Werden die strategischen Fehler der Automobilindustrie in China existenzbedrohend?
Wohin führt der Weg der deutschen Automobilindustrie? Immer häufiger ist von einer existenziellen Bedrohung durch den Wandel zur Elektromobilität zu lesen. Ein Zeichen für die Krise der Autobranche: BYD hat Volkswagen auf dem wichtigsten Markt China als Top-Verkäufer abgelöst. Insbesondere die jungen Chinesen, die gerade Wohlstand gewinnen, kaufen einheimische Marken, die mehr Smartphones auf Rädern als mechanische Blechkisten sind. Sowohl Franzosen als auch Deutsche und Japaner haben es schwer.
Der Markt in China dreht sich gerade sprunghaft hin zu Elektroautos und Hybridfahrzeugen. Ein Drittel der Neuwagen hat bereits einen Elektromotor. Bis 2025 soll sich der Anteil verdoppeln. Die Wachstumsraten bei BYD, Zeekr, Nio, Xpeng und Co. sind hoch – und das Angebot an durchgestylten „Smartphones auf Rädern“, die auch beim autonomen Fahren Fortschritte zeigen. Dieser Klientel, die Limousinen schätzt, sind Autos aus Europa nicht digital genug. Die Marktanteile bei Elektroautos verschwinden gering.
Die Hoffnungen der Automobilindustrie ruhen aus deutscher Sicht nun auf dem von Volkswagen neu präsentierten VW ID.7, der ab Herbst auch in einer China-Version vom Band rollen soll. Ob die Limousine aber wirklich das gewünschte Weltauto werden wird, hängt entscheidend davon ab, ob VW einerseits die schon berüchtigten digitalen Schwierigkeiten der ID-Baureihe in den Griff bekommt, und ob das neue Elektrofahrzeug den chinesischen Käufern komfortabel genug ist.
Denn die chinesische Konkurrenz bietet beispielsweise Flügeltür-Fahrzeuge, die gleich noch einen Teil des Daches mit hochfahren und dadurch aufrecht bestiegen werden können. Im Innern sind die Fahrzeuge so geräumig, dass eine Liegeposition problemlos möglich ist. Neben diesen Vorteilen haben die Chinesen selbst gegenüber Tesla einen 20-Prozent-Vorteil, weil sie als einheimische Marken oft die gesamte Wertschöpfungskette mitsamt Rohstoffgewinnung und Batterieproduktion abdecken.
BYD etwa ist ein solcher, vollintegrierter Konzern. Die kurz hintereinander kommenden Preissenkungen von Tesla haben nicht nur zum Ziel, klassische Autobauer unter Druck zu sehen, sondern auch, die Nachfrage in China trotz hohen Preisdrucks der einheimischen Hersteller aufrecht zu erhalten. Tesla kann sich das leisten, weil die Amerikaner mit die beste Marge im Automobilmarkt haben, und mit Innovationen etwa im Batteriesektor glänzen.
Während die deutschen Hersteller Motorleistung, Marke und Prestige können, passen die Bedürfnisse der Chinesen hierzu nicht mehr. Der Wandel zur Elektromobilität – jedes Dritte neu zugelassene Fahrzeug fährt elektrisch – geht rasant, wird sich im Sommer beschleunigen, wenn schärfere Abgasgrenzwerte Realität werden. Die deutsche Automobilindustrie hoffte, auf dem wichtigen China-Markt noch jahrelang Verbrenner-Limousinen verkaufen zu können. Aber das China-Desaster nimmt zunehmend seinen Lauf.
Chinesen drängen nach Europa
Und nach dem China-Desaster auf dem wichtigsten Automarkt der Welt, folgt nun die China-Invasion nach Europa. Es ist nicht der erste Startschuss in diese Richtung, aber in Sachen Qualität, Sicherheit und Europatauglichkeit haben die oft global aufgestellten Autounternehmen entscheidende Fortschritte gemacht. Beim Preis und in Sachen elektrischer Antrieb sowieso. So wird der Dolphin von BYD, der mit dem ID.3 von Volkswagen konkurriert, in Europa zwischen 30.000 und 36.000 Euro kosten. Der Preis der Einstiegsvariante des ID.3 liegt dagegen bei rund 40.000 Euro.
Es sind die Geely-Tochter Zeekr (Geely hat Volvo übernommen), BYD, aber auch Nio, XPeng und zahlreiche weitere Unternehmen, die jetzt hart skalieren, um die zu erwartende Auslese der Anbieter überstehen zu können. Schätzungen zufolge schaffen das nur Anbieter, die mindestens drei Millionen Fahrzeuge pro Jahr herstellen. Davon sind selbst die Spitzenreiter BYD und Tesla noch deutlich entfernt.
Auch um diese Skalierung mit Nachfrage in Einklang zu bringen drängen die Chinesen nun nach Europa und werden noch in 2023 die deutschen Autobauer auf dem Heimatmarkt angreifen. Beispielsweise BYD mit dem elektrischen Kleinwagen Dolphin und der Limousine Seal. Oder Zeekr mit den James Bond-Bezeichnungen 009, 001 oder X.
Chinas Automobilindustrie: Innovation statt Kopie
Aus der Phase, etwa Tesla-Fahrzeuge eher zu kopieren als auf Innovation zu setzen, ist die chinesische Automobilindustrie längst herausgewachsen. Innovationszyklen sind kurz: Neue Modelle brauchen 9 Monate, während sich deutsche Autobauer drei Jahre Zeit nehmen, um ein neues Modell auf die Straße zu bringen. Angesichts der Dynamik etwa bei der Batterieentwicklung sind drei Jahren Welten in punkto Reichweite der Fahrzeuge und Lebensdauer der Batterien.
In China kommen gerade die ersten Fahrzeuge mit Natrium-Ionen-Batterien auf den Markt. Hier sind die Chinesen wiederum vorgeprescht. 19-Zoll-Bildschirme, deren Inhalt sich per Fingerstreich wahlweise zu Beifahrer oder Fahrer herüberschieben lässt, sucht man in deutschen Fahrzeugen vergebens.
Letztlich schreibt selbst das Handelsblatt über eine angespannte Lage für die deutschen Autobauer und das manager magazin sieht die Automobilkonzerne in eine existenzielle Krise hineinschlittern. Es ist ein Debakel, das auf Managementfehlern basiert und der Arroganz deutscher Manager, die weder Tesla noch chinesische Konkurrenten oder die ökonomischen Gesetze rund um Disruption ernst nahmen. Allerdings bestätigt sich auch hier wieder: Die, die Platzhirsche in den Märkten sind, die disrupiert werden, erkennen das nicht und werde mindestens teilweise vom Markt verschwinden.
Noch verkaufen die deutschen Hersteller Fahrzeuge in China: 4,4 Millionen Autos im vergangenen Jahr. Während der Marktanteil bei 19,1 Prozent lag, ist dieser beim schnell wachsenden Geschäft mit Elektroantrieben bei lediglich 5 Prozent. Und das war bevor im Jahr 2023 der große Schwung in Richtung Elektroautos einsetzte. Im ersten Quartal 2023 verkaufte BYD 441.000 vollelektrische Fahrzeuge, während es VW auf 428.000 Fahrzeuge – vorwiegend Verbrenner – brachte.
Die Aussichten deutscher Automobilkonzerne sind derzeit eher wolkig als sonnig. Die Zukunft von VW, Mercedes oder Audi hängt am seidenen Faden. Überraschend kommt das nicht.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.