Am Donnerstag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über Deutschlands liebstes Kind: Das Automobil. Genauer: Den Diesel. Es kommt nicht häufig vor, dass eine Entscheidung dieses obersten Bundesgerichts so viel Aufmerksamkeit erfährt. Denn die Frage, ob die Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gegen die Deutsche Umwelthilfe verlieren und das Gericht mehr oder weniger Diesel-Fahrverbote anordnet, ist eine weitreichende. Kurz zuvor dringt der regionale ADAC mit einer wichtigen Botschaft durch, die die Industrie und die Politik unter Druck setzt: Hardware-Nachrüstungen von Euro-5-Dieselfahrzeugen auf Euro-6 sind möglich und effizient.
Der ADAC Württemberg hat die Prototypen-Systeme von den Herstellern Dr. Pley, HJS Emission Technology, Oberland-Mangold und TwinTec sowohl auf dem Prüfstand als auch im realen Fahrbetrieb vor und nach der Hardware-Umrüstung getestet. Diese Art der Umrüstung ist ein Schritt, den die Automobilindustrie mit ihrem Verband VDA an der Spitze seit Monaten hartnäckig verweigert. Die Argumente der Autokonzerne reichen von „zu teuer“, über „nicht getestet“ bis zu „nicht möglich, weil zu wenig Platz“. Auch Gewährleistungsansprüche sind ein Grund. Der ADAC als Verbraucherverband hat nun zumindest den ersten und den dritten Punkt entkräftet.
Mit Unterstützung des baden-württembergischen Verkehrsministeriums hat der Landesverband nachgewiesen, dasds Hardware-Nachrüsten von Euro-5-Dieselfahrzeugen nicht nur möglich, sondern auch „hochwirksam“ sind. Demnach wird der Schadstoffausstoß innerorts im 70 Prozent und außerhalb von Ortschaften sogar um 90 Prozent reduziert. In Regionen, wie in Stuttgart und Düsseldorf, die als besonders belastet gelten, könnte die Luftqualität um bis zu 25 Prozent verbessert werden.
Vielversprechend: BNOx System von TwinTec / Baumot Group
Bei den Hardware-Nachrüstungen des ADAC schnitt ein System besonders gut ab: Das BNOx System von TwinTec, einem Unternehmen, das zur börsennotierten Baumot Group zählt. Nach eigenen Angaben kostet das System ohne Einbau nur rund 1.500 Euro und liegt somit am unteren Rand der Spanne, die der ADAC für die Nachrüstunglösungen ermittelt hat (1.400 bis 3.300 Euro).
Unter realen Bedingungen reduziert die Nachrüstlösung von Baumot die Stickoxide um 90 Prozent. Die damit erreichten Emissionswerte von nachgerüsteten Fahrzeugen ab der Schadstoffklasse EURO 4 seien dabei besser als jene der aktuellen Abgasnorm EURO-6. Kommen Fahrverbote, die nur durch das Kleben einer blauen Plakette umgangen werden können, kann die Nachrüstung des Systems von TwinTec eine tolle Lösung sein. Denn damit bleiben teure Fahrzeuge alltagstauglich und verlieren nicht ihren kompletten Wert.
Die Ergebnisse mit dem BNOx-System
Hardware-Nachrüstung: Die vier Systeme im Vergleich
Die Grafik zeigt, dass die Lösungen von TwinTec und Dr. Pley die besten Ergebnisse versprechen. Problem: Mindestens die Lösung von Baumot hat bislang keine Zulassung in Deutschland erhalten. Diese forderte Anton Hofreiter, Fraktionschef der Grünen, in einer Fernsehsendung des Bayerischen Fernsehens vergangene Woche vehement. Die Sendung kann hier in der Mediathek angesehen werden.
Bei den SCR-Kits wird AdBlue zur Abgasreinigung eingesetzt. Der Harnstoff hat bislang im PKW kaum eine Bedeutung, während LKW-Fahrer bei fast jedem Tankstopp auch AdBlue tanken. Nachteil der AdBlue- und der Nachrüst-Lösung: Der Diesel-Verbrauch steigt je nach System deutlich. Bei der Lösung von Dr. Pley um sechs Prozent, bei der Lösung von Baumot etwas weniger stark, aber immer noch merklich.
Diesel-Fahrverbote: Bundesverwaltungsgericht gibt Richtung vor
Am Donnerstag entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über die Rechtmäßigkeit zweier Urteile lokaler Verwaltungsgerichte in Düsseldorf und Stuttgart, bei denen Diesel-Fahrverbote als Teil von Maßnahmenpaketen zur Verbesserung der Luftqualität vorgesehen werden. Gegen die Urteile haben die beiden Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg geklagt – kurz hintereinander, weshalb die Leipziger Richter beschlossen haben, die ähnlichen Rechtsfragen zeitgleich zu bearbeiten.
Das Stuttgarter Gericht nannte Fahrverbote dabei die „effektivste“ Maßnahme. Das Düsseldorfer Gericht urteilte, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge müssten „ernstlich geprüft“ werden.Letztlich kann das Gericht die Urteile bestätigen oder aufheben und eine klare Richtung vorgeben. Dabei geht es besonders um die Frage, ob einzelne Städte gegen die geklagt wird, zu Fahrverboten gezwungen werden oder aber ob es eine Aufgabe des Bundes sein muss, eine übergreifende Entscheidung zu treffen. Diese könnte die blaue Plakette sein. Kommt die blaue Plakette droht Millionen Diesel-Fahrern der Verlust der Erlaubnis, in die Innenstädte zu fahren.
Andere Großstädte wie London sind schon seit Jahren dabei, viele Fahrzeuge aus der Innenstadt zu verbannen. Bus und Bahn und Taxis sind die Hauptverkehrsmittel geworden. Die Stadt ist nicht zusammengebrochen – deutsche Großstädte scheinen darauf kaum vorbereitet zu sein.Insbesondere auch deshalb, weil der ÖPNV zwischen dem Umland un den Städten oft zu schlecht ausgebaut ist. Hier müsste auch angesetzt werden.
Fahrverbote treffen Handwerker, Taxi-Unternehmer, Pendler besonders
Klar ist: Gerade für Handwerker, die viel transportieren müssen und für die daher Elektroautos auch aufgrund des schwachen Angebots noch keine Alternative darstellen, würde ein Fahrverbot in die Innenstadt von Stuttgart, München, Hamburg oder Düsseldorf schwer treffen. Ebenfalls Pendler oder Taxi-Unternehmer. Selbst wenn es Ausnahmeregelungen und Übergangsfristen gibt, bis die blaue Plakette greifen könnte: Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts wird unter den 15 Millionen Diesel-Fahrern viele Verlierer produzieren, deren Fahrzeuge an Wert verlieren oder die eine Nachrüstung benötigen.
Andererseits muss auch immer wieder an die Situation erinnert werden: Alle Großstädte und Ballungsräume in Deutschland sind aufgrund verstärkt auftretender Emissionen von einer erhöhten Luftschadstoffbelastung betroffen:
- 28 deutsche Städte und Regionen, darunter Großstädte wie München, Köln, Hamburg und Berlin verstießen 2016 gegen die gesetzlich vorgeschriebenen Stickoxid-Grenzwerte.
- Im Jahr 2015 registrierten 57 % städtischer und verkehrsnaher Luftmessstationen eine Überschreitung des Jahresgrenzwerts von 40 μg / m³ im Jahresmittel.
- Daher diskutiert die Politik derzeit die Einführung einer sogenannten Blauen Umweltplakette für Fahrzeuge deren Stickoxidemissionen die Euro 6-Grenzwerte einhalten.
Der Verkehrsbereich trägt nach Angaben des Umweltbundesamts rund 60 Prozent zur NOx-Belastung bei. Daran wiederum sind Diesel-Pkw zu 72,5 Prozent beteiligt – Diesel-Fahrzeuge sind die Hauptquelle für Stickoxide in den Städten.
Weitere Informationen zum Thema Diesel-Fahrverbote gibt es hier im Web:
- Wie KFZ-Werkstätten das Thema Nachrüstung sehen
- Wie London seine Diesel-Busse mit (teilweise) deutscher Technik nachrüstet
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.