Projekt Kira und Co.: Robotaxis und fahrerlose Busse als Hoffnungsträger für flächendeckenden ÖPNV
In Deutschland fehlen 20.000 Busfahrer, viele ländliche Regionen sind vom öffentlichen Nahverkehr abgeschnitten. Autonomer Nahverkehr könnte die Lösung sein. Das Pilotprojekt KIRA in Hessen zeigt in der Theorie, dass autonomes Fahren im ÖPNV den Busfahrermangel lindern und den Nahverkehr nachhaltig verändern könnten. Doch wie sicher sind diese fahrerlosen Level-4-Fahrzeuge? Und wie schnell kann diese Technologie auf Basis Künstlicher Intelligenz überhaupt flächendeckend eingesetzt werden?
Hierzulande arbeiten der derzeit 100.000 Frauen und Männer als Busfahrer im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Aber bundesweit gibt es 20.000 offene Stellen, was zunehmend zu ganz konkreten Einschränkungen führt. So haben die Berliner Verkehrsbetriebe Ende 2023 bekanntgegeben, auf 44 Linien – unter anderem der bei Touristen beliebten Linie 100 – Fahrten zu streichen. So ändert sich der Takt von 10 auf 15 Minuten.
Aber Berlin ist nicht allein: Jedes zweite Verkehrsunternehmen in Deutschland ist von Personalmangel betroffen und muss den Betrieb mindestens zeitweise einschränken. Für den Präsident des Verbandes Deutscher Verkehrsunternehmen, Ingo Wortmann, ist der Personalmangel „eine der größten Herausforderungen für die Verkehrsunternehmen und den öffentlichen Nahverkehr.“
Im November 2023 sendete Wortmann, dessen Verband 700 Unternehmen des öffentlichen Personenverkehrs vertritt, einen Hilferuf: „Wir brauchen dringend politische Unterstützung, um den Beruf attraktiver zu machen und neue Fachkräfte zu gewinnen.“ Seitdem hat der Verband unter anderem mit einer Einstellungsoffensive reagiert.
Ursachen des Busfahrermangels: Überalterung, Arbeitsbedingungen, Imageprobleme
Der eklatante Mangel an Busfahrern in Deutschland ist kein Zufall, sondern das Ergebnis mehrerer zusammenhängender Faktoren:
1. Überalterung der Belegschaft: Der demografische Wandel macht sich auch im ÖPNV bemerkbar. Viele Busfahrer gehören zur Babyboomer-Generation und nähern sich dem Rentenalter. Gleichzeitig finden sich nur wenige junge Menschen, die in den Beruf nachrücken. Der Altersdurchschnitt der Busfahrer liegt mittlerweile bei über 50 Jahren.
2. Unattraktive Arbeitsbedingungen: Lange Arbeitszeiten, Schichtdienst, Wochenendarbeit und oft vergleichsweise niedrige Löhne machen den Beruf des Busfahrers für viele unattraktiv. Hinzu kommen hohe Anforderungen an die körperliche und geistige Fitness sowie der Stress im Umgang mit Fahrgästen und im Straßenverkehr.
3. Imageproblem: Der Beruf des Busfahrers hat in der Gesellschaft oft ein negatives Image. Er wird häufig mit niedrigem Prestige und geringen Aufstiegschancen assoziiert. Dies schreckt viele junge Menschen ab, eine Karriere als Busfahrer in Betracht zu ziehen.
4. Fehlende Ausbildungsmöglichkeiten: Der Zugang zur Busfahrer-Ausbildung ist oft schwierig und teuer. Es gibt zu wenige Ausbildungsplätze und die Kosten für den Führerschein der Klasse D können eine hohe Hürde darstellen.
5. Konkurrenz durch andere Branchen: Der Arbeitsmarkt für qualifizierte Arbeitskräfte ist hart umkämpft. Andere Branchen wie Logistik, Handwerk oder Pflege bieten oft bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne, was es für den ÖPNV schwierig macht, qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten.
6. Wachsende Anforderungen: Die Anforderungen an Busfahrer steigen stetig. Neben dem sicheren Fahren müssen sie auch immer mehr Serviceleistungen erbringen, Fahrgäste informieren und sich mit neuen Technologien auseinandersetzen.
Diese Faktoren bilden einen Teufelskreis: Schlechte Arbeitsbedingungen und ein negativer Ruf führen zu einem Mangel an Nachwuchs. Dies erhöht wiederum die Arbeitsbelastung der bestehenden Fahrer und macht den Beruf noch weniger attraktiv. Um den Mangel an Busfahrern zu bekämpfen, müssen diese Ursachen angegangen werden.
Neben einer Einstellungsoffensive, der Verbesserung der Arbeitsbedingungen und der Aufwertung des Berufsbildes (vgl. Positionspapier des VDV) könnte auch autonomes Fahren eine wichtige Rolle spielen.
Autonomes Fahren im ÖPNV: Ein Schlüssel zur Lösung des Busfahrermangels?!
Welche Rolle kann autonomer Nahverkehr für die Lösung des Busfahrermangels einerseits und die saubere Verkehrswende andererseits spielen?
1. Entlastung des Personalbedarfs: Autonome Busse können ohne Fahrer betrieben werden, was den Bedarf an qualifiziertem Personal reduziert. Dies entlastet den angespannten Arbeitsmarkt und ermöglicht es den Verkehrsunternehmen, ihre Ressourcen effizienter einzusetzen.
2. Flexiblerer Personaleinsatz: In einem Mischbetrieb mit autonomen und konventionellen Bussen können Busfahrer gezielter eingesetzt werden. Sie können sich auf anspruchsvolle Strecken oder Zeiten mit hohem Fahrgastaufkommen konzentrieren, während autonome Busse weniger frequentierte Strecken bedienen.
3. Steigerung der Attraktivität des Berufs: Autonome Busse können den Beruf des Busfahrers attraktiver machen, indem sie ihn von monotonen Fahraufgaben entlasten. Stattdessen können sich die Fahrer auf Serviceleistungen und Kundenbetreuung konzentrieren, was das Berufsbild aufwertet.
4. Erhöhung der Effizienz und Zuverlässigkeit: Autonome Busse können dazu beitragen, den ÖPNV effizienter und zuverlässiger zu gestalten. Sie können optimal geplante Routen fahren, Staus vermeiden und pünktlich an Haltestellen ankommen, was die Kundenzufriedenheit erhöht.
5. Senkung der Betriebskosten: Da autonome Busse ohne Fahrer auskommen, können sie langfristig die Betriebskosten des ÖPNV senken. Dies kann zu stabileren Ticketpreisen oder sogar zu einer Ausweitung des Angebots führen, insbesondere in ländlichen Gebieten.
6. Beitrag zur Verkehrswende: Autonomer Nahverkehr kann einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende leisten. Durch die effizientere Nutzung von Ressourcen und die Reduzierung von Emissionen kann er dazu beitragen, den Verkehr nachhaltiger zu gestalten.
On Demand-Fahrdienste sind also mit hoher Wahrscheinlichkeit ein wichtiger Schlüssel für die Lösung der Herausforderungen im ÖPNV. Vor wenigen Nachrichten kam die Nachricht, dass ein Projekt einer Bahn-Tochter mit ioki und Mobileye ein Level-4-Fahrzeug auf die Straße bringt: Das Pilotprojekt KI-basierter Regelbetrieb autonomer On-Demand-Verkehre in Hessen.
Projekt KIRA: Ein erster Schritt in Richtung autonomer ÖPNV
Das Pilotprojekt KIRA zeigt, wie autonomes Fahren den öffentlichen Nahverkehr in Deutschland verändern könnte. Seit Juni 2024 sind zwei autonome Shuttles in Darmstadt und Offenbach unterwegs. Sie fahren auf Level 4, d.h. sie können in definierten Gebieten ohne menschliche Eingriffe fahren, allerdings ist in der Testphase noch ein Sicherheitsfahrer an Bord – und keine Passagiere.
Und: zusätzlich gibt es in der Phase mindestens bis Jahresende 2024 eine Fernüberwachung des Fahrzeugs – es kümmern sich also für die Fahrt auf der immer gleichen Strecke über wenige Kilometer zwei Menschen rund um die Uhr um die Sicherheit dieses vom Kraftfahrtbundesamt als Level 4 zertifizierten Fahrzeugs.
Und das, während in den USA und China bereits kommerzielle Dienstleister wie AutoX unterwegs sind.
Wie funktioniert KIRA?
Die Shuttle-Fahrzeuge vom Typ NIO ES8 – sind mit einem komplexen System von Sensoren, Kameras und Software ausgestattet, das es ihnen ermöglicht, ihre Umgebung wahrzunehmen und Entscheidungen zu treffen. Konkret geht es um die Lösung für autonomes Fahren von Mobileye.
Sie nutzen hochauflösende Karten und GPS-Daten, um ihre Position zu bestimmen und ihre Route zu planen. Die Fahrmanöver werden von einer künstlichen Intelligenz gesteuert, die ständig dazulernt und sich an neue Situationen anpassen kann.
Mobileye verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz für autonomes Fahren, der auf leistungsstarken EyeQ-Chips, der REM-Technologie für hochauflösende Karten und engen Partnerschaften mit Automobilherstellern basiert. Das Unternehmen setzt auf eine Kombination aus Kameras, Radar und Lidar-Sensoren, um ein möglichst umfassendes Bild der Umgebung zu erhalten.
Ziele und Herausforderungen
Das Ziel von KIRA ist es, die Tauglichkeit der autonomen Technologie für den ÖPNV-Regelbetrieb unter Beweis zu stellen, insbesondere in ländlichen und suburbanen Gebieten. Die Shuttles sollen später als On-Demand-Service angeboten werden, um eine flexible und bedarfsgerechte Mobilität zu ermöglichen.
Doch der Weg zum flächendeckenden Einsatz autonomer Busse ist noch weit. Neben technischen Herausforderungen wie der zuverlässigen Erkennung von Hindernissen und der sicheren Navigation in komplexen Verkehrssituationen gibt es auch rechtliche und gesellschaftliche Fragen zu klären. So müssen beispielsweise Haftungsfragen geklärt und die Akzeptanz in der Bevölkerung erhöht werden.
Ein winziger, erster Schritt in die Zukunft
Obwohl das Shuttle in der Lage ist, auf Level 4 autonom zu fahren, gibt es dennoch erhebliche Einschränkungen unter bestimmten Bedingungen.
- Feste Route: Das Shuttle fährt nur eine vordefinierte Strecke ab, was den Autonomiegrad stark einschränkt.
- Ständige Überwachung: Ein Sicherheitsfahrer und ein technisches Kontrollzentrum überwachen das Fahrzeug permanent und können jederzeit eingreifen.
- Keine Passagiere: In der Pilotphase sind keine Fahrgäste an Bord, was den Realitätsbezug des Tests einschränkt.
Angesichts der genannten Beschränkungen stellt sich die Frage, ob KIRA wirklich als autonomer Nahverkehr bezeichnet werden kann. Es handelt sich vielmehr um einen Versuchsbetrieb unter strengen Bedingungen, der wertvolle Erkenntnisse liefern kann, jedoch noch weit von einer tatsächlichen Anwendung im öffentlichen Nahverkehr entfernt ist.
Die finanzielle Förderung von 2,2 Millionen Euro seitens des BMDV und des Landes Hessen wirft zusätzlich Fragen hinsichtlich der Effizienz und des Kosten-Nutzen-Verhältnisses des Projekts auf. Es bleibt offen, ob die Erkenntnisse aus KIRA tatsächlich zu einer zügigen und umfassenden Implementierung autonomer Busse im öffentlichen Nahverkehr führen werden.
Dennoch sollte die Bedeutung von KIRA nicht unterschätzt werden. Es ist ein wichtiger Schritt, um die Technologie in Deutschland zu erproben und weiterzuentwickeln. Die Erfahrungen aus diesem Pilotprojekt können dazu beitragen, die technischen und rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz autonomer Fahrzeuge im ÖPNV zu schaffen.
Hamburg, Berlin, Leipzig auf der Suche nach dem heiligen Gral
Hamburg und Berlin haben gerade bekanntgegeben, bei Mobilität – also bei Apps und autonomem Fahren – eng zusammenarbeiten zu wollen. Die Städte testen beide Systeme wie das Telefahrer-System von Vay, das den Fahrer im Auto durch einen Fahrer in einem Industriegebäude ersetzt.
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Berlin oder Leipzig bieten bereits On-Demand-Verkehre mit Fahrer an, wie die Beispiele Muvo und Flexa zeigen. Mit solchen Angeboten werden die Bürger*innen an das autonome Fahren schrittweise herangeführt. Der Gewöhnungseffekt bei Weglassen des Fahrers dürfte stärker sein als die Ungewissheit vor einem neuen System.
Motor AI: Bald autonom On-Demand in Berlin?
Aussichtsreich erscheint letztlich auch die Lösung des Berliner KI-Startups Motor AI. Das Unternehmen setzt – ähnlich wie Tesla – beim autonomen Fahren auf eine Technologie, die sich „menschlich“ verhält und so auch komplexe Situationen bewältigen kann. Motor AI hat sich darauf spezialisiert, das Busfahrerproblem bzw. das Problem der Anbindung des ländlichen Raumes an den ÖPNV zu lösen. Auch die Berliner haben ein Level-4-Konzept, das kurz vor dem Einsatz steht.
Weitere Projekte im Überblick:
- HEAT (Hamburg Electric Autonomous Transportation): In Hamburg testet die Hochbahn AG seit 2019 autonome Kleinbusse im regulären Straßenverkehr. Die elektrisch betriebenen Shuttles fahren auf einer festgelegten Route im Stadtteil HafenCity und bieten Platz für bis zu 10 Fahrgäste. Das Projekt HEAT zielt darauf ab, Erfahrungen im realen Betrieb zu sammeln und die Technologie weiterzuentwickeln.
- EMMA (Elektro-Mobil-autonom für München): In München ist seit 2020 der autonome Shuttlebus EMMA auf dem Klinikgelände des Klinikums rechts der Isar unterwegs. Das Fahrzeug fährt auf einer festgelegten Route und transportiert Patienten, Besucher und Mitarbeiter. EMMA ist ein Beispiel für den Einsatz autonomer Fahrzeuge in einem geschlossenen Bereich, wo die Bedingungen kontrollierter sind als im öffentlichen Straßenverkehr.
- Bad Birnbach: Im niederbayerischen Kurort Bad Birnbach fährt seit 2017 ein autonomer Bus im Linienverkehr. Der „EZ10“ von EasyMile transportiert Fahrgäste auf einer 6 Kilometer langen Strecke durch den Ort. Das Projekt ist ein Beispiel für den erfolgreichen Einsatz autonomer Busse im ländlichen Raum, wo der öffentliche Nahverkehr oft unterentwickelt ist.
- Testfeld Autobahn: Auf der A9 in Bayern wurde ein Testfeld für autonomes Fahren eingerichtet. Hier erproben verschiedene Unternehmen und Forschungseinrichtungen autonome Fahrzeuge unter realen Bedingungen. Das Testfeld bietet eine wichtige Plattform für die Entwicklung und Erprobung neuer Technologien.
- Digitale Testfeld Autobahn (DTA): Das DTA ist ein weiteres Testfeld für autonomes Fahren in Deutschland. Es erstreckt sich über mehrere Autobahnen und Bundesstraßen und ermöglicht es Unternehmen, ihre Technologien unter realen Bedingungen zu testen. Das DTA ist ein wichtiger Bestandteil der deutschen Strategie zur Förderung des autonomen Fahrens.
Diese Beispiele zeigen, dass in Deutschland mittlerweile zahlreiche Initiativen und Projekte zum autonomen Nahverkehr laufen. Sie verdeutlichen das große Potenzial dieser Technologie, den ÖPNV zu verbessern und den Busfahrermangel zu lindern. Allerdings sind noch viele Herausforderungen zu bewältigen, bevor autonome Fahrzeuge flächendeckend eingesetzt werden können.
Was sagt die Wissenschaft zu autonomem ÖPNV?
Die Meinungen gehen weit auseinander. Hier eine Übersicht über einige Statements von anerkannten Professoren rund um autonomen ÖPNV:
Prof. Dr. Barbara Lenz (Technische Universität München): „Autonome Fahrzeuge haben das Potenzial, die Verkehrssicherheit deutlich zu erhöhen, da sie nicht müde werden, nicht abgelenkt sind und Verkehrsregeln konsequent einhalten.“
Dr. Thomas Becker (VDV): „Autonome Busse können den ÖPNV effizienter und kostengünstiger machen, da sie ohne Fahrer auskommen und flexibler eingesetzt werden können.“
Dr. Weert Canzler (WZB Berlin): „Autonomer Nahverkehr kann dazu beitragen, die Mobilität in ländlichen Gebieten zu verbessern, wo der öffentliche Nahverkehr oft unterentwickelt ist.“
Prof. Dr. Claudia Kemfert (DIW Berlin): „Autonomer Nahverkehr kann einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende leisten, indem er den Individualverkehr reduziert und die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel attraktiver macht.“
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Prof. Dr. Armin Grunwald (KIT): „Die Sicherheit autonomer Fahrzeuge ist noch nicht vollständig gewährleistet. Es gibt noch viele ungelöste Fragen, insbesondere im Umgang mit komplexen Verkehrssituationen und unvorhersehbaren Ereignissen.“
Frank Bsirske (ehemaliger Verdi-Chef): „Die Einführung autonomer Busse könnte zum Verlust von Arbeitsplätzen im ÖPNV führen. Es ist wichtig, soziale Folgen zu berücksichtigen und Lösungen für die betroffenen Arbeitnehmer zu finden.“
Prof. Dr. Peter Schaar (ehemaliger Bundesbeauftragter für Datenschutz): „Autonome Fahrzeuge sammeln große Mengen an Daten über ihre Umgebung und die Fahrgäste. Es ist wichtig, den Datenschutz und die Datensicherheit zu gewährleisten und Missbrauch zu verhindern.“
Prof. Dr. Andreas Knie (TU Berlin): „Die Entwicklung und Einführung autonomer Fahrzeuge ist mit hohen Kosten verbunden. Es ist fraglich, ob diese Kosten durch Einsparungen beim Personal und höhere Effizienz ausgeglichen werden können.“
Wissenschaftliche Untersuchungen Pro und Contra autonomes Fahren
Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Studien zum Thema autonomer Nahverkehr, die zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Drei besonders relevante Studien:
„Autonomous vehicles and the future of urban tourism“ (2023): Diese Studie untersucht die Auswirkungen autonomer Fahrzeuge auf den städtischen Tourismus. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass autonome Fahrzeuge das Potenzial haben, den Tourismus zu verändern, indem sie neue Transportmöglichkeiten bieten und die Erreichbarkeit von Sehenswürdigkeiten verbessern. Allerdings könnten sie auch negative Auswirkungen haben, wie z.B. Verkehrsstaus und eine Abnahme der Nachfrage nach traditionellen Verkehrsmitteln.
„Public Acceptance of Autonomous Buses: A Case Study of Two Field Trials“ (2023): Diese Studie untersucht die öffentliche Akzeptanz von autonomen Bussen anhand von zwei Feldversuchen in Europa. Die Ergebnisse zeigen, dass die Akzeptanz von autonomen Bussen von verschiedenen Faktoren beeinflusst wird, wie z.B. dem wahrgenommenen Nutzen, der Sicherheit und dem Vertrauen in die Technologie. Die Studie betont die Bedeutung von öffentlicher Beteiligung und Kommunikation, um die Akzeptanz von autonomen Bussen zu fördern.
„Safety and security of autonomous vehicles: A systematic literature review“ (2021): Diese Studie untersucht die Sicherheit und Zuverlässigkeit autonomer Fahrzeuge. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass autonome Fahrzeuge das Potenzial haben, die Verkehrssicherheit zu verbessern, da sie menschliche Fehler reduzieren können. Allerdings gibt es noch viele ungelöste Fragen, insbesondere im Hinblick auf die Interaktion mit anderen Verkehrsteilnehmern und die Reaktion auf unvorhergesehene Ereignisse.
Ausblick: ein langer Weg mit vielen Unbekannten
Die Vision eines flächendeckenden autonomen Nahverkehrs, der den Busfahrermangel löst und ländliche Regionen besser anbindet, ist verlockend. Doch der Weg dorthin ist noch weit und steinig.
Trotz der Fortschritte in der Technologie bleiben technische Herausforderungen bestehen. Autonome Fahrzeuge müssen in der Lage sein, komplexe Verkehrssituationen zu meistern, unvorhergesehene Ereignisse zu bewältigen und mit anderen Verkehrsteilnehmern sicher zu interagieren. Die Sicherheit von Fahrgästen und anderen Verkehrsteilnehmern hat oberste Priorität und darf nicht aufs Spiel gesetzt werden.
Neben den technischen Hürden gibt es auch rechtliche und gesellschaftliche Fragen zu klären. Wer haftet bei Unfällen mit autonomen Fahrzeugen? Wie werden Datenschutz und Privatsphäre der Fahrgäste gewährleistet? Und wie wird die Öffentlichkeit auf diese neue Technologie reagieren? Die Akzeptanz autonomer Fahrzeuge in der Gesellschaft ist entscheidend für ihren erfolgreichen Einsatz.
Während in Deutschland Pilotprojekte wie KIRA erste Schritte in Richtung autonomer Nahverkehr machen, sind andere Länder bereits weiter. In China sind autonome Busse in einigen Städten bereits im Regelbetrieb unterwegs, und auch in den USA gibt es fortgeschrittene Projekte. Israel gilt als Vorreiter in der Entwicklung autonomer Fahrzeugtechnologie und hat bereits mehrere Unternehmen hervorgebracht, die weltweit führend sind.
… und welche politischen Maßnahmen braucht es?
Deutschland hat bereits im Jahr 2021 ein Gesetz zum autonomen Fahren verabschiedet, das den Einsatz von Fahrzeugen ohne Fahrer auf öffentlichen Straßen grundsätzlich erlaubt. Damit ist Deutschland weltweit eines der ersten Länder, das einen rechtlichen Rahmen für autonomes Fahren geschaffen hat. Das Gesetz regelt unter anderem die Haftung bei Unfällen, die Zulassung von Fahrzeugen ohne Fahrer und die technischen Anforderungen an autonome Systeme. Es sieht auch eine ständige Überwachung des Betriebs durch eine technische Aufsicht vor.
Allerdings gibt es noch einige offene Fragen, insbesondere im Hinblick auf die konkrete Umsetzung des Gesetzes und die Harmonisierung mit europäischen Regelungen. Dennoch ist das Gesetz ein wichtiger Schritt, um den Einsatz autonomer Fahrzeuge im ÖPNV zu ermöglichen und die Entwicklung dieser Technologie in Deutschland voranzutreiben.
Klare und transparente Haftungsregeln sind unerlässlich, um sowohl Hersteller als auch Betreiber zu schützen und das Vertrauen der Öffentlichkeit zu stärken.
Darüber hinaus sollte die Politik Forschung und Entwicklung fördern, indem sie Forschungsprojekte finanziell unterstützt und Testfelder sowie Reallabore schafft, in denen Unternehmen und Forschungseinrichtungen autonome Fahrzeuge unter kontrollierten Bedingungen erproben können.
Infrastrukturmaßnahmen sind ebenfalls von großer Bedeutung. Der Ausbau der digitalen Infrastruktur, einschließlich eines flächendeckenden 5G-Netzes, präziser digitaler Karten und einer zuverlässigen Kommunikation zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur, ist eine Grundvoraussetzung.
Zudem muss die Verkehrsinfrastruktur an die Bedürfnisse autonomer Fahrzeuge angepasst werden, beispielsweise durch spezielle Fahrspuren, intelligente Ampelsysteme und eine verbesserte Beschilderung.
Die Förderung der Akzeptanz in der Bevölkerung ist ein weiterer wichtiger Aspekt. Informationskampagnen können dazu beitragen, die Öffentlichkeit über die Vorteile und Chancen autonomer Fahrzeuge aufzuklären und Bedenken auszuräumen. Die Einbindung der Öffentlichkeit in den Entscheidungsprozess und eine transparente Kommunikation über die Entwicklung und den Einsatz autonomer Fahrzeuge sind entscheidend, um Akzeptanz und Vertrauen zu schaffen.
Schließlich müssen auch die Ausbildungsberufe im Bereich Verkehr und Logistik an die neuen Anforderungen des autonomen Fahrens angepasst werden, beispielsweise durch neue Lehrinhalte zu künstlicher Intelligenz, Sensorik und Datenanalyse. Weiterbildungsangebote für Beschäftigte im ÖPNV sind ebenfalls wichtig, um sie auf den Umgang mit autonomen Fahrzeugen vorzubereiten.
Durch eine Kombination dieser Maßnahmen kann die Politik dazu beitragen, den Einsatz autonomer Fahrzeuge im ÖPNV zu fördern und die damit verbundenen Chancen für eine nachhaltige und zukunftsfähige Mobilität zu nutzen.
Fazit: Ein langer Weg vor uns
Autonomer Nahverkehr hat das Potenzial, den ÖPNV zu revolutionieren und viele Probleme zu lösen. Doch bis zur flächendeckenden Einführung dieser Technologie ist es noch ein langer Weg. Es braucht weitere Forschung und Entwicklung, klare rechtliche Rahmenbedingungen und eine breite gesellschaftliche Akzeptanz.
Deutschland sollte sich nicht auf den Erfolgen anderer Länder ausruhen, sondern die Entwicklung aktiv vorantreiben und gleichzeitig die damit verbundenen Herausforderungen kritisch betrachten. Nur so kann autonomer Nahverkehr zu einer echten Lösung für den Busfahrermangel und zu einem wichtigen Baustein für eine nachhaltige Mobilität werden.
Einschätzung von Autor Martin Jendrischik: Autonomer Nahverkehr wird in den USA oder China früher eine relevante Rolle spielen als in europäischen Städten. Aber der Druck, auch hierzulande die Probleme in den Griff zu bekommen, sind gewaltig. Die Verkehrswende verlangt, dass weniger Autos auf den Straßen unterwegs sind. Das kann durch Sharing-Modelle gelingen. Gerade Pendler können durch geschickte Lösungen zum Umstieg bewegt werden.
Dazu gilt es, das Busfahrerproblem zu lösen – das übrigens in ganz Europa dringend eine Lösung braucht. Hier fehlen 200.000 Busfahrer*innen. Ansonsten droht eine weitere Teufelsspirale. Die Einstellungsoffensive des VDV ist ein guter Schritt. Weitere müssen folgen.
Aber: Zuerst müssen Mobileye, Motor AI oder Tesla die technologischen Herausforderungen lösen. Spannend wird, was Tesla – von vielen als Platzhirsch angesehen – am 8. August verkünden wird. Und, wie schnell die Ausweitung der Dienste von AutoX oder Waymo in China und den USA weitergehen wird. Und natürlich, wann Europa zur Aufholjagd ansetzt – jenseits von KIRA, einem Projekt das noch weit entfernt von einem flächendeckenden Einsatz scheint.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.