Heute telefonieren die Bosse von Daimler, BMW und Volkswagen beim Autogipfel mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie fordern Kaufprämien.
Die deutsche Autobranche mit Daimler, BMW und Volkswagen an der Spitze verspielt derzeit jeglichen Kredit. In der Corona-Krise fordern die Autobosse Kaufprämien für Autos – und wollen erst als letztes Mittel darüber nachdenken, Dividenden-Zahlungen an Aktionäre zu begrenzen. Schon heute profitieren die Autokonzerne von der Kurzarbeiter-Regelung der Bundesregierung. Fällt die Politik auch diesmal auf billige Lobbyarbeit herein?
Die ganze Dreistigkeit der Auto-Lobby zeigt sich seit Wochen in Artikeln bei Focus Online, wo Auto-Lobbyisten auf Basis mindestens höchst fragwürdiger Fakten versuchen, unliebsame EU-Regeln insbesondere in Richtung Klimaschutz aus dem Weg zu räumen. Zuletzt durfte Dr. Michael Haberland, Gründer des Automobilclubs Mobil in Deutschland e.V. bei Focus Online seine fragwürdigen Forderungen erheben.
Während seriöse Experten etwa vom Umweltbundesamt vorsichtige Einschätzungen zur Veränderung der Luftqualität etwa in Stuttgart während der Corona-Krise vornehmen, ist für den Auto-Lobbyisten klar: Diesel-Fahrverbote sind unnötig und „Stickoxid-Werte [steigen] trotz drastischer Verkehrsreduzierung sogar an.“ Die Behauptung fällt in die Kategorie Fake News, denn seriöse Stellen betonen, dass die Stickoxidwerte am Neckartor im Monatsvergleich erstmals (!) unter dem Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft gelegen habe.
Haberland ist nicht alleine mit seinen voreiligen Schlussfolgerungen – auch Politiker von CDU und FDP verbreiten solch unseriöse Behauptungen, denen beispielsweise der grüne Verkehrsminister Winfried Hermann klar widerspricht. Das Vorpreschen von Haberland und Co. zeigt klar: Hier wird versucht, unliebsame Entscheidungen aus dem Weg zu räumen – Fakten sind dafür nicht so wichtig.
Weiter geht es im grotesken Schauspiel: Die gerade erst beschlossene CO2-Abgabe will Haberland natürlich ebenfalls aussetzen. Hier zündet ein Argument, das die Regierungskoalition bei der Entscheidung über die CO2-Abgabe schlicht vergessen hat: Am meisten Sinn macht eine solche Abgabe, wenn sie aufkommensneutral ist, also die Lenkungswirkung im Zentrum steht. Nun ist das Argument Haberlands: Man dürfe die Bevölkerung keiner zusätzlichen Belastung aussetzen.
Und noch eine Forderung ist mindestens dreist: Die seit Jahren bekannten CO2-Flottengrenzwerte von 95 Gramm pro Kilometer für PKW müssten „dringend gestreckt“ oder für „einige Jahre ausgesetzt“ werden. Oder anders formuliert: Die Autoindustrie braucht einen Freifahrtschein, um weiterhin ungebremst auch in Deutschland SUVs und andere Fahrzeuge mit vollkommen übertriebener Größe und Motorisierung zu verkaufen.
Dabei lässt die Logik seiner Argumentation zu wünschen übrig: „Die Einhaltung der Klimaziele sind, so bitter es klingt, durch den uns drohenden massiven wirtschaftlichen Abschwung ohnehin nicht in Gefahr, sondern diese Ziele werden in den kommenden Jahren eher übererfüllt.“ Dabei steigen die prozentualen Anteile der Elektroautos gerade massiv an – was in einem schrumpfenden Gesamtmarkt dazu führt, dass die Flottenziele viel leichter erreicht werden können. Falls man – und da hapert es bei Daimler, BMW und Volkswagen – ein passendes Angebot zu bieten hat.
Zuletzt durfte auch Hildegard Müller, ehemalige Staatsministerin im Bundeskanzleramt, bei Anne Will ähnliche Forderungen herausposaunen. Leider unter kauf vernehmbarem Widerspruch von Vize-Kanzler Olaf Scholz. wobei die SPD derzeit eher scharfe Töne gegenüber der Autoindustrie anschlägt. Der Auftritt von Volkswagen-Chef Herbert Diess in den Tagesthemen ist hier zu sehen:
Diess, Haberland und Müller: Dreister geht kaum
Führt man sich vor Augen, dass die Autoindustrie vor der Corona-Krise bereits in einer handfesten Krise steckte, wird einem bewusst, wie dreist das derzeitige Vorgehen von Diess, Haberland oder Müller ist. Folgt man den durch Fakten vielfach belegten Thesen des Stanford-Ökonomen Tony Seba, ist das Maximum der Autoverkäufe global längst erreicht. Im vergangenen Jahr sanken die Verkaufszahlen in allen relevanten Märkten deutlich.
Laut Seba ist für die derzeitige Disruption die Konvergenz zwischen unterschiedlichen Umwälzungen entscheidend: Neben dem rasanten Wandel zum vollelektrischen Antrieb, zählen dazu Sharing-Modelle und natürlich autonomes Fahren. Alle drei Trends wären für sich genommen bereits Disruptionen der Autobranche. In ihrer Gesamtheit werden sie innerhalb dieser Dekade für weitreichende Veränderungen sorgen – Tesla und Co. werden die Schreibmaschine auf Rädern durch das Smartphone auf Rädern ablösen.
In dieser Krise und mit den Umwälzungen am Horizont, die schlicht nicht aufzuhalten sind, sollte die Autoindustrie alles dafür tun, zukunftsfähig zu werden. Stattdessen fordert Haberland etwa, die Mehrwertsteuer auf den „Neuwagenkauf zu erlassen oder zumindest zu halbieren“ und „aktuelle Fördergelder unabhängig von der Antriebsart zu vergeben.“
Wenn heute die Gespräche zwischen BMW, Daimler, Volkswagen und Bundeskanzlerin Angela Merkel beim Autogipfel stattfinden, wird es Demonstrationen von Fridays for Future gegen die Automobilindustrie geben, wie Carla Reemtsma ankündigte. Die Autobosse und deren Lobbyisten haben sich das mit ihrem dreisten Verhalten redlich verdient. Es bleibt zu hoffen, dass Angela Merkel dem Klimaschutz viel mehr Bedeutung beimisst als die Konzernvertreter.
Und weil es an der Digitalisierung in Deutschlands Autoindustrie hapert, wird gleich noch gefordert, dass Assistenzsysteme wie intelligente Geschwindigkeitsassistenten, Notbrems- und Spurthalteassistenten, die ab 2022 für alle Neuwagen vorgeschrieben sind, um mindestens drei Jahre verschoben werden sollten.
Ein besseres Eingeständnis des Versagens einer gesamten Branche kann es kaum geben – man wünscht sich, noch weitere Jahre in der Vergangenheit hängen bleiben zu dürfen, während die Teslas, Xpengs, Lucids oder Polestars vorbeiziehen. Was die Autobranche braucht, das ist deutlich, ist endlich ein Sinneswandel. Ansonsten gehen die Lichter schon sehr bald beim einen oder anderen Konzern aus.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.