Welche Chancen bietet Cargobeamer für den europäischen Güterverkehr?

Klimafreundlicher, intermodaler Güterverkehr ist ein kapitalintensives und langfristiges Geschäft.

Das Leipziger Cleantech-Unternehmen Cargobeamer ist ein innovativer Logistik-Dienstleister, der ein zentrales Problem des Gütertransports über die Schiene adressiert. Konkret hat das Unternehmen ein automatisiertes System entwickelt, mit dem sämtliche – auch nicht kranbare – Sattelauflieger in Terminals und mithilfe spezieller Waggonaufsätze auf Züge umgesetzt werden können. Denn: Bislang muss hierauf an den Verladestandorten oft stundenlang gewartet werden – oder es ist gänzlich unmöglich. Welche Chancen bietet diese Lösung für den europäischen Güterverkehr?

Das logistische Verlade-Problem ist einer der Gründe, warum sich der Gütertransport laut Statistischem Bundesamt wie folgt aufteilt:

  • 3100 Millionen Tonnen Güter per LKW (Straße)
  • 337 Millionen Tonnen Güter per Zug (Schiene)
  • 182 Millionen Tonnen per Schiff (Wasser)

Der Anteil der Schiene ist klein und veränderte sich in den vergangenen Jahren kaum. Der Anteil des Straßengüterverkehrs dominiert unzweifelhaft. Prognosen lassen kaum Veränderungen im Verhältnis zwischen Straße und Schiene erwarten. Aber Cleantech-Unternehmen wie Cargobeamer stemmen sich dieser Entwicklung trotzdem mit Macht entgegen und entwickeln spezifische Lösungen, um Schritt für Schritt die Probleme des Schienengütertransports in den Griff zu bekommen.

Das Cargobeamer-System besteht aus eigenen Waggons, Umschlagterminals und einer Logistiksoftware, um auch nicht-kranbaren Sattelaufliegern den Transport auf der Schiene zu ermöglichen. Die umweltfreundliche Lösung bietet für LKW-Fahrer den besonderen Vorteil, dass diese ihren Sattelauflieger einfach in einem der Terminals abstellen und direkt den nächsten Transportauftrag entgegennehmen können.

Das Unternehmen verschiebt die Auflieger von Sattelschleppern seitwärts auf die speziellen Zugwaggons an den Terminals. Dadurch entfällt die Notwendigkeit von Kranbrücken und sogenannten Einzelwaggons, die Unternehmen in den Werkshöfen beladen und über Gleisanschlüsse zu einer Sammelstelle transportieren. 38 LKW-Einheiten können in 20 Minuten verladen werden – eine Beschleunigung um den Faktor 9 im Vergleich zu klassischen Kranterminals.

Zu den führenden Köpfen, die die Technik entwickelt haben, gehört Hans-Jürgen Weidemann, ein ehemaliger Manager bei ABB. Mitbegründer des Unternehmens im Jahr 2003, war er zeitweise CEO und ist heute als Technikvorstand tätig. Er erkannte, dass nur fünf Prozent der Sattelauflieger Vorrichtungen besitzen, um sie per Kran auf einen Güterwaggon zu laden. Das Problem: Die dafür notwendigen Stahlverstärkungen sind zusätzliches Gewicht, was das Ladevolumen reduziert und den Verschleißt der LKWs erhöht. Faktisch werden daher nur etwa zwei Prozent der LKWs intermodal auf der Schiene transportiert.

Erstes vollständiges Verladeterminal in Calais

Sein bislang wichtigstes, weil vollständiges Verladeterminal betreibt Cargobeamer im französischen Calais. Konkret liegt dieser Standort an der „Ärmelkanalküste“. Die Besonderheit: Ein kompletter Güterzug kann dort innerhalb von 15 Minuten be- und entladen werden – selbst dann, wenn die LKWs über nicht kranbare Sattelauflieger verfügen. Derzeit fahren solche Züge in Deutschland, Frankreich, Italien und dem Vereinigten Königreich.

Video zeigt die Eröffnung des Verladeterminals in Calais.

Derzeit hat das Unternehmen etwa 430 Güterwagen im Einsatz – damit werden 50 Fahrten wöchentlich zwischen den Standorten realisiert.

Langfristiges Ziel ist es laut CEO Nicolas Albrecht, bis 2030 „um die 20“ Terminals zu betreiben – alleine vier bis sechs davon in Deutschland. Damit würden ungefähr 50 Routen innerhalb Europas ermöglicht. Der Plan ist also ein europäisches Netzwerk leistungsfähiger Terminals, die in festen Fahrplänen miteinander verbunden werden.

Hohe Klimawirkung durch kombinierten Verkehr

Durch die Kombination von LKW und Zug werden die Emissionen im Vergleich zum reinen Straßentransport um beeindruckende 85 Prozent reduziert. Laut zertifizierten Berechnungen spart jeder Zug 32 Tonnen CO2 ein. So entsteht eine Emissionsreduktion des durch den klimafreundlichen Güterverkehr von 34.000 Tonnen CO2 – jedes Jahr. Baut das Unternehmen seine Routen deutlich aus, trägt es somit signifikant zur Verkehrswende und zur Bekämpfung des Klimawandels bei.

Markt: Wettbewerber wie Helrom und Lohr

Wie aussichtsreich eine neue Technologie ist, zeigt sich häufig daran, ob dem Pionier weitere Anbieter in den Markt folgen. So ist beim Leipziger Logistik-Spezialisten passiert. Zu den Wettbewerbern zählt etwa die Lohr-Gruppe mit ihrem MODALOHR-System. Ein weiterer, kleiner Anbieter im Gütertransport-Segment ist Helrom aus Frankfurt/Main, das mit seinen Helrom-Wagen gänzliche auf Kräne und Terminals verzichtet, bislang aber nur wenige Strecken abdeckt.

Zu den Kunden zählen Logistik-Riesen wie Amazon Prime, DHL oder DB Schenker zu seinen Kunden. Während das Transportvolumen für LKWs auf der Schiene nach Unternehmensangaben 2023 um 15 Prozent sank, konnte das Team aus Leipzig die eigene Transportmenge um 25 Prozent ausweiten. Das adressierte Marktpotenzial wird auf 77 Milliarden Euro geschätzt – was den Sektor zunehmend relevant für Investoren macht.

Klar ist aber, dass der klassische Einzelwagenverkehr, den DB Cargo mit 1.000 Gleisanschlüssen und 144 Rangierstationen mit großem Aufwand bietet, nur langfristig und mit erheblichem Kapitaleinsatz abgelöst werden kann. „Alles, was zur Verlagerung von der Straße auf die Schiene beiträgt, ist grundsätzlich positiv zu bewerten“, sagte Ralf-Charley Schultze vom europäischen Güterbranchenverband UIRR gegenüber dem Handelsblatt. Allerdings fehle es Cargobeamer an vollständigen Netzwerken und flächendeckend verteilten Terminals. Das schränkt bislang die Konkurrenzfähigkeit ein.

Investoren stützen Cargobeamer

Seit der Gründung sind bis Mai 2024 mehr als 180 Millionen Euro Venture Capital und Private Equity in das Unternehmen eingebracht worden. Zu den Geldgebern zählt u.a. auch die Familie des heutigen CEO Albrecht, die das Family Office Nordwind Ventures für solche Investments hat. Breite Unterstützung gibt es auch aus der Industrie, etwa von den Familien Flick, Wacker, Schwarz und Klatten.

Anfang 2024 gab das Unternehmen aber eine 140 Millionen Euro Finanzierungsrunde bekannt, an der sich mit dem deutschen Eisenbahndesamt und dem Schweizer Bundesamt für Verkehr auch die öffentliche Hand mit etwa 90 Millionen Euro in Form von Förderzusagen für weitere Terminals beteiligte.

Während das operative Geschäft profitabel ist, drücken die hohen Investitionskosten das Gesamtergebnis des Logistikunternehmens ins Minus. Ein Terminal kostet rund 50 Millionen Euro – dazu investieren die Leipziger in den Bau ihrer Spezialwaggons in Bulgarien und Erfurt. 120 Mitarbeiter werden mittlerweile beschäftigt.

Zuletzt hat das Unternehmen eine Absichtserklärung für ein Terminal in Sachsen unterzeichnet – das zeigt, dass das frische Kapital in Millionenhöhe für zusätzliche Bewegung sorgt, damit mehr Verkehr von der Straße auf die Schiene verlagert werden kann. Wie erfolgreich die Firma mit einer neuen Technologie wie dieser sein kann, müssen die kommenden Jahre zeigen. Reichlich Rückhalt und vielfältige Argumente rund um Emissionseinsparungen oder Entlastung der Straße sowie von LKW-Fahrern sind vorhanden.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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