Rund um Customcells aus Itzehoe und Tübingen entsteht ein Batterie-Ökosystem, zu dem auch Porsche, Lilium, Manz und E-Lyte zählen.
Die globalen Marktführer für Batteriezellen wie etwa CATL, LG Chem, Panasonic oder BYD konzentrieren sich in der Regel auf wenige Standard-Zellen, die sie in große Mengen an viele Kunden global vertreiben können. Das deutsche Cleantech-Unternehmen Customcells geht einen völlig anderen Weg: Es ist mit verschiedensten Innovationen darauf spezialisiert, eher Nischenmärkte mit sehr individuellen Premium-Batteriezellen beliefern zu können. Um diese Kompetenz herum bildet sich ein höchst relevantes und einzigartiges Ökosystem. Mit dabei: Manz, Porsche oder Lilium (Lilium News gibt es hier). Ist Customcells auf dem Weg zum Global Player?
So richtig bekannt ist die Customcells Gruppe aus Itzehoe nur Branchenkennern. Das 2012 in Schleswig-Holstein gegründete Unternehmen produziert neben kundenspezifischen Lithium-Ionen-Batterien auch Elektrodenfolien, Hochtemperatur-Batteriezellen und übernimmt Forschungsdienstleistungen für Kunden. Im Unterschied zu CATL und Co. konzentriert sich Customscells seit jeher auf die Kleinserienfertigung von Premium-Batteriezellen für spezielle Anwendungen.
Die Kunden – darunter namhafte Unternehmen wie Porsche und hoffnungsvolle Cleantech-Startups wie Lilium – können dabei aus mehr als 14 industrialisierten Elektrodentechnologien zugreifen, gepaart mit 250 vorrätigen Rohmaterialien. Die Produktionsanlagen basieren auf modernsten Elektroden- und Zellfertigungsmaschinen. Nach eigenen Angaben beliefert Customscells bereits die „Top 6 der Automobilindustrie weltweit, mit dem Ziel, die Elektromobilität von Morgen zu ermöglichen.“
Aber neben dem Autosektor ist Customcells auch in der Medizintechnik, der Luftfahrt sowie der maritimen Industrie engagiert. Das Unternehmen produziert spezielle Energiespeicher an den Grenzen der Leistungsfähigkeit. Wenn die Kunden eigene Produktionslinien aufbauen möchten, unterstützt Customcells beim Ramp-up vom Labor- zum Produktionsmaßstab. Insgesamt hat das Unternehmen bislang mehr als 450 Kunden beliefert und ist in den ersten zehn Jahren von drei Mitarbeitern auf mehr als 150 Mitarbeiter gewachsen.
Vom Fraunhofer-Spin-off zum Industrieunternehmen
Customcells ist eine Ausgründung aus dem Fraunhofer-Institut für Siliziumtechnologie (ISIT) im schleswig-holsteinischen Itzehoe. Die Custom Cells Itzehoe GmbH ging aus der Forschungsabteilung Integrierte Energiesysteme hervor. Leopold König und Torge Thönnessen waren die Gründer.
Ziel des Spin-Offs war es, die Marktnische zwischen Forschung und Entwicklung sowie Endanwendermärkten mit hohem Spezialisierungsgrad zu schließen. Kooperationen gab es damals mit dem Fraunhofer ISIT und der Altana AG.
Im Jahr 2017 kam mit der Technologieberatung P3 Group ein erster Investor an Bord. Das Unternehmen firmiert seitdem als Customcells Itzehoe GmbH.
Bis 2021 gelang es, den Tübinger Standort des Unternehmens im Projekt KomVar auszubauen, und von 20 auf 100 Mitarbeiter zu wachsen. P3 brachte Customcells entscheidende Impulse in Richtung Elektromobilität – woraus auch die Idee zum Joint Venture mit Porsche (Cellforce Group GmbH) hervorging.
Im Juli 2021 gab P3 die Anteile am Unternehmen im Zuge einer internationalen Finanzierungsrunde ab, um innerhalb des Marktes weiterhin neutral agieren zu können. Als Investoren kamen Porsche Ventures, Vsquared Ventures und 468 Capital hinzu.
Das frische Kapital sollte vor allem zum Ausbau der Standorte Itzehoe und Tübingen genutzt werden. Daneben sollte auch in Projekte und die Technologie investiert werden, teilten die Unternehmen mit.
40 Prozent: Manz beteiligt sich am Unternehmen
Mitte 2022 erreichte Customcells einen weiteren Meilenstein: Die Manz AG, ein Hightech-Maschinenbauer, beteiligte sich mit 40 Prozent am Unternehmen – konkret an der Tübinger Tochtergesellschaft Customcells Tübingen GmbH. Die Zusammenarbeit beider Unternehmen bestand schon länger – alleine aus räumlichen Gründen logisch: Manz sitzt in Reutlingen in Baden-Württemberg, in unmittelbarer Nähe zu Tübingen.
Ziel der Zusammenarbeit ist es, die Expertise in der Zellentwicklung mit dem Know-how von Manz zu kombinieren. So sollen hocheffiziente Batteriezellen der nächsten Generation entstehen.
60-Millionen-Finanzierungsrunde: Fokus auf Luftfahrt
Am 8. Dezember 2022 gab Customcells den Abschluss einer Finanzierungsrunde von 60 Millionen Euro bekannt. Verbunden mit der Finanzspritze: Die klare Aussage des Unternehmens, sich intensiver vom die Dekarbonisierung der Luftfahrt kümmern zu wollen. Zu den Investoren zählen der World Fund, ein nach eigenen Angaben führender Wagniskapitalgeber von Cleantech-Startups in Europa, sowie das Hamburger Family Office Abacon Capital.
Als Bestandsinvestoren vergrößerten Vsquared Venture und Porsche ihr Engagement. Der Seed-Investor 468 Capital bleibt mit an Bord, während die beiden Gründer auch nach der Finanzierungsrunde die größten Anteilseigner sind.
Dr. Dirk Abendroth wird neuer CEO
Am 20. Mai 2022 gab die Customcells Gruppe bekannt, dass der erfahrene Unternehmer Dr. Dirk Abendroth den Posten des CEO übernehmen wird. Seine Aufgabe ist es, den ambitionierten Wachstumskurs des Unternehmens voranzutreiben, und Synergien zwischen den Unternehmen und Beteiligungen der Customcells Gruppe zu erschließen. Abendroth war zuletzt bei der Technologie-Holding Team Global von Lukasz Gadowski als Chief Technology Officer tätig – pikanterweise ist Team Global in Lilium-Konkurrenten wie Archer, Autoflight oder Volocopter investiert. Nun hat Abendroth in Zukunft mit einem weiteren eVTOL-Startup als Kunde zu tun.
Abendroth bringt viel Erfahrung aus der Industrie mit: Unter anderem von seiner Rolle bei Byton, dem gescheiterten E-Auto-Startup, von Continental oder BMW. Mit dem neuen Anführer, der promovierter Elektro-Ingenieur ist, soll Customcells den Sprung zum Global Player für Premium-Batteriezellen schaffen. Die Gründer Leopold König und Torge Thönessen bleiben weiterhin als Geschäftsführer von Tochtergesellschaften sowie Joint Ventures an Bord, konzentrieren sich auf das operative Geschäft.
Abendroth hält persönlich zwölf internationale Patente im Bereich Daten und Digitalisierung, Systemsteuerung, Antrieb und autonomes Fahren; mehr als zehn weitere befinden sich im Zulassungsprozess.
Joint Venture mit Porsche: Cellforce
Wie eng die Kundenbeziehungen oft sind, zeigt beispielhaft die Zusammenarbeit zwischen Customcells und Porsche. Die als Joint Venture gegründete Cellforce Group soll Porsche Hochleistungsbatterien insbesondere für ein High-Performance-Modell bringen. Hierfür kauften die beiden Partner im Dezember 2021 ein 28.151 Quadratmeter großes Grundstück, das der Stadt Reutlingen gehört.
Es befindet sich auf Reutlinger Gemarkung einerseits und der Gemarkung Kirchentellinsfurt andererseits. Dort soll noch 2022 mit dem Bau einer Produktionsstätte begonnen werden, die im ersten Schritt pro Jahr Hochleistungs-Batteriezellen für 1.000 Fahrzeuge herstellt. Die Kapazität liegt bei 100 Megawattstunden pro Jahr. Der Produktionsbeginn wird 2024 erwartet.
Die Zusammenarbeit mit Customcells soll Porsche vor allem Hochleistungsbatterien bringen, die einerseits hohe Energiedichten aufweisen, aber andererseits auch die Ladezeiten deutlich verkürzen. Außerdem sollen die Zellen weniger Rohmaterial benötigen, um identische Reichweiten zu erzielen, berichtet Porsche. Davon erhofft sich der Sportwagen-Bauer günstigere Produktionskosten und damit erschwinglichere Elektroautos.
eVTOL-Startup Lilium einer der Kunden
Neben Porsche ist das eVTOL-Startup Lilium einer der spannenden Kunden von Customcells. Die beiden Cleantech-Unternehmen kooperieren sehr eng – womöglich auch, weil der bisherige Lilium CEO Daniel Wiegand gebürtig aus Tübingen stammt. Woran die beiden Partner arbeiten, war längere Zeit allerdings nicht ganz klar.
Ende Mai 2022 wurde bekannt: Lilium hat sich für die Zertifizierungs- und Kommerzialisierungsphase seines Lilium Jets für eine Batteriezelle aus Kalifornien entschieden: Die Zelle von Zenlabs, einem Unternehmen, an dem Lilium schon längere Zeit beteiligt ist, hat eine Silizium-Anode, kombiniert mit einer Nickel-Kathode. Dieses Zusammenspiel der Pouch-Zellen soll es ermöglichen, die hohen Anforderungen an den Flugbetrieb von Lilium zu erfüllen.
Konkret sollen folgende Anforderungen erfüllt werden:
Leistung der Zenlabs-Zellen für den Lilium Jet:
- die erforderliche Leistung für Start (Schwebeflug), Reiseflug und Landung;
- Eine prognostizierte physische Reichweite von über 250 km, unter der Annahme von kurzzeitigen vertikalen Starts und Landungen, bei betrieblichem Leergewicht (OEW); und
- Eine prognostizierte Betriebsreichweite von ~175 km unter der Annahme eines vertikalen Starts bei maximalem Startgewicht (MTOW) und einer vertikalen Landung (45 Sekunden Dauer † ), sodass nach der Landung noch 20 % Ladezustand verbleiben.
Weitere Details dazu gibt es in einem Blogbeitrag von Lilium.
Interessant daran ist aber eines: Customcells ist für die Serienfertigung der genannten Zelle von Zenlabs zuständig. Lilium hat die exklusiven Rechte, die Zelle in eVTOL-Anwendungen zu verwenden. Mit dieser Kombination will Lilium die ersten Schritte in Richtung Markteinführung machen – diese soll in 2025 erfolgen. Für Customcells ist die Kooperation eine erstklassige Möglichkeit, einen Fuß in die Tür im Bereich Luftfahrt zu bekommen.
Diese Partnerschaft bringt zwei führende deutsche Innovatoren zusammen. Sie unterstreicht die Stärke des deutschen Produktions- und Technologie-Ökosystems. Die erfolgreiche Entwicklung und Serien-Produktion von Hochleistungsbatterien ist ein zentraler Wettbewerbs- und Standortfaktor für Deutschland, um die nachhaltige Mobilität von morgen aktiv zu gestalten. In die Partnerschaft mit Lilium bringen wir unsere maßgeschneiderte Produktion und flexiblen Fertigungskonzepte ein.
Leopold König, Co-Gründer von Customcells
Rund um Customcells hat sich insbesondere in Baden-Württemberg, also Tübingen und Reutlingen, ein höchst interessantes Ökosystem gebildet, das weltweit durchaus führend sein könnte. Neben Manz, Lilium oder Porsche zählt hier auch der Elektrolyt-Spezialist E-Lyte Innovations dazu, den Customcells übernommen hat.
Die Pläne des Cleantech-Unternehmens Customcells sind definitiv hoch ambitioniert. Aber: Es erscheint machbar, dass Customcells zu einem Player wird, der global einen Fußabdruck in den genannten Branchen hinterlässt. Denn die Welt der Batteriezellen wird nicht alleine von Massenware bestimmt werden – sondern braucht auch die, die sich mit wichtigen Nischen befassen. Und dafür das Unternehmen aus Itzehoe und Tübingen gut aufgestellt.
Dieser Artikel erstand ursprünglich am 5. Juni 2022. Die letzte Aktualisierung war am 8. Dezember 2022.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.