Hat der Haushaltsausschuss falsch entschieden? Die Pro- und Contra-Argumente im Elektroflugzeug-Streit
Droht Deutschland einen Pionier der elektrischen Luftfahrt zu verlieren? Das Elektroflugzeug-Startup Lilium bangt um seine Zukunft, nachdem der Haushaltsausschuss eine 50 Millionen Euro Bürgschaft abgelehnt hat. FDP und Grüne stehen sich in dieser Frage unversöhnlich gegenüber. Ein wichtiger Testfall für Deutschlands Innovationskraft – und ein politisches Risiko. Macht das Cleantech-Unternehmen ernst und geht Lilium nach Frankreich – und nimmt wertvolles Know-how und zukunftsträchtige Arbeitsplätze mit?
2016 schrieb ich die erste Geschichte über die „Straße der Zukunft: Cleantech-Unternehmen verändern den Luftraum.“ Damals ahnte ich noch nicht, dass eines dieser Unternehmen, Lilium Aviation, einmal im Zentrum eines heftigen politischen Streits stehen würde. Denn das Elektroflugzeug-Startup braucht dringend frisches Kapital, um mit zwei seiner Flugzeuge im kommenden Jahr in die Zulassungskampagne zu starten und den ersten bemannten Flug erreichen zu können.
Dem Vernehmen nach sind die international angesehenen Investoren bereit, Lilium auf dem Weg zum weltweit wichtigsten Elektroflugzeug-Hersteller zu unterstützen. Aber nur dann, wenn es einen fairen Wettbewerb gibt. „Es gibt keinen erfolgreichen Flugzeughersteller auf der Welt, der ohne staatlichen Support ausgekommen ist“, argumentiert Lilium-Mitgründer Daniel Wiegand (Linkedin). „Volocopter und Lilium sind global die einzigen, die noch nicht hunderte Millionen an staatlicher Unterstützung erhalten haben.“
Die Investoren sehen auf Basis dieser „Wettbewerbsverzerrung“ ein zu hohes Risiko, weiteres Geld in Lilium zu stecken. Ein Rückzug der Investoren würde das Aus für Lilium und den Verlust von hunderten Arbeitsplätzen bedeuten. Daher wird seit zwei Jahren mit dem Bund und dem Land Bayern über einen staatlichen KfW-Kredit über insgesamt 100 Millionen Euro verhandelt. Bayern hat „Ja“ gesagt, der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags „Nein“. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder attackiert deshalb „Die Grünen“ als Übeltäter.
FDP dafür, Grüne dagegen: Seltsam, seltsam
FDP dafür, Grüne dagegen: Diese Positionierung im Streit um die Lilium-Bürgschaft überrascht. Schließlich sind es ausgerechnet die marktliberalen Freien Demokraten, die dem Elektroflugzeug-Bauer unter die Arme greifen wollen. Noch vor kurzem hatte Bundesfinanzminister Christian Lindner eine staatliche Unterstützung in ähnlichem Umfang für den Solarzellenhersteller Meyer Burger verwehrt. Das Cleantech-Unternehmen musste in der Folge Arbeitsplätze abbauen und die Zellfertigung einstellen.
Aus Kreisen der Koalition wurde dem BR zugetragen, dass vor allem bei FDP und Grünen der Widerstand gegen die Bundeshilfe sehr groß gewesen sei. Während FDP-Parteichef Lindner die Fraktion aber am Ende mehrheitlich überzeugen konnte, stemmte sich die Grüne Bundestagsfraktion dagegen. Die SPD, und allen voran Bundeskanzler Olaf Scholz, hätten die Hilfe für Lilium gewährt.
Im Gegensatz dazu sprechen sich nun ausgerechnet die Grünen, die sich sonst für innovative und klimafreundliche Technologien stark machen, gegen eine Unterstützung von Lilium aus. Keine Bürgschaft! Beiden Parteien müsste doch klar sein, dass Deutschland zukunftsfähige Arbeitsplätze braucht – und diese auch entscheidend von einer Willkommenskultur für Innovationen abhängen.
Haben die grünen Politiker also womöglich die Bedeutung von Lilium für den Standort Deutschland unterschätzt? Und verkennen sie das Potenzial der Elektroflugzeuge für eine nachhaltige Mobilität der Zukunft? Immer wieder geistert durch die Medien, Lufttaxis seien nur Spielzeuge für Reiche. Aber ist das wirklich der Ansatz von Lilium?
Worum es wirklich geht: Um ein Ökosystem rund um die elektrische Fliegerei
Das in München 2015 gegründete Cleantech-Unternehmen will der weltweit führende Elektroflugzeughersteller werden. Daher haben die Münchener ihren elektrischen Jet als „regionales Shuttleflugzeug“ konzipiert.
Im Hintergrund hat es bereits ein Projekt mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt beantragt für die Vorentwicklung eines regionalen Airliners mit 80 bis 100 Passagieren. Mit diesem will das Unternehmen in zehn Jahren 1.000 Kilometer und in 20 Jahren 2.000 Kilometer batterieelektrisch fliegen
Die Frage ist also: Ist der Staat gewillt, den Weg der elektrischen Luftfahrt mitzugehen, oder nicht. Die Zeichen der Zeit sind eigentlich klar: Reiner grüner Wasserstoff, der das Luftfahrtproblem lösen könnte, ist auf absehbare Zeit kaum oder nicht vorhanden. Sogenannte SAF etwa aus Abfällen können das Problem nicht lösen. Der Aufbau von Power-to-Liquids-Kerosin dauert sehr lange und verschlingt viele Ressourcen.
Gegensätzlich dazu entwickelt sich die Batterietechnologie. Je mehr der heutigen Flugkilometer durch elektrifizierte Flugzeuge oder etwa Bahn-Transport ersetzt werden können, umso realistischer wird, dass etwa die Langstrecken mit synthetischem Kerosin zurückgelegt werden können. Aber dafür muss eine Luftfahrtindustrie entwickelt werden, die Elektrifizierung komplett neu denkt und anpackt.
Ob Lilium Aviation hier der Player ist, der genau dieses Neudenken betreibt und langfristig ein neues Airbus werden wird, weiß heute wohl niemand. Aber wie groß ist die „Wette“? Mit 100 Millionen Euro Kredit- bzw. Bürgschaft doch verhältnismäßig gering. Der neue Sektor wird im Kern über privates Kapital aufgebaut, nicht über staatliche Subventionen. Daran würde auch ein KfW-Kredit des Bundes von 100 Millionen Euro, für den der Freistaat Bayern zur Hälfte bürgt, nichts ändern.
Ein weiteres Kernargument, das völlig unterschlagen wird, ist: Lilium hat zusammen mit Customcells Batteriepacks entwickelt, die jetzt die erste Stufe elektrischen Fliegens sicherstellen. Das ist nur ein Beispiel für das Ökosystem, das sich rund um das Cleantech-Unternehmen bereits gebildet hat. Und das mit starkem Deutschland-Bezug.
PRO-Argumente für eine staatliche Förderung von Lilium:
- Hohes Auftragsvolumen: Lilium hat nach eigener Aussage 106 bindende Vorbestellungen im Wert von ca. 1 Milliarde Dollar. Dies deutet auf ein starkes Marktinteresse und eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit hin.
- Signalwirkung für Investoren: Eine staatliche Förderung würde das Vertrauen privater Investoren stärken und weitere Investitionen in Lilium ermöglichen.
- Sicherung von Arbeitsplätzen: Lilium beschäftigt rund 500 hochqualifizierte Luftfahrtingenieure in Deutschland. Eine Förderung würde diese Arbeitsplätze sichern und den Technologiestandort Deutschland stärken.
- Förderung von Innovation: Lilium ist ein deutsches Unternehmen mit einer innovativen Technologie. Eine staatliche Förderung würde die Entwicklung dieser Zukunftstechnologie unterstützen und Deutschland im internationalen Wettbewerb stärken.
- Klimafreundliche Technologie: Lilium entwickelt Elektroflugzeuge, die einen wichtigen Beitrag zur Dekarbonisierung der Luftfahrt leisten können. Eine Förderung würde den Klimaschutz unterstützen.
- Vergleichbare Förderungen in anderen Ländern: Die Konkurrenz von Lilium, wie z.B. Joby Aviation, hat bereits staatliche Förderung erhalten. Eine Förderung von Lilium würde gleiche Wettbewerbsbedingungen schaffen.
- Erfolgsgeschichte Airbus als Vorbild: Airbus hat in der Vergangenheit Milliardenkredite von europäischen Staaten erhalten und ist heute der weltweit führende Flugzeughersteller. Eine Förderung von Lilium könnte eine ähnliche Erfolgsgeschichte ermöglichen.
- Langfristige Vision: Lilium plant langfristig die Entwicklung eines elektrischen Linienfliegers mit großer Reichweite, der einen erheblichen Beitrag zur Dekarbonisierung der Luftfahrt leisten könnte.
- Greifbare Realität: Lilium hat bereits zwei Flugzeuge in der Endmontage und plant den ersten bemannten Flug für Q1 2025.
- Internationales Interesse: Lilium hat Kunden in den USA, Großbritannien, Frankreich, Saudi-Arabien und vielen anderen Ländern. Frankreich hat bereits erhebliche Förderungen in Aussicht gestellt, wenn Lilium einen zweiten Standort in Frankreich eröffnet.
CONTRA-Argumente gegen eine staatliche Förderung von Lilium:
- Risiko für Steuergelder: Lilium ist ein Startup mit einem hohen Risikoprofil. Es ist nicht sicher, ob das Unternehmen jemals wirtschaftlich erfolgreich sein wird. Eine staatliche Förderung birgt das Risiko, dass Steuergelder verloren gehen.
- Fehlende Transparenz: Die Entscheidung über die Förderung von Lilium erfolgt nicht im Rahmen eines transparenten Bewertungsverfahrens, wie es z.B. bei der Agentur für Sprunginnovationen (Sprind) der Fall ist.
- Zweifel am Nutzen: Es ist fraglich, ob Flugtaxis tatsächlich einen sinnvollen Beitrag zur Lösung von Verkehrsproblemen leisten können. Sie könnten zu einer zusätzlichen Belastung des Luftraums und zu Lärmbelästigung führen.
- Hoher Energieverbrauch: Flugtaxis verbrauchen viel Energie, insbesondere beim senkrechten Start und Landen. Dies könnte zu einem erhöhten Strombedarf führen und den Ausbau erneuerbarer Energien zusätzlich belasten.
- Alternative Fördermöglichkeiten: Es gibt bereits andere Förderprogramme für Unternehmen im Bereich der Elektromobilität. Lilium könnte versuchen, auf diese Programme zuzugreifen.
- Fokus auf „First-of-a-kind“ Finanzierung: Der Staat sollte sich laut Christian Vollmann, Gründer und CEO von C1 Green Chemicals AG, darauf konzentrieren, Finanzierungslücken für Startups zu schließen, die von der Pilotphase in die kommerzielle Phase übergehen wollen.
- Markt entscheiden lassen: Anstatt einzelne Unternehmen zu fördern, sollte der Staat „mehrere Pferde ins Rennen schicken“ und den Markt entscheiden lassen, welche Technologie sich durchsetzt.
- Fragwürdige Technologie: Lilium benötigt „by design“ eine weitaus höhere Energiedichte der Batterien als z.B. Volocopter. Es ist fraglich, ob diese Technologie zukunftsfähig ist.
- Mangelnde Systemrelevanz: Lilium ist nicht systemrelevant und eine Staatsbürgschaft daher nicht gerechtfertigt.
Fazit: Deutschland sollte Lilium trotzdem helfen
Ich persönlich war lange skeptisch bei dem Gedanken, dass Bund und Land Steuergeld in die Rettung von Lilium stecken. Auch Volocopter forderte eine ähnliche Hilfe – Aiwanger blockierte das und letztlich konnte das Unternehmen weiteres privates Kapital einwerben, um die nächsten Schritte machen zu können.
Mittlerweile bin ich davon überzeugt, dass die Bundesregierung bzw. der Bundestag eine Hilfe für Lilium bewilligen sollte. Aber ganz klar gebunden an die Erreichung der nächsten Meilensteine: Start der Zulassungskampagne und erster, bemannter Flug in 2025.
Denn einige Argumente des Unternehmens und das der SPD sind besonders stichhaltig: Deutschland braucht Innovationen in Zukunftsmärkten, um Wohlstand zu erhalten bzw. neuen Wohlstand zu schaffen. Dass das mit Flugtaxis gelingt, bezweifle ich komplett. Aber: Es kann mit elektrischer Luftfahrt gelingen. Exakt hierin sehe ich das stärkste Argument PRO Bürgschaft für Lilium.
Das Unternehmen hat die Köpfe zusammen, die die Luftfahrt maßgeblich elektrifizieren können. Und die elektrifizierte Luftfahrt ist dank der rapide sich entwickelnden Batterietechnologie möglich geworden. Das ist genau die Wette, auf die Lilium seit 2015 gesetzt hat. Damals war das meilenweit entfernt. Heute nicht mehr – genau deshalb sollte jetzt nicht der Stecker gezogen werden.
Ich appelliere daher an die Politiker im Haushaltsausschuss, die Entscheidung „Keine Bürgschaft für Lilium“ nochmals zu überdenken.
Weitere Medienartikel zur Debatte:
- Handelsblatt: Gleichwohl ist es verkehrt, diese nicht zu gewähren.
- Süddeutsche Zeitung: „Ein bitterer Tag für Oberpfaffenhofen“
- WELT: Debatte über Staatshilfe für Flugtaxi-Entwickler Lilium
- Süddeutsche: Bund verweigert Lilium Staatshilfe
- manager-magazin: Gut, dass Lilium keine Staatshilfe bekommt
- DIE ZEIT: Bei Flugtaxis soll der Staat sich raushalten
- Capital: Geplatzte Staatshilfe für Lilium: Warum das keine Katastrophe ist
- Stifted: Who should save Lilium?
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.