Wie Carbios das Plastikrecycling mit Enzymen revolutioniert: Ein tiefgehender Einblick
Enzymatisches Recycling: Carbios‘ Antwort auf die globale Plastikkrise
Die Welt versinkt im Plastikmüll: Jährlich werden 460 Millionen Tonnen produziert, aber nur 14 Prozent recycelt. Der Rest landet auf Müllhalden, wird verbrannt oder verschmutzt unsere Ozeane. Doch es gibt Hoffnung: Das französische Cleantech-Unternehmen Carbios hat eine bahnbrechende Lösung entwickelt – enzymatisches Recycling. Mittels speziell entwickelter Enzyme kann Carbios PET-Flaschen und Polyester nahezu unendlich oft wiederverwerten, ohne Qualitätsverlust. Diese innovative Technologie könnte das Plastikrecycling revolutionieren und einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der globalen Plastikkrise leisten.
In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob Carbios das PET-Recycling durch sein biologisches Verfahren revolutionieren und einen entscheidenden Beitrag zur Lösung der globalen Plastikkrise leisten kann. Die Herausforderung ist immens: Jährlich fallen weltweit 353 Millionen Tonnen Plastikmüll an, hauptsächlich Verpackungen wie Flaschen, sowie 39 Millionen Tonnen Textilfaserabfälle.
Carbios setzt dabei auf pflanzliche Super-Enzyme, die das Cleantech-Unternehmen über Jahre hinweg identifiziert und für ihre spezielle Aufgabe optimiert hat: die Zerlegung von PET, einer der meistgenutzten Kunststoffarten. Diese Mikroorganismen arbeiten äußerst effizient und können PET-Flaschen und Polyester innerhalb weniger Stunden in ihre Grundbausteine, die Monomere, zerlegen.
Diese Monomere, kleine reaktionsfreudige Moleküle, sind identisch mit denen, die zur Herstellung von neuem PET aus fossilen Rohstoffen verwendet werden. Im Falle von PET sind dies Terephthalsäure und Ethylenglykol. Bei der PET-Herstellung verbinden sich diese beiden Substanzen zu langen Polymerketten, wobei lediglich Wasser als Nebenprodukt entsteht.
Vorteil der Carbios-Technologie: PET-Recycling ohne Qualitätsverlust
Der Clou des enzymatischen Recyclings liegt in der nahezu unbegrenzten Wiederverwertbarkeit des recycelten PET, auch rPET genannt. Mindestens 20 Recyclingzyklen sind möglich, ohne dass die Qualität des Materials beeinträchtigt wird. Das rPET behält seine „jungfräuliche“ Qualität und ist in seinen Eigenschaften mit herkömmlichem, aus fossilen Rohstoffen hergestelltem PET vergleichbar. Dieser entscheidende Vorteil gegenüber dem herkömmlichen mechanischen Recycling macht das enzymatische Verfahren so attraktiv.
Dabei werden speziell entwickelte Enzyme eingesetzt, die die langen Polymerketten des PET gezielt aufspalten und in ihre ursprünglichen Bausteine, die Monomere, zerlegen. Dieser Prozess erfolgt unter milden Bedingungen und benötigt deutlich weniger Energie als herkömmliche Verfahren.
Die gewonnenen Monomere sind von hoher Reinheit und können ohne Qualitätsverlust zur Herstellung von neuem, hochwertigem PET verwendet werden. So entsteht ein geschlossener Kreislauf, in dem PET-Flaschen und Polyester immer wieder recycelt werden können, ohne dass neues Rohöl benötigt wird. Das enzymatische Recycling reduziert somit nicht nur den Plastikmüll, sondern schont auch wertvolle Ressourcen und trägt zur Verringerung des CO2-Fußabdrucks bei.
Lizenzierung an Pepsi oder L’Oreal
Das französische Cleantech-Unternehmen hat einen klaren Plan, um seine innovative Recycling-Technologie in die umweltfreundliche Plastikwirtschaft zu integrieren: Seit 2023 wird die Technologie an andere Unternehmen lizenziert. Dies kommt zur rechten Zeit, da die EU-Regulierung ab 2025 einen Mindestanteil von 25 Prozent recyceltem Plastik in PET-Flaschen vorschreibt. Und zahlreiche Markenartikler sind an Bord, um die Lösung zu verwenden.
Angesichts der begrenzten Kapazitäten für mechanisches Recycling in bestehenden Industrieanlagen sind große Markenartikler wie Pepsi und L’Oreal äußerst interessiert an der Lösung von Carbios. Die enzymatische Recyclingtechnologie könnte ihnen dabei helfen, die neuen gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen und gleichzeitig ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.
Forschung, Forschung, Forschung
Wie forschungsgetrieben Carbios ist, zeigt die rasche Abfolge der Durchbrüche und Erfolge der vergangenen Jahre.
- Es war April 2020 als erstmals in einem Nature-Artikel über ein plastikfressendes Enzym informiert wurde.
- Im November 2020 präsentierte der Spezialist eine durchsichtige Flasche, für die Textilabfälle verwendet wurden.
- Im April 2021 bewies das Team, dass auch eine technische Faser aus Recyclingmaterial hergestellt werden kann, die Partner Michelin für die Reifenherstellung einsetzen kann.
- Der Durchbruch für rPET gemeinsam mit Pepsi und L’Oreal folge im Juni 2021.
Eines ist klar: Die Wissenschaftler im mittlerweile 100-köpfigen Team bzw. die Partner bei hochkarätigen Universitäten werden erst Ruhe geben, wenn alle Plastiksorten enzymatisch recycelt werden können.
Weitere Informationen über die Erfolge des Unternehmens finden Sie in unserem News-Archiv. Alternativ auch direkt im Newsroom auf der Unternehmenswebseite.
Skalierung für die Zukunft: Von der Forschung zur industriellen Anwendung
Die rasante Weiterentwicklung der Carbios-Technologie wird deutlich, wenn man bedenkt, dass die Enzyme, die heute in der Demonstrationsanlage eingesetzt werden, bereits effizienter sind als die 2020 im renommierten Wissenschaftsmagazin Nature vorgestellten. Diese Demonstrationsanlage ist darauf ausgelegt, schrittweise auf einen industriellen Maßstab skaliert zu werden.
Aber die Kommerzialisierung geht weiter: Die Kosten für eine Anlage mit einer Kapazität von 50.000 Tonnen Plastik werden auf etwa 200 Millionen Euro geschätzt. Parallel dazu arbeitet das Team um CEO Emmanuel Ladent (Linkedin) bereits an der ersten kommerziellen PET-Recycling-Anlage im industriellen Maßstab, die direkt von Carbios betrieben wird. Diese Anlage entsteht im Nordosten Frankreichs bei Indorama, einem strategisch günstigen Standort mit Zugang zu Plastikabfällen aus Frankreich, den Benelux-Staaten und Deutschland.
Lokale Abfälle für regionale Produktion
Ziel ist es genau das: Anlagen mit 50.000 bis 100.000 Tonnen Kapazität dort zu errichten, wo in einem vertretbaren Radius genügend Abfälle vorhanden sind, aber gleichzeitig auch Verarbeiter der recycelten Monomere.
Das Marktpotenzial von Carbios ist letztlich gewaltig. Als Handicap könnte sich herausstellen, dass fossil hergestelltes PET heute 1.500 Euro pro Tonne kostet, während recyceltes rPET 60 Prozent teurer ist. Allerdings klingt das viel – bei einer Shampoo-Flasche macht das im Endeffekt aber nur wenige Cent Mehrpreis aus. Alle Zeichen sprechen dafür, dass Konsumenten bereit sind, dies zu bezahlen – oder es gar nicht mitbekommen werden.
Carbios SA Aktie: Turbulente Entwicklung
Die Carbios SA Aktie hat seit Anfang 2021 eine turbulente Entwicklung erlebt. Während der Kurs anfänglich bei 42,50 Euro lag, fiel er bis Mitte 2022 auf unter 20 Euro. Im Oktober 2022, kurz vor der Inbetriebnahme der Demonstrationsanlage, setzte eine Trendumkehr ein, die den Kurs auf über 38 Euro steigen ließ.
Trotz zahlreicher erreichter Meilensteine ist der Kurs bis Juli 2024 wieder auf etwas mehr als 20 Euro gesunken. Diese Entwicklung zeigt die hohe Volatilität der Aktie und die Unsicherheit des Marktes hinsichtlich der zukünftigen Entwicklung von Carbios.
Für ein Unternehmen, das erst 100 Mitarbeiter hat und kaum Umsätze generiert, ist das ein sehr, sehr guter Wert. Das zeigt, wie viel Vertrauen das als eines der innovativsten Biotech-Unternehmen Europas gehandelte Vorzeige-Unternehmen genießt.
In den kommenden Jahren wird sich zeigen, ob Carbios seine ambitionierten Ziele erreichen und seine enzymatische Recyclingtechnologie erfolgreich skalieren kann. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Gewinnung einer Vielzahl von Lizenznehmern, um die Technologie flächendeckend zu verbreiten und einen echten Beitrag zur Lösung der globalen Plastikkrise zu leisten.
Zunächst dürften vor allem Markenartikler und Hersteller hochwertiger Produkte, die bereit sind, in nachhaltige Lösungen zu investieren, die Technologie übernehmen. Mit zunehmender Regulierung, wie beispielsweise der Ausweitung von CO2-Abgaben, und der Skalierung der Produktion, könnten die Kosten für das enzymatische Recycling sinken und die Technologie auch für andere Marktsegmente attraktiv werden.
Die erfolgreiche Etablierung des enzymatischen Recyclings wäre ein bedeutender Fortschritt im Kampf gegen die Plastikverschmutzung und ein wichtiger Schritt in Richtung einer nachhaltigeren Zukunft. Für den Recycling-Spezialisten würde dies nicht nur einen wirtschaftlichen Erfolg bedeuten, sondern auch die Erfüllung ihrer Mission, einen positiven Beitrag für die Umwelt zu leisten.
(Dieser Beitrag entstand ursprünglich am 19. Februar 2023. Letzte Überarbeitung im Juli 2024)
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.
Bei der „Überarbeitung Juli 2024“ hätte man auch weglassen können, dass die Aktie bei 37 Euro ist, das ist nämlich falsch. Sie ist nach wie vor bei 20 Euro.
Vielen Dank für den Hinweis. Die Passage wurde im Zuge der Überarbeitung selbstverständlich angepasst. Letzte Kleinigkeiten der Anpassung werden erst morgen früh für alle Leser sichtbar sein. Ich bitte um Verständnis.
Ein Hinweis: Die Aktie ist „wieder“ bei 20 Euro, nicht „nach wie vor“.
Herzliche Grüße,
Martin Jendrischik