B. einer Querschnittslähmung, könnte dann zukünftig dauerhaft geholfen werden.
Der Mensch als Kraftwerk (Energy Harvesting) für eine lebenslang funktionierende Batterie? „Eine Zelle nimmt Zucker als Energieträger auf und setzt diesen in elektrische und mechanische Energie um. In einem normalen Herzen befinden sich Milliarden von Zellen. Ein kleiner Bruchteil der dort umgesetzten Energie wird für den Betrieb autarker Implantate, wie z.B. eines Herzschrittmacher, benötigt“, schreibt Caltech.
Der Herzschrittmacher von Caltech wird ein implantierbarer Halbleiterchip mit mehr als 100 elektrischen Verbindungspunkten in das Herzgewebe sein. Das Gerät arbeitet laut den Erfindern ohne Elektroden und bietet über die Verbindungspunkte eine große Anzahl von gegenseitig austauschbaren Schnittstellen zum Herzgewebe.
Bietet Betavolt eine Alternative für Smartphones?
Nein. Es erscheint absolut unwahrscheinlich, dass die Technologie von Betavolt wirklich ein Durchbruch für zivile Produkte sein wird. Viel eher erscheint es realistisch, dass sich Schrittmacher in Zukunft mit der Energie des Körpers versorgt oder beispielsweise Laptops mit organischen Solarzellen bestückt werden können, um seltener aufgeladen werden zu müssen. Atombatterien bleiben dort interessant, wo Größe und Kosten zweitrangig sind – wie etwa beim Militär oder in der Luft- und Raumfahrt.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.