Clean Food: Alternative Proteine in Fleisch und Milch sind größte ungenutzte Klimachance
Investitionen in alternative Proteine, fermentierte und zellbasierte Lebensmittel bringen größtmöglichen Klimanutzen.
Clean Food, also nicht-tierische, alternative Proteine sowie fermentierte und zellbasierte Lebensmittel, können bei der Bekämpfung der Klimakrise eine entscheidende Rolle spielen. Der Klimanutzen pro eingesetztem Investitionskapital ist größer als bei Klimaschutztechnologien wie Erneuerbaren Energien, Wärmepumpen oder E-Autos, hat die Boston Consulting Group in einer Studie herausgefunden. Demnach sind die Investitionen in entsprechende, gesunde Nahrungsmittel der Zukunft zwar deutlich gestiegen – dennoch gelten Fleisch- und Milchalternativen als größte, ungenutzte Klimachance.
Der Begriff Clean Food wird im Bereich der Lebensmittel höchst unterschiedlich definiert, daher soll zunächst verdeutlicht werden, welche Definition in diesem Artikel zum Tragen kommt: Clean Food bzw. Alternative Proteine sind Lebensmittel, die nicht von geschlachteten oder zur Lebensmittelproduktion gezüchteten Tieren stammen und zu einer gesunden Ernährung beitragen.
Gemeint ist beispielsweise die Milchalternative, deren alternative Proteine pflanzlich und nicht tierisch sind. Im Bereich von Fleisch werden besonders drei Herstellungsmethoden unterschieden: Neben der Nutzung alternativer Proteinquellen wie etwa Erbsen oder Soja, zählen hierzu auch fermentiertes (siehe zum Thema Präzisionsfermentation) und zellbasiertes Fleisch (wie es etwa Meatech entwickelt).
Die renommierte Beratung Boston Consulting Group hat sich nun mit dem Impact von Clean Food insgesamt auf die Bekämpfung der Klimakrise und die Reduzierung klimaschädlicher Emissionen befasst. Ein Resultat: Investitionen in die Verbesserung und Ausweitung der Herstellung solcher Fleisch- und Milchalternativen führen zu deutlich höheren Treibhausgasminderungen als Investitionen in andere Maßnahmen.
Investitionen in alternative Proteine führen für jeden eingesetzten Euro zu dreimal mehr Treibhausgasminderungen im Vergleich zu grüner Zementtechnologie, zu siebenmal mehr THG-Minderung als Investments in grüne Gebäude und sogar elf mal mehr THG-Minderung als Investments in emissionsfreie Autos.
Hauptgrund für diesen gewaltigen Klima Impact von Clean Food sind die Treibhausgas-Emissionen, die beim Pflanzenanbau im Vergleich zu konventioneller Fleisch- und Milchherstellung erzeugt werden. Ein Beispiel: Die Emissionen der Rindfleisch-Herstellung sind sechs bis 30-fach höher als die Emissionen der Tofu-Produktion.
Alleine die Produktion von Fleisch und Milch verbraucht 83 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche und verursacht 60 Prozent der landwirtschaftlichen Emissionen. Doch damit werden lediglich 18 Prozent der Kalorien und 37 Prozent des Proteins geliefert. Die Umstellung der menschlichen Ernährung von Fleisch auf Pflanzen bedeutet, dass weniger Wald für den Weide- und Futteranbau zerstört wird und weniger Emissionen des starken Treibhausgases Methan, das von Rindern und Schafen produziert wird.
Investitionen in Clean Food verfünffacht
Der gewaltige Klimanutzen von „sauberem Essen“ (Clean Food) hat sich herumgesprochen, weil immer mehr Investment-Fonds sich darauf spezialisierten, Cleantech-Unternehmen zu finden, die besonders hohe Emissionsreduzierungen garantieren. Die Investments in alternative Proteine, fermentierte Produkte sowie zellbasiertes Fleisch sind von einer Milliarde US-Dollar in 2019 auf fünf Milliarden in 2021 gestiegen – haben sich also verfünffacht.
Dabei ist das Potenzial der Clean Food Produkte noch ganz am Anfang: Laut BCG machen Alternativen erst zwei Prozent bei Fleisch, Eiern und Milch aus – unter Beibehaltung aktueller Wachstumsraten wird sich der Anteil auf mindestens elf Prozent steigern lassen. Alleine diese Entwicklung würde die Treibhausgas-Emissionen um einen Beitrag reduzieren, der dem des globalen Luftverkehrs entspricht.
Die UNO hat prognostiziert, dass die Treibhausgasemissionen bis 2030 55 Gigatonnen erreichen werden, wenn sich die derzeitige Regierungspolitik nicht ändert. Im früheren BCG-Bericht „Food for Thought“ (2021) prognostizierte das Beratungshaus, dass die Umstellung auf alternative Rind-, Schweine-, Hühner- und Eiersorten bis 2035 mehr als eine Gigatonne (Gt) CO2e einsparen wird.
Aber: Einem viel schnelleren Wachstum von Clean Food steht im Grunde nichts entgegen – der technologische Fortschritt macht die Produkte mit der Skalierung günstiger, beschleunigt regulatorische Maßnahmen und erleichtert Marketing und Verkauf.
„Die weit verbreitete Einführung alternativer Proteine kann eine entscheidende Rolle bei der Bekämpfung des Klimawandels spielen“, sagte Malte Clausen, Partner bei BCG. „Wir nennen es die ungenutzte Klimachance – Ihre Investition in Clean Food wirkt sich stärker aus als in jedem anderen Wirtschaftssektor.“
Dabei seien die Investitionen in Clean Food längst noch nicht vergleichbar mit dem Engagement für E-Autos, Windkraftanlagen oder Solarmodule. Gebäude etwa haben demnach 4,4 mal mehr Minderungskapital erhalten als die Lebensmittelproduktion, obwohl die Gebäudeemissionen um 57 Prozent niedriger sind als die der Nahrungsmittelherstellung.
Peak Meat in 2025?
In dem früheren Beitrag hatte BCG errechnet, dass Europa und Nordamerika „Peak Meat“ im Jahr 2025 erreichen dürften. Bedeutet: Anschließend wird der Konsum von konventionellem Fleisch sinken. AT Kearney wiederum prognostizierte 2019, dass die Mehrheit der Fleischprodukte, die die Menschen 2040 essen, nicht von geschlachteten Tieren stammen, sondern Clean Food sein werden.
Ein Viertel der weltweiten Treibhausgasemissionen stammt aus der Ernährung, der Landnutzung und der Landwirtschaft – mehr als die Hälfte davon allein vom Rindfleisch. Trotzdem wird diese ungenutzte Klimachance alternative Proteine bislang unzureichend mit Kapital versorgt. Denn es gibt noch einen weiteren, wichtigen Aspekt: Der Wechsel von konventionellem Fleisch zu Clean Food ist für Verbraucher weniger störend als sich beim Fliegen einzuschränken oder die Häuser mit viel Geld zu dämmen. Zum Klimaaspekt kommt auch das Thema gesunde Ernährung dazu.
Seiteneffekte reduzieren auch die Methan-Emissionen
Außerdem gibt es einen Klimabonus:. Jede signifikante Änderung der Ernährung hin zu mehr gesünderen, alternativen Proteinen wird eine unmittelbare kühlende Wirkung auf den Planeten haben, da die Treibhausgasemissionen aus der Tierhaltung einen erheblichen Anteil an Methan enthalten – bis zu 50 Prozent. Methan hat ein viel höheres Erderwärmungspotenzial als CO2 und eine viel kürzere Lebensdauer in der Atmosphäre. Die Verringerung des Methangehalts in der Atmosphäre verhindert also nicht nur eine weitere Erwärmung, sondern hat auch einen kühlenden Effekt.
Und das ist umso bedeutsamer, weil die Wissenschaft zuletzt zeigte, dass die sogenannten Selbstreinigungskräfte der Erde immer schlechter funktionieren – theoretisch reagiert das Oxidationsmittel Hydroxyl-Radikal (OH) mit dem Methan, und reinigt schädliche Gase. Aber: OH reagiert auch mit Kohlenmonoxid, das bei Waldbränden zunehmend freigesetzt wird. Und damit entfaltet Methan eine deutlich größere Klimawirkung als bislang vermutet (vgl. Spiegel).
Wie kann die Revolution beschleunigt werden?
Laut BCG braucht es fünf Bereiche, um die Clean Food Revolution entscheidend zu beschleunigen:
- Unterstützung der Landwirte
- Gewährleistung gleicher politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen für konventionelle und alternative Proteine
- Lenkung von Kapital auf transformative Unternehmungen
- Optimierung von Ressourcen und Abfallverwertung
- Weitere Steigerung der Verbraucherakzeptanz
Die Verbraucherforschung geht davon aus, dass die Voraussetzungen für einen weiteren Anstieg der Akzeptanz von alternativen Proteinen gegeben sind, sobald die nächste Generation gesunder, schmackhafter Produkte in den Regalen und entsprechender Rezepte überall im Internet steht.
Die BCG-Wirkungsanalyse zeigt, dass die Umwandlung von Proteinen eines der besten verfügbaren Instrumente zur Bekämpfung der Klimakrise ist. Dies alles deutet in Sachen Clean Food und alternative Proteine auf eine ungenutzte Chance hin, die nun verstärkt in den Mittelpunkt gerückt werden muss.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.