…und wieso Joachim Weimanns Kritik in der Bild-Zeitung ins Leere läuft
Die Diskussion um Klimaneutralität 2045 und die Energiewende wird oft von einem Mix aus fundierter Kritik, ideologischen Vorurteilen und polemischen Aussagen geprägt. Joachim Weimann, Wirtschaftswissenschaftler und Autor des Buches Die Klimapolitik-Katastrophe, gehört zu den prominentesten Kritikern von „Deutschland klimaneutral“ bis 2045 und der Klimapolitik im Allgemeinen. Seine Thesen, die auf einer marktwirtschaftlichen Lösung basieren, mögen auf den ersten Blick rational erscheinen, doch bei genauerem Hinsehen offenbaren sie erhebliche Schwächen und eine gefährliche Ignoranz gegenüber der Realität des Klimawandels und seiner wirtschaftlichen Chancen.
Weimanns zentrale Kritik: Markt statt Staat
In seinem Buch Die Klimapolitik-Katastrophe argumentiert Weimann, dass staatliche Vorschriften und Subventionen ineffizient seien und die deutsche Klimapolitik in die falsche Richtung lenkten. Er plädiert stattdessen für marktwirtschaftliche Instrumente wie eine globale CO₂-Besteuerung oder einen erweiterten Emissionshandel, der alle Sektoren einbezieht. Sein Ansatz basiert auf zwei Kernthesen:
- Kosteneffizienz durch den Markt: Emissionsminderungen sollten dort erfolgen, wo sie am günstigsten sind – unabhängig von nationalen oder sektoralen Vorgaben.
- Globaler Emissionshandel: Weimann schlägt vor, jedem Menschen ein gleiches Recht auf CO₂-Emissionen zuzugestehen. Staaten mit höheren Emissionen müssten Zertifikate von anderen Ländern kaufen oder in kosteneffiziente Vermeidungsmaßnahmen investieren.
Zwar ist die Idee eines globalen Emissionshandels theoretisch interessant, doch sie scheitert an praktischen Realitäten wie der Verantwortung für Exportemissionen und der politischen Umsetzbarkeit.
Warum Weimanns Vorschläge problematisch sind
1. Exportemissionen: Wer trägt die Verantwortung?
Ein erheblicher Teil der CO₂-Emissionen Chinas entsteht durch die Produktion von Gütern für den Export. Laut Studien gehen etwa 10 Prozent der chinesischen Emissionen auf Exportgüter zurück, die in Industrieländern konsumiert werden. Weimanns Modell würde China dafür bestrafen, während Konsumländer wie Deutschland und die USA ungeschoren davonkämen. Das ist weder fair noch effizient – denn es ignoriert die globale Verantwortung für Emissionen entlang der Lieferketten.
2. Umverteilung und politische Widerstände
Weimanns Vorschlag würde eine massive Umverteilung von Wohlstand bedeuten: Industrieländer müssten Zertifikate von ärmeren Ländern kaufen. Während dies theoretisch gerecht erscheint, würde es in der Praxis auf erhebliche politische Widerstände stoßen – sowohl in Geber- als auch in Nehmerländern. Die Geschichte zeigt, dass solche Mechanismen oft scheitern, wenn sie nicht mit klaren Anreizen verbunden sind.
3. Marktfetischismus statt realer Lösungen
Weimann setzt stark auf den Markt als Allheilmittel – ein Ansatz, der nach der Weltfinanzkrise kaum noch glaubwürdig erscheint. Märkte allein können komplexe Probleme wie den Klimawandel nicht lösen, da sie soziale Ungleichheiten ignorieren und oft kurzfristige Profite über langfristige Nachhaltigkeit stellen.
4. Ignoranz gegenüber technologischen Innovationen
Weimanns Fokus auf Kosteneffizienz vernachlässigt die Bedeutung technologischer Innovationen. Länder wie Deutschland profitieren langfristig davon, Vorreiter bei grünen Technologien zu sein – sei es durch den Export von Wasserstofflösungen oder emissionsarmen Produktionsverfahren.
Weimanns Klimaneutral-Aussagen in der BILD: Polemik statt Substanz
Joachim Weimann wird in der BILD unter der Überschrift „Kann Deutschland wirklich bis 2045 klimaneutral werden?“ als Kronzeuge für die angebliche Unfinanzierbarkeit und Ineffizienz der deutschen Klimapolitik präsentiert. Seine zentralen Aussagen sind jedoch entweder stark verkürzt oder schlicht falsch:
- „Gigantische Kosten“ ohne Belege
Weimann behauptet, die Energiewende sei „gigantisch teuer“ und „nicht finanzierbar“, nennt jedoch keine konkreten Zahlen oder fundierte Berechnungen. Studien wie der Ariadne-Report zeigen hingegen, dass die jährlichen Netto-Mehrkosten für Klimaneutralität bis 2045 lediglich 16 bis 26 Milliarden Euro betragen – das entspricht etwa 0,4 bis 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Weimanns Behauptung wirkt daher wie Panikmache ohne Substanz. - „Blindflug“ und fehlende Analysen
Weimann kritisiert, die Bundesregierung wisse nicht, wie viel CO₂ durch ihre Maßnahmen eingespart werde. Diese Aussage ignoriert jedoch zahlreiche Studien und Berichte von Institutionen wie Agora Energiewende oder dem Fraunhofer-Institut, die klare Daten zur CO₂-Reduktion liefern. Die Energiewende basiert auf fundierten wissenschaftlichen Analysen – der Vorwurf des „Blindflugs“ ist schlicht falsch. - Atomkraft als Lösung
Weimann fordert eine Reaktivierung von Atomkraftwerken und bezeichnet diese als „vermutlich ökonomisch sinnvoll“. Dabei ignoriert er die immensen Kosten des Atomausstiegs (600 Milliarden Euro laut einer norwegischen Studie) sowie die Risiken und ungelösten Probleme der Endlagerung. Zudem ist Atomkraft heute teurer als erneuerbare Energien wie Solar- und Windkraft. - „Alleingänge bringen nichts“
Weimann behauptet, nationale Klimapolitik sei ineffizient und solle durch globale Maßnahmen ersetzt werden. Dabei verkennt er, dass viele deutsche Maßnahmen direkt auf EU-Vorgaben beruhen (z. B. das Gebäudeenergiegesetz) und Deutschland durch seine Vorreiterrolle andere Länder motiviert hat, ambitionierte Ziele zu verfolgen. - CO₂-Einsparungen an den „falschen Stellen“
Weimann kritisiert Maßnahmen wie die Wärmedämmung von Gebäuden als ineffizient. Dabei ignoriert er, dass gerade im Gebäudesektor langfristige Einsparungen möglich sind – sowohl bei CO₂-Emissionen als auch bei Energiekosten.
Die Gegenrede eines Sprechers der Agora Energiewende wird im weiteren Verlauf des Artikels totgeschwiegen. Stattdessen darf Weimann, der u.a. als Glücksforscher aber wenig als Energiewende-Experte bekannt ist, irgendwas von „gigantischen Kosten“ erzählen – ohne diese zu spezifizieren oder gar dem Nutzen gegenüberzustellen.
Hier die Agora-Einschätzung zur Klimaneutralität: „Dieses Ziel kann mit den richtigen Maßnahmen erfüllt werden. Drei Viertel der bis 2045 erforderlichen Investitionen in Energie- und Verkehrsinfrastruktur, Industrieanlagen und Gebäude im Rahmen der üblichen Renovierungs- und Erneuerungszyklen ohnehin erforderlich – hier gilt es, Finanzströme durch Preisanreize und Marktregulierung auf klimaneutrale Lösungen umzulenken.“ Oder kurz: Alles machbar, wenn der politische und gesellschaftliche Zick-Zack-Kurs endlich aufhört.
Das grüne Paradoxon: Eine ähnliche Fehleinschätzung
Weimanns Argumentation erinnert an das sogenannte Grüne Paradoxon, das von Hans-Werner Sinn geprägt wurde. Dieses besagt, dass Maßnahmen zur Reduktion fossiler Energien deren Preise senken könnten – was wiederum zu einer verstärkten Nutzung führt. Diese Theorie hat zwar interessante Aspekte, doch sie ignoriert zentrale Dynamiken des Marktes:
- Langfristige Trends: Fossile Energien verlieren durch technologische Fortschritte und politische Maßnahmen zunehmend an Attraktivität.
- Nachfrageverschiebung: Der Ausbau erneuerbarer Energien führt dazu, dass fossile Brennstoffe nicht mehr wettbewerbsfähig sind – unabhängig vom Preis.
- Politische Steuerung: Sinn und Weimann unterschätzen die Rolle staatlicher Rahmenbedingungen bei der Transformation des Energiesektors.
Das grüne Paradoxon ist daher keine valide Grundlage für eine zukunftsfähige Klimapolitik – genauso wenig wie Weimanns Vorschläge.
Warum Klimaneutralität machbar ist
Trotz der Herausforderungen ist das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 erreichbar – wenn wir entschlossen handeln und keine Zeit verlieren:
1. Kosten vs. Nutzen
- Deutschland gibt jährlich rund 100 Milliarden Euro für den Import fossiler Brennstoffe aus – Gelder, die ins Ausland fließen.
- Laut dem Ariadne-Report belaufen sich die jährlichen Netto-Mehrkosten für Klimaneutralität bis 2045 auf lediglich 16 bis 26 Milliarden Euro, was etwa 0,4 bis 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht.
2. Technologische Führerschaft
- Länder wie China investieren massiv in grüne Technologien wie Wasserstoffproduktion und emissionsarmen Stahl.
- Deutschland muss hier Schritt halten, um seine Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.
3. Globale Verantwortung
- Deutschlands Vorreiterrolle hat bereits dazu beigetragen, dass Technologien wie Windkraft und Solarenergie weltweit günstiger wurden.
- Eine gerechte Klimapolitik muss Exportemissionen berücksichtigen und Anreize schaffen, Produktionsprozesse weltweit klimafreundlicher zu gestalten.
Fazit: Warum Weimanns Kritik ins Leere läuft
Joachim Weimanns Thesen mögen provokant sein, doch sie basieren auf einer gefährlichen Ignoranz gegenüber den realen Herausforderungen des Klimawandels, die gerade wieder im WMO-Klimabericht 2024 überdeutlich wurden:
- Seine marktwirtschaftlichen Lösungen scheitern an praktischen Realitäten wie Exportemissionen und politischer Umsetzbarkeit.
- Er unterschätzt die Bedeutung staatlicher Rahmenbedingungen und technologischer Innovationen.
- Seine Polemik gegen erneuerbare Energien ignoriert deren langfristige Vorteile für Wirtschaft und Gesellschaft.
Klimaneutralität bis 2045 ist kein Luxusziel – es ist eine Notwendigkeit für unseren Planeten und eine Chance für unsere Wirtschaft. Die Kosten für Nichthandeln wären unvergleichlich höher, sagt die Wissenschaft. Die Energiewende kostet Geld, ja – aber sie spart langfristig noch viel mehr Geld ein. Und sie sichert Deutschlands Rolle als führender Exporteur grüner Technologien. Als Marktradikaler sollte Weimann hieran doch größten Gefallen finden…
Jetzt gilt es zu handeln, um klimaneutral zu werden – entschlossen und ohne Zick-Zack-Kurs! Denn Klimaneutralität 2045 ist Deutschlands Sprungbrett in die Zukunft. Weitere Hintergründe zum Bild-Artikel gibt es hier bei X und dort bei Facebook – jetzt mitdiskutieren!
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.