Wie innovative Technologien Nuss-Abfälle in der Schokoladenproduktion bei Barry Callebaut zur wertvollen Ressource machen.
Barry Callebaut mit Sitz in der Schweiz ist einer der größten Schokoladenproduzenten der Welt. 2016 hat sich das Züricher Unternehmen ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Bis 2025 soll die nachhaltige Produktion von Schokolade zur Norm, und das Unternehmen insgesamt klimapositiv werden. Entscheidend dazu beitragen sollen innovative Technologien, die Barry Callebaut schrittweise skalieren möchte. Dabei werden Haselnuss- und Kakoschalen zur wertvollen Ressourcen für die Schalenknacker.
Barry Callebaut ist bei der Herstellung von Schokolade breit aufgestellt, pflegt engen Bezug zu den Kakaolieferanten in Afrika, und hat beispielsweise 95.000 Kakobauern zum Thema Kinderarbeit geschult. Aus der Elfenbeinküste, Ghana oder Kamerun bezieht das Unternehmen, das durch Marken wie Callebaut, Cacao Barry oder Carma in Konditoreien und Restaurants einen klangvollen Namen hat, ausschließlich nachhaltigen Kakao. Die Transparenz stieg zuletzt: Der Schokoladenhersteller hat die Liste seiner Lieferanten öffentlich bekannt gemacht.
Seit zwei Jahren arbeitet Barry Callebaut an einer neuen Stufe der eigenen, „Forever Chocolate“ genannten Pläne, klimapositiv zu werden. Damals entstand die Idee, spezifische Abfälle aus der Produktion zur Herstellung von Biokohle zu verwerten. Pflanzenkohle wird auch als „schwarzes Gold der Landwirtschaft“ bezeichnet, und gewinnt zunehmend an Bedeutung als Ergänzung zu Dünger.
Partnerschaft mit Startup Circular Carbon
Bei der Suche nach technologischem Know-How zu Verfahren und Prozessen, kam es zur Verbindung mit dem Würzburger Cleantech-Startup Circular Carbon. Dort hat man sich zum Ziel gesetzt, Biokohle als CO2-Senke zur Erreichung der Klimaziele zu etablieren. Der Feststoff ähnelt optisch Holzkohle, bindet aber Kohlendioxid – und wird als ein Ergebnis in Pyrolyse-Reaktoren bei sehr hohen Temperaturen hergestellt. Die Herausforderung liegt darin, Abfallströme als Inputstoffe zu finden, die einen kontinuierlichen Pyrolyse-Prozess ermöglichen.
Zahlreiche Unternehmen und Forschungseinrichtungen weltweit tüfteln an entsprechenden Lösungen. Oft werden dazu land- oder forstwirtschaftliche Biomasseabfälle geschreddert, und dann unter Ausschluss von Sauerstoff in die Bestandteile aufgeteilt. Ein Erfolgsprojekt ist die Technologie des Cleantech-Unternehmen Pyrum Innovations: Die Saarländer nutzen Altreifen als Ausgangsmaterial für Erzeugung von Pyrolyse-Öl und anderen Chemie-Rohstoffen. Der Chemiegigant BASF hat investiert.
Biokohle – Der Alleskönner
Biokohle ist sozusagen ein Alleskönner: Sie kann genutzt werden, um Energie zu produzieren, Kohlenstoff dauerhaft zu speichern, die Bodenqualität zu verbessern – und letztlich auch Abfall zu reduzieren. „Biokohle ist ein Schlüsselelement für einen nachhaltigen Lebenswandel“, sagt Felix Ertl, CEO von Circular Carbon. Die Aufgabe seines Unternehmens sieht Ertl darin, aus dem Dilemma eine Chance zu machen – also aus bislang ineffizient genutzten Abfallströmen vielfältig nutzbare Biokohle.
In der Schokoladenproduktion bei Barry Callebaut fallen größere Mengen Kakaoschalen an. Genau diese Schalen lassen sich in Pyrolyse-Reaktoren aufknacken – und in Gas einerseits und Biokohle andererseits verwandeln. „Die Verwendung unserer Kakaoschalen wird uns dabei helfen, unser Forever Chocolate- Ziel zu erreichen. Letztendlich geht es aus Sicht des Klimas darum, einen Kohlenstoffkreislauf zu schaffen“, Geza Toth, der Leiter des globalen Wald- und Kohlenstoffprogramms bei Barry Callebaut.
Pyrolyse-Technologie von Vow ASA
Als Technologie haben der Schokoladenproduzent und der Dienstleister aus Würzburg die Biogreen-Lösung des französischen Herstellers Etia Ecotechnologies auserkoren. Das Cleantech-Unternehmen ist auf entsprechende Verfahren spezialisiert – und wurde zuletzt von Vow ASA übernommen. Die Norweger etablieren gerade eine Vielzahl von Partnerschaften, um im Onshore-Bereich zur Dekarbonisierung der Industrie beitragen zu können. Etwa gemeinsam mit dem Stahlgiganten ArcelorMittal oder der norwegischen Metallurgie-Industrie.
Die Lieferung innerhalb dieses Vertikals der Lebensmittelindustrie wird die Relevanz und den Wert der Dekarbonisierungstechnologien der Vow Group in der Lebensmittelindustrie demonstrieren, sagt .
Vow CEO Henrik Badin
Seit 2020 hat Barry Callebaut die Infrastruktur in seinem Hamburger Werk so ausgebaut, dass die Biokohle-Produktion in den kommenden Monaten beginnen kann. Im ersten Schritt – beginnend im ersten Halbjahr 2021 – soll die im Pyrolyse-Prozess freigesetzte Energie der Kakaoschalen zur Dampferzeugung genutzt werden. Damit lassen sich Produktionsanlagen am Hamburger Standort betreiben.
Biogreen-Anlage auf dem Weg nach Hamburg
Laut Etia Ecotechnologies ist die Biogreen-Anlage, deren Wert bei ungefähr 2,4 Millionen Euro liegt, mittlerweile gebaut – und im März 2021 kurz vor dem Transport nach Deutschland. Aus 10.000 Tonnen Kakaobohnenschalen wollen die Schalenknacker dann 3.500 Tonnen Pflanzenkohle und 20.000 Megawattstunden Dampf erzeugen – jedes Jahr. Durch das Verfahren werden 5.500 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr vermieden – und gleichzeitig 10.000 Tonnen des Klimagases in der Kohle dauerhaft gebunden.
Die Aufgabe von Felix Ertl liegt darin, die ebenfalls entstehende Biokohle zu vermarkten – bis auf 1.500 Tonnen ist ihm das nach eigener Aussagen schon gelungen. Noch ist die Biokohle von Circular Carbon aber für die Massenanwendung in der Landwirtschaft zu teuer – optimal geeignet hingegen ist sie für Obst- und Gemüsebauern, Gärtnereien, als Substrat zur Dachbegründung oder als Kohledünger für Rasen. Daneben können auch Hersteller von Futtermittel-Additiven für Haustiere oder Indoor Farmen davon profitieren.
Geht das Projekt erfolgreich seinen Weg, plant Barry Callebaut die Technologie von Etia auch an anderen Standorten einzusetzen. Darüber hinaus entwickelt der Kakaoverwerter auch, inwiefern direkt auf den Farmen anfallende Abfälle ebenfalls in Biokohle gewandelt werden können. Denn Biokohle wirkt im Boden wie ein Schwamm. Wenn Dünger mit Biokohle gemischt wird, wird der Dünger so langsamer freigesetzt. Das schont Ressourcen und verbessert gleichzeitig die Bodenqualität.
Besonders leere Kakaoschoten, Schnittgut und andere Rückstände kommen in Betracht, um direkt an den Kakakofarmen von diesen innovativen Technologien ebenfalls zu profitieren. Eine weitere Möglichkeit: Kombiniert man Kompost mit Biokohle, werden die Methanemissionen reduziert.
Auch das hat gewaltigen Impact: Der Kohlenstoff, der durch abgestorbenes Pflanzenmaterial und zersetzende Biomasse in die Atmosphäre gelangt, ist weltweit etwa zehn Mal so hoch wie der Kohlenstoff, der durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe freigesetzt wird.
Mehr Ertrag – weniger Kinderarbeit auf Kakaofarmen
Neben dem Aspekt des Aufbaus einer Kreislaufwirtschaft, hat die Verbesserung der Bodenqualität auch eine wichtige soziale Aufgabe zu erfüllen. Können Kakaofarmen ihre Erträge steigern, erwirtschaften sie nicht nur mehr Umsätze. Entscheidend ist, dass die häufig in Familienhand betriebenen Farmen dann tatsächliche Arbeitskräfte einsetzen können – und nicht auf die helfenden Hände der eigenen Kinder angewiesen sind.
Mit dem Anspruch, die Produktion nachhaltiger Schokolade auch das Problem zu niedriger Umsätze der Kakaobauern angehen zu müssen, hat Barry Callebaut noch viel Arbeit vor sich. Die Kritik an den Kakaoverwertern ist weiterhin groß, wie tagesschau.de berichtet. Trotzdem ist der Ansatz der Schweizer, ein Schritt in die richtige Richtung: Letztendlich sei es das Ziel, den Kakaoertrag zu steigern, den Bedarf an Agrochemikalien zu reduzieren und die Lebensgrundlage der Bauern zu verbessern.
Weitere Idee der Schalenknacker: Vanillin aus Nusschalen
Neben der Partnerschaft mit den Schalenknackern von Circular Carbon hat der Schweizer Schokoladengigant eine weitere innovative Technologie in Arbeit. Gemeinsam mit Bloom Biorenewables, die Moleküle aus Pflanzen als Erdölersatz etablieren wollen, wird gerade das Potenzial für die Umwandlung weiterer Nebenströ,e der Schokoladen- und Kakaoproduktion untersucht.
Ein Ergebnis: Zusammen mit La Morella Nuts, einer Spezialnussmarke der Schweizer, entdeckte Bloom Biorenewables, dass Haselnussschalen ein vielversprechendes Biomassepotenzial haben: Dank des eigenen Verfahrens können Nussschalen effizient in Aromastoffe wie Vanillin – dem Hauptbestandteil von Vanillearoma – gewandelt werden. Deren Verwendung in Schokolade ist problemlos möglich.
Damit entsteht ein weiterer Kreislauf für die Schalenknacker, weil auch diese speziellen Nussschalen Verwendung in der Produktion finden. Dabei werden neben dieser Möglichkeit, daraus Vanillin herzustellen, weitere Optionen evaluiert. Der Einsatz innovativer Technologien zur Resteverwertung in der Kakao- und Schokoladen-Industrie hat gerade erst begonnen. Die Mission der Schalenknacker geht weiter.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.