Poker-Spiele von Uniper und RWE etwa zu Datteln 4 behindern Energiewende massiv.
Ausstieg aus Atom und Kohle – was Länder wie Deutschland oder die Niederlande gerade in Gesetzesform gießen, ist zu einem wilden Pokerspiel um Interessen, die Zukunft und Milliarden geworden. Zwei Beispiele – unter anderem des Steinkohle-Kraftwerks Datteln 4 – zeigen, wie Energiekonzerne heute die Instrumente gegen Staaten und den Steuerzahler einsetzen, die sie einst als Konzerne mit viel Macht haben festschreiben lassen.
Datteln-Eigentümer Uniper wird finnisch
Beispiel Datteln 4: Was sich derzeit rund um das Kohlekraftwerk Datteln 4 abspielt, ist ein Poker-Spiel um Milliarden und die Zukunft von Millionen Menschen. Es geht ausschließlich um knallharte wirtschaftliche Interessen – ohne Rücksicht auf Umwelt- und Klimaschutz, den Steuerzahler oder die Menschen, die in Datteln oder Waltrop und Umgebung unmittelbar von einem gigantischen und schmutzigen Steinkohle-Kraftwerk betroffen sein werden.
Datteln 4 liegt in unmittelbarer Nähe zur Wohnbebauung und soll nach heutigen Plänen Mitte 2020 ans Netz gehen – ursprünglich war dies bereits für 2011 vorgesehen. Dort soll Steinkohle aus Kolumbien, Russland, Südafrika und Australien verbrannt werden. Die Nettoleistung des Kraftwerks Datteln 4 soll bei 1.050 Megawatt liegen und Strom unter anderem für die Deutsche Bahn und Fernwärme für 100.000 Haushalte der Region liefern.
Das Steinkohle-Kraftwerk gehört heute dem Energieversorger Uniper, der als „Bad Bank“ aus dem Energiekonzern EON hervorgegangen ist, hoch verschuldet ist, aber den Aktionären kontinuierlich stattliche Dividenden ausschüttet. Diese danken es Uniper: Seit dem Börsengang hat sich der Aktienkurs von etwas mehr als 10 Euro auf 30 Euro verdreifacht. Mehr als 70 Prozent der Uniper-Anteile gehören allerdings dem finnischen Staatskonzern Fortum, der sich nach jahrelangem Kampf und nun endgültiger Zustimmung Russlands eingekauft hat.
Pikant ist: Fortum ist ein finnischer Staatskonzern und dessen Regierung hat beschlossen, bis 2028 aus der Kohle aussteigen und bis 2035 klimaneutral werden zu wollen. Das Land ist auch Teil der Powering Past Coal Alliance, die den globalen Ausstieg aus der Kohle beschleunigen will. Aufgrund der neuen Konstellation hoffen Umweltschützer wie etwa der BUND nun, dass Datteln 4 als Teil vom Ausstieg aus Atom und Kohle nicht mehr ans Netz gehen wird.
Das Beispiel der Uniper-Übernahme durch Fortum zeigt im Grunde genau das, was Greta Thunberg den Staats- und Regierungschefs bei den COP25-Verhandlungen vorgeworfen hat: Auf den ersten Blick werden richtige Dinge mit blumigen Worten aus der PR-Maschinerie beschlossen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Trotz der verheerenden Klimakrise, geht es ausschließlich bis heute um wirtschaftliche Interessen.
Seit dem Beschluss des Pariser Klima-Abkommens haben Banken weltweit 1,9 Billionen Dollar in fossile Brennstoffe und Projekte investiert, so Thunberg in ihrer Rede. Welche das sind hat die Organisation Urgewald nun zusammen mit anderen Organisationen recherchiert und veröffentlicht. Die Global Coal Exit List zeigt auch die Organisationen, die wie etwa Blackrock oder die Bank of China massiv in Kohleenergie investieren, statt den Ausstieg aus Kohle und Atom zu finanzieren.
Es gibt positive Anzeichen, dass das Kapital endlich aus fossilen Aktivitäten aussteigt – der Börsengang von Aramco diese Woche ist aber auch ein alarmierendes Zeichen für das Gegenteil. Ein weiteres Zeichen: Der eine Billion Dollar schwere, norwegische Staatsfonds wollte viel deutlicher aus fossilen Anlagen aussteigen – erhielt aber letztlich nur die Genehmigung für Ölaktien-Verkauf von 5,9 Milliarden Dollar, wie die WirtschaftsWoche berichtet. Damit fällt die erhoffte Symbolwirkung, die es noch im Sommer geben sollte, aus.
Kohlekommission fordert Verhandlungslösung
In diesem Umfeld ist Datteln 4, das auf der Technologie von 2011 basiert und dennoch von Uniper als eines der modernsten Kohlekraftwerke angepriesen wird, zum Spielball reiner Wirtschaftsinteressen. Während die Kohlekommission eine Verhandlungslösung für Datteln 4 forderte, damit das Kraftwerk nicht mehr ans Netz geht, steht im Kohleausstiegsgesetz von Peter Altmaier eine Ausnahmeregelung für Kraftwerke, die bereits eine Genehmigung haben. Die rechtliche Genehmigung liegt für Datteln 4 seit dem 19. Januar 2017 vor.
Allerdings musste das Kraftwerk im Anschluss erheblich umgearbeitet werden, weil der verwendete vom Typ T24 nicht sicher verschweißt werden konnte. Stattdessen wird nun klassischer Stahl eingesetzt – Kraftwerks-Gegner wie der Waltroper Aufbruch gehen davon aus, dass dadurch die Wirkungsgrade des Kraftwerks schlechter und die Emissionen höher ausfallen werden.
Während also der BUND und andere Organisationen gegen die Inbetriebnahme von Datteln 4 Einsatz zeigen, sind NRW-Regierungschef Armin Laschet und Umwelt-Staatssekretär Jochen Flasbarth für den Betrieb. Mindestens Laschet stellt dafür fragwürdige Rechnungen auf, die einer Prüfung kaum standhalten können. Letztlich zeigt sich: Es geht Uniper vor allem ums Geld – und Entschädigungen des deutschen Staates fallen höher aus, wenn auf die Inbetriebnahme hingearbeitet wird.
Pikant ist die drohende Inbetriebnahme auch deshalb, weil mindestens ein Drittel des dort erzeugten Stroms vertraglich für die Deutsche Bahn reserviert ist. Diese bemüht sich aber bereits seit Jahren, aus dem überteuerten Vertrag für die schmutzige Energie aus Datteln herauszukommen. Neben RWE, auch der Konzern will weniger für den Kohlestrom zahlen, wäre die Bahn der Hauptkunde für Datteln 4. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses im Jahr 2007 lag der Preis pro Megawattstunde an der EEX bei 50 Euro – heute sind die Kosten viel niedriger.
Sondergerichte für Atom- und Kohle-Industrie
Neben dem Geschacher um Datteln 4 und dem Pokerspiel rund um Entschädigungen für den Atomausstieg, zeigt ein weiteres Beispiel, wie die einst mächtigen Energiekonzerne vorgesorgt haben. Sie nutzen heute den Energiecharta-Vertrag von 1994 dafür, um die Niederlande zu verklagen und Deutschland zu drohen. Die Niederländer haben ein Gesetz verabschiedet, das den Kohleausstieg bis 2030 ohne Entschädigungen vorsieht. In Kürze soll das Gesetz in Kraft treten.
Auf Basis des Energiecharta-Systems wollen RWE und Uniper nun klagen: Denn das dürfen sie, weil sie durch die Veränderung staatlicher Regeln weniger Gewinn machen als geplant. Das Verfahren dazu findet innerhalb eines staatlich unabhängigen, privaten Investitionsschiedsverfahrens statt, berichtet Energiezukunft. „Die Sondergerichte für die fossile Industrie sind eine echte Gefahr für Demokratie und Klimapolitik“, so Kees Kodde von Greenpeace Niederlande.
Letztlich behindern die Pokerspiele rund um Datteln 4 oder den niederländischen Ausstieg aus der Kohle die Energiewende massiv. Die Signale für andere Staaten, den Ausstieg zu wagen, sind verheerend. Es braucht ein rasches Umdenken, sonst rückt das Pariser 2-Grad-Ziel in unerreichbare Ferne.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.