Bis zu 8,6 Millionen Diesel-Besitzer mit entsprechendem Motor EA-189 könnten betroffen sein.
VW benutzt nach Ansicht des Verwaltungsgerichts in Schleswig weiterhin illegale Abschalteinrichtungen in Verbindung mit 62 Modellvarianten mit dem Diesel-Motor EA-189 der Abgasstufe 5. Nach dem Urteil des Gerichts – Volkswagen hat angekündigt, in Revision zu gehen – müssen Millionen Diesel-PKW der Marken VW, Seat und Audi stillgelegt oder auf Kosten der Hersteller mit einer neuen Abgasreinigung ausgestattet werden. Das Urteil, das die Deutsche Umwelthilfe DUH errungen hat, zeigt: Auch acht Jahre nach Aufdecken des Dieselskandals haben die Autobauer wie Volkswagen und Mercedes nicht flächendeckend Konsequenzen gezogen. Der Diesel-PKW ist am Ende.
Seit Jahren spielt Volkswagen auf Zeit, um die Folgen des Dieselskandals zu verringern. Gegner dieser Strategie sind tausende Verbraucher mit Betrugsdieseln und Umweltorganisationen wie die Deutsche Umwelthilfe, die das Recht auf saubere Luft in Deutschlands Städten bedroht sieht – und durchsetzen möchte.
Für Autobesitzer ist das jetzige Urteil in Schleswig ein bedeutender Meilenstein. Die umstrittenen Zulassungszertifikate betreffen Fahrzeuge mit dem Diesel-Motor EA 189, die gemäß der Abgasnorm Euro 5 zugelassen wurden. Es betrifft also eine begrenzte Anzahl von Pkw-Modellen, die zwischen etwa 2009 und 2014 hergestellt wurden und von denen vermutlich mehrere Millionen in Deutschland zugelassen wurden. Die genaue Anzahl der betroffenen Fahrzeuge ist jedoch ungewiss.
Viele Betreiber von betrügerischen Diesel-Fahrzeugen haben mittlerweile ihre Autos im Ausland verkauft oder beseitigt. Dadurch wird der Aufwand für die Hersteller, die Diesel-PKWs zurückzurufen, um sie mit neuer Software oder sogar Hardware nachzurüsten oder sie gegen Entschädigung zurückzunehmen, verringert. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, müssen die Besitzer der betroffenen Diesel-PKWs eine größere Werkstatt aufsuchen, um weiterhin legal fahren zu können. Ihre Chancen auf Schadensersatz steigen ebenfalls.
Das Gericht stellte klar: 62 Modellvarianten von VW, Seat und Audi mit dem Diesel-Motor EA-189 der Abgasstufe Euro 5 verstoßen gegen Recht und Gesetz und enthalten auch mehr als acht Jahre nach Aufdeckung des Dieselskandals nach wie vor aktive illegale Abschalteinrichtungen.
Die Abgasreinigung bei Diesel-Fahrzeugen muss zwischen minus 15 Grad Celsius bis plus 40 Grad funktionieren, so die Richter. Abschalteinrichtungen, die unter zehn Grad Außentemperatur, nach 15 Minuten Leerlauf oder oberhalb von 1.000 Metern Höhe die Reinigung der Abgase runterfahren oder ganz abschalten, sind unzulässig.
Dass das Kraftfahrtbundesamt (KBA) dies über Jahre geduldet hat, war rechtswidrig.
Das Gericht hob die Freigabebescheide der Behörde für alle betroffenen Diesel-Fahrzeuge des VW-Konzerns mit dem Diesel-Motor EA189 auf.
Das Gericht hat angeordnet, dass das KBA Maßnahmen gegen den VW-Konzern ergreift, um die Abschalteinrichtungen zu entfernen.
Die Deutsche Umwelthilfe verlangt nun entweder eine unverzügliche Anordnung der Nachrüstung der Fahrzeug-Hardware oder eine Stilllegung der betroffenen Autos mit Entschädigung der Kunden, wobei die Kosten von den Autoherstellern getragen werden sollen.
Thermofenster-Software genügt Gericht nicht
Mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schleswig ist die Erlaubnis für etliche Fahrzeuge mit sogenanntem Thermofenster widerrufen worden (Az. 3 A 332/20). Die genannte Software deaktiviert die Abgasreinigung bei bestimmten Temperaturen, zum Beispiel bei extrem niedrigen Temperaturen wie derzeit. Dadurch setzen die Fahrzeuge gefährliche Mengen an Stickoxiden frei, die weit über den offiziellen Grenzwerten liegen. Dies stellt eine Bedrohung für die öffentliche Gesundheit dar.
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Sollte das Urteil bestätigt werden, stehen für die Dieselmodelle der Volkswagen-Konzernmarken VW, Audi und Seat mit dem Motortyp EA 189 und der entsprechenden Abschalteinrichtung zwei Möglichkeiten zur Verfügung: eine Nachrüstung oder die Stilllegung. Es besteht die Möglichkeit, dass demnächst auch gegen Modelle verschiedener Hersteller nach demselben Muster vorgegangen wird.
Neue PKW mit Diesel-Motor werden unverkäuflich
Der Diesel-Motor ist längst ein Auslaufmodell und wird weit früher aus den Verkaufsprospekten von Volkswagen, Mercedes, Audi, BMW und Co. verschwinden, als es heute realistisch erscheint. Das Dieselsterben beginnt bereits heute bei Kleinwagen, weil diese die Abgasnorm Euro 6d einhalten müssen. Hierzu muss aber teure Technik verbaut werden, die sich für Klein- und Kompaktwagen nicht rechnet.
Die Umwelthilfe schätzt, dass bis zu 8,6 Millionen Besitzer*innen von Dieselfahrzeugen indirekt betroffen sein könnten, falls sich die verbotene Abschalteinrichtung im Einzelfall nachweisen lässt. Auch gegen Modelle von BMW, Mercedes-Benz, Porsche, Fiat, Renault oder Volvo hatte die Organisation längst geklagt, das Thermofenster war keine Besonderheit von VW.
„Wenn das KBA zukünftig als neutrale Behörde ernst genommen werden will, muss es endlich einschreiten und aufhören, insbesondere Volkswagen nach dem Mund zu reden“, so Rechtsanwalt Remo Klinger. „Die höchstrichterliche Klärung zu diesen Fragen liegt durch mehrere Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs längst vor.“
Zieht das KBA den Diesel-Motor EA-189 aus dem Verkehr?
Das Kraftfahrt-Bundesamt bereitet sich bereits auf die neue Situation vor und ergreift selbst Maßnahmen. Im vergangenen Dezember erließ die Flensburger Behörde einen Rückruf für über hunderttausend Diesel-Mercedes-Fahrzeuge, der eine Software-Nachrüstung beinhaltet.
Das zeigt: Entgegen der Ansicht der Autokonzerne, dass der Dieselskandal längst nicht ausgestanden ist. Für VW oder Mercedes kommt auch dieses Urteil zur Unzeit: Die Autokonzerne müssen sparen und viel Geld in die Transformation zum Elektroauto investieren. Es droht der Verbrenner-Kollaps.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.