Kernkraftwerke in Frankreich: Probleme mit Korrosion im Bestand, Kühlwasser, Neubau und Finanzen.
Frankreich setzt auf Atomkraft, aber die Probleme sind enorm: Atomkraft Frankreich steckt in einer verheerenden, energiepolitischen Sackgasse. Im vergangenen Jahr musste der AKW-Betreiber EDF verstaatlicht werden und machte allein 2022 18 Milliarden Euro Verlust und schleppt 64 Milliarden Euro Schulden mit sich herum. 16 Kernkraftwerke in Frankreich sind von Korrosion betroffen, die feine Risse an Leitungen verursacht hat. An Atomstrom aus Frankreich für Deutschland in rauen Mengen ist angesichts der Probleme nicht ansatzweise zu denken.
Im vergangenen Jahr war stellenweise die Hälfte der 56 Atomkraftwerke außer Betrieb. Wegen Reparaturen, wegen Wartungsarbeiten, wegen unzureichender Versorgung mit Kühlwasser. Nur das Schleifen umweltpolitischer Vorschriften machte den Weiterbetrieb mancher Atommeiler in den trockenen Sommermonaten möglich. Bis Jahresende 2023 – so verspricht des die französische Regierung nun – sollen die 16 noch von Korrosionsschäden betroffenen Atomkraftwerke wieder instand gesetzt werden.
Atomkraftwerke Frankreich Neubau: Auch der Neubau von Atomkraftwerken ist im Nachbarland keine Erfolgsgeschichte. Der EPR-Reaktor, einst der ganze stolz der Nation, verteuert sich auf mittlerweile 13,2 Milliarden Euro und soll frühestens im ersten Quartal 2024 erstmalig mit Brennstäben beladen werden. Eigentlich sollte Flamanville seit 2012 Atomstrom liefern.
Kernkraftwerke in Frankreich: Kehrtwende von Macron
Ursprünglich wollte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die Abhängigkeit seines Landes von der Atomkraft reduzieren. Im Jahr 2020 schloss Macron ein veraltetes Kraftwerk, kündigte an, den Anteil des Atomstroms am französischen Energiemix auf 50 Prozent verringern zu wollen.
Doch im Februar 2022 verkündete der Politiker seine Kehrtwende zu Atomkraft Frankreich: Mindes sechs neue, „fortschrittliche Versionen des Europäischen Druckreaktors EPR“ sollen bis 2050 von EDF gebaut und anschließend betrieben werden. Für sechs neue Reaktoren werden 50 Milliarden Euro Kosten veranschlagt. Laut manager-magazin verschärft Frankreich damit Europas Energiekrise und wird zum Preistreiber.
Mit dem Bau des ersten, „fortschrittlichen EPR“ soll in 2028 begonnen werden. Erhofft wird eine Bauzeit von lediglich sieben Jahren. Studien sollen das Potenzial für zusätzliche acht Reaktoren klären, so dass ein neuer Kraftwerkspark mit 14 Anlagen denkbar erscheint.
AKWs sollen länger laufen
Der im Schnitt 37 Jahre alte Kraftwerkspark von Atomkraft Frankreich mit 56 Nuklearreaktoren soll modernisiert werden. Macron kündigte im Februar 2022 an, die 40-jährige Lebensdauer bestehender Reaktoren auf mehr als 50 Jahre zu verlängern. Für Macron scheint das ein Spaß zu sein: „Wir müssen Frankreichs großes nukleares Abenteuer wieder aufgreifen„, so der Präsident bei der Verkündung seiner Atomkraft-Strategie.
Dieser Weg, der einher geht mit dem beginnenden Aufbau der Offshore-Windenergie und dem schleppenden Ausbau der Solarenergie in Frankreich, soll die Klimaneutralität 2050 sichern. Aber in Wahrheit steckt Atomkraft Frankreich in einer verheerenden, energiepolitischen Sackgasse.
Macron behauptet, sein Land könne sich nicht vollständig mit erneuerbaren Energien versorgen, werde die Atomkraft Frankreich auch in Zukunft benötigen. Dabei hat Frankreich wesentlich bessere Voraussetzungen für Solar- und Windenergie als beispielsweise Deutschland:
- Lange Küsten, doch erst jetzt (!) steigt das Land in den Bau von Offshore-Windparks ein – bis 2050 sollen es 50 sein
- Die Solarleistung soll von heute 12,4 Gigawatt auf 120 Gigawatt ausgebaut werden – aufgrund der höheren Sonneneinstrahlung mit wesentlich mehr Potenzial als Deutschland. Zum Vergleich: Deutschland will 200 Gigawatt bis 2030.
- Der Energieverbrauch Frankreichs ist geringer als der von Deutschland.
- Mit vielen Elektroheizungen ist das Land grundsätzlich sehr gut auf die Transformation vorbereitet, hat weniger Abhängigkeiten von Gas etwa aus Russland.
Im Bereich der erneuerbaren Energien will Frankreich seine Solarkapazität bis 2050 verzehnfachen und 50 Offshore-Windparks bauen, während es derzeit noch keine gibt. Das erste Offshore-Windprojekt soll noch in diesem Jahr in Betrieb genommen werden.
Wie viele Atomkraftwerke hat Frankreich?
Das Land hat 18 Kernkraftwerke, die von EDF betrieben werden. Insgesamt gibt es 56 Reaktoren, die auf drei großen Baureihen basieren:
- 4 mit einer Leistung von 1.450 Megawatt
- 20 mit einer Leistung von 1.300 Megawatt
- 32 mit einer Leistung von 900 Megawatt
Die Kernreaktoren wurden in den 70er und 80er Jahren relativ schnell und standardisiert gebaut. Der große Kraftwerkspark, der mittlerweile im Schnitt 37 Jahre auf der Kuppel hat, entstand im Kern innerhalb von einer Dekade. Das bedeutet aber auch: Wenn die Laufzeit nach 40 oder 50 Jahren vorbei ist, geht verdammt viel Leistung in kurzer Zeit vom Netz, vorausgesetzt, die Anlagen sind überhaupt nutzbar.
Im Jahr 2005 erreichte die Leistungsfähigkeit der französischen Atomkraft ihren Höhepunkt: 420 Terawattstunden wurden produziert, damit deckte das Land 80 Prozent seiner Stromproduktion. 2020 reduzierte sich die Leistung aufgrund vieler Probleme mit den Reaktoren auf 335 Terawattstunden; der Anteil sank auf 67 Prozent.
Aber die Probleme von Atomkraft Frankreich nehmen weiter zu: Im Herbst 2022 war die tatsächliche Leistung auf 27,1 Gigawatt begrenzt – von einer installierten Kapazität von 61,4 Gigawatt. Bedeutet: Mehr als die Hälfte der Reaktoren brachten keine Leistung. Im April 2022 gab der französische Netzbetreiber bekannt, auch in den kommenden Monaten schon deutlich mehr Strom aus dem europäischen Ausland importieren zu wollen. Besonders im Winter 2022/2023 bezog Frankreich viel Importstrom – auch und gerade aus Deutschland.
Spannungskorrosion als Problem
Doch die bilderbuchhafte Schilderung der Industrie zu Atomkraft Frankreich hat im wahrsten Sinne Risse bekommen: Ein Großteil der Kernkraftwerke hat mittlerweile von EDF eingestandene Probleme mit Rissen (Korrosion), die den betreibenden Staatskonzern dazu zwingen, langwierige Reparaturen und weitere Ultraschall-Prüfungen vorzunehmen.
Aktuell machen EDF Schweißnähte, sogenannte Spannungskorrosion, zu schaffen – diese müssen, so verlangt es Frankreichs Atomaufsichtsbehörde ASN trotz mehrmaligen Einspruchs von EDF, erneuert werden. Der Betreiber hat nun einen Plan vorgelegt, wie dies geschehen soll – ferngesteuerte Roboter sollen die Arbeiten übernehmen, weil es offenbar in Frankreich an geeignetem Fachpersonal fehlt. Zur Ausbesserung muss wahrscheinlich eine zweite Sicherheitshülle aus teils meterdickem Beton abgetragen werden. [derstandard]
Seit der Bauwelle in den 70er und 80er Jahren ist somit kein neues Atomkraftwerk in Frankreich ans Netz gegangen.
Fehlende Transparenz über Kosten
In Frankreich herrscht eine Sondersituation: EDF ist es untersagt, die Strompreise anzuheben oder ausreichend anzuheben, um kostendeckend arbeiten zu können. Im Gegenzug wird der Staatskonzern immer wieder mit Milliardenhilfen unterstützt, der Strompreis aus dem Staatshaushalt subventioniert. Der Anteil elektrischer Energie aus Kernkraft soll weiterhin hoch bleiben, da der Neubau der Kraftwerke kaum den Wegfall der frühen Kraftwerke wird auffangen können – aufgefangen durch Offshore-Windenergie und andere Erneuerbare Energien. [Power Technology]
Alleine rechnerisch ergibt sich ein gewaltiges Problem mit Atomkraft Frankreich: Selbst wenn alle 56 Kernreaktoren 50 Jahre laufen, endet ihr Lebenszyklus im Schnitt in 13 Jahren, also 2035. Für den Bau des ersten, fortschrittlichen EPR sieht Macron einen Baustart im Jahr 2028 und eine Inbetriebnahme in eben jenem Jahr 2035 vor. Doch die Verzögerungen beinahe sämtlicher Kernkraftwerks-Projekte weltweit lässt erwarten, dass dieser Zeitplan nicht einzuhalten sein wird.
Lesen Sie auch: Lohnt sich Photovoltaik eigentlich?
Beträge, die u.a. die Leonardo Di Caprio-Foundation veröffentlicht hat, beziehen beispielsweise Kosten mit ein, die sich aus dem langen Warten auf die Fertigstellung von Kernkraftwerken ergeben. Weitere 4,4 Gramm resultieren aus dem freigesetzten Wasserdampf sowie der Wärme. Für China etwa bedeutet das: Von 2016 auf 2017 sind die Emissionen um 1,3 Prozent gestiegen, weil auf die neuen Reaktoren gewartet wurde. Hätte man direkt in Erneuerbare Energien investiert, wären die Emissionen um schätzungsweise drei Prozent gesunken.
In der Tat ist aber der CO2-Ausstoß von Kernkraftwerken im Vergleich zu Kohle- und Gaskraftwerken geringer. Im Vergleich zu Erneuerbaren Energien allerdings höher, wenn man die oben beschriebenen Kosten einbezieht. Die CO2-Bilanz hängt stark davon ab, wie hoch der Uran-Gehalt im Gestein ist. Läuft ein Kernreaktor, ist dessen Energieproduktion zuverlässiger als die Produktion aus Solar und Wind. Theoretisch wäre ein Zusammenspiel aus Erneuerbaren Energien mit Atomkraft als Grundlastlieferant denkbar.
Dekarbonisierung nur mit Erneuerbaren
Wer also die Dekarbonisierung zur Bekämpfung der Klimakrise Ernst nimmt, kommt an der Umstrukturierung des Energiesystems hin zu einem dezentralen System mit Erneuerbaren Energien, Strom-, Gas- und Wärmespeichern, Elektroautos, Elektrolyseuren und vielen anderen Bestandteilen heute nicht vorbei. Atomkraft kann hier nur sehr begrenzt eine Rolle spielen.
Eine Hintertür für neuartige Kernreaktoren gibt es aber natürlich. Denn: Wir haben ein Problem, genügend Ökostrom zu produzieren, wenn wir einerseits viel mehr Energieverbrauch wollen (Ernährung für 10 Milliarden Menschen, Künstliche Intelligenz/Roboter, IT-Rechenpower, Wärmepumpen, Elektroautos, synthetische Kraftstoffe fürs Fliegen, grüner Wasserstoff für Stahl, Chemie und Co.), aber andererseits bis 2050 die Potenziale der Erneuerbaren Energien ausschöpfen. Langfristig, das sagt ja beispielsweise auch der IPCC, werden wir saubere Kernenergie durchaus benötigen.
Frankreichs Kernkraft: Mitten in der Sackgasse
Atomkraft in Frankreich kann seit zwei Jahrzehnten nur als Debakel bezeichnet werden. In Frankreich wird das Thema aber weitgehend totgeschwiegen. Zwar gibt es kritische Stimmen, die auch beispielsweise Le Monde zitiert, aber die Propaganda der Industrie funktioniert bei weiten Teilen der Bevölkerung [Le Monde].
Der Blick von Außen hingegen zeigt das Debakel der französischen Nuklearkraftwerke eindeutig. Das Land steckt mitten in der energiepolitischen Sackgasse. Ausweg gesucht… Wie es scheint, braucht das Land dauerhaft die Hilfe des europäischen Auslandes [knowesg]. Das entspricht natürlich nicht dem Anspruch eines einst stolzen Landes und sollte keinesfalls als Vorbild für Deutschland dienen, den Atomausstieg in Frage zu stellen [n-tv].
Dieser Beitrag erschien zunächst am 5. Januar 2020, wurde aber aufgrund einer Vielzahl aktueller Entwicklungen am 18. Februar 2023 zuletzt überarbeitet und erweitert.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.