Diesel-Urteil: Der Unterschied zwischen deutschen Großstädten wie Aachen und Weltstädten wie Oslo, Paris oder London ist schon frappierend. Während Politiker in den genannten Städten in Norwegen, Frankreich oder Großbritannien ausgesprochen aktiv für intelligentere Mobilität in den Städten sorgen, ist das in Deutschland kaum der Fall. Des „Deutschen liebstes Kind“ auch nur ansatzweise aus der Innenstadt zu drängen, traut sich niemand. Daher müssen hierzulande Gerichte über Diesel-Fahrverbote bestimmen. In Aachen wurde ein solch wegweisendes Diesel-Urteil gefällt.
Während in Deutschland lieber über die Sinnhaftigkeit von Grenzwerten gestritten wird, wird in anderen Ländern längst gehandelt. In London etwa werden Taxis schrittweise nur noch dann zugelassen, wenn sie zumindest teilweise emissionsfrei fahren können. In Deutschland hingegen braucht es andere Maßnahmen: Es wird nur dann gehandelt, wenn vorher Gerichte keine andere Wahl gelassen haben.
Nach dem eindeutigen Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts mit der Aussage, dass Fahrverbote durchsetzbar sind, folgen nun spezifische Urteile in den einzelnen Regionen. Die Deutsche Umwelthilfe hat in 27 Städten geklagt. In Aachen hat das Gericht im Streit um „Saubere Luft“ entscheiden, die Bezirksregierung müsse Diesel-Fahrverbote unverzüglich aufnehmen und bis zum Jahreswechsel umsetzen. Klatsch.
Mit dem Diesel-Urteil zeigt das Aachener Verwaltungsgericht, wie wichtig ihm Gesundheitsschutz und die Einhaltung der Grenzwerte ist. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung kritisierte das Gericht die auf Verzögerung ausgerichtete Politik von Land und Stadt massiv. Eine Grenzwerteinhaltung selbst bis 2020 sei zu spät. Das Verwaltungsgericht hat das Land dazu verurteilt, dass die NO2-Grenzwerte in Aachen spätestens zum 1.1.2019 zwingend einzuhalten sind.
„Es ist aktuell nicht erkennbar, dass dies ohne Diesel-Fahrverbote gelingen wird“, sagte der Vorsitzende Richter Roitzheim in der mündlichen Verhandlung. Und weiter: „Es müssen die Maßnahmen zum 1.1.2019 ergriffen werden“.
Diesel-Urteil: Handeln in gesamtem Mobilitätssektor angesagt
Das Diesel-Urteil zeigt, wie auch in den anderen, 27 Fällen geurteilt werden dürfte. Nämlich ganz ähnlich. Dazu passt die Nachricht vom Wochenende, dass die Autokonzerne lediglich 2,5 Millionen Diesel-Fahrzeuge bislang über Software-Updates „umgerüstet“ haben – und dabei nicht mal ihre eigenen Zeitpläne einhalten. Es muss dringend ein Umdenken her, um im Mobilitätssektor das Erreichen der Klimaschutzziele nicht zu verschlafen. Die Zeit ist reif dafür, jetzt zu handeln, denn passende Technologien sind vorhanden – es fehlt lediglich der politische und gesellschaftliche Wille.
Vergangene Woche haben die deutschen Mineralölverbände eine Prognos-Studie veröffentlicht und sich darin für den sofortigen, großtechnischen Einsatz von synthetischen Kraft-, Brenn- und Treibstoffen ausgesprochen. Es war ein bedeutsamer, historischer Schritt, dass diejenigen, die von fossilem Öl leben, sich zu Alternativen bekennen. Nach der Erkenntnis der Wirtschaft, müssen nun Politik und Gesellschaft nachziehen. Synthetische Kraftstoffe, oft E-Fuels genannt, werden auf Basis von CO2 als Kohlenstoffquelle produziert. Neben Wasser ist dafür vor allem Ökostrom notwendig.
Es braucht jetzt dringend die bundespolitische Entscheidung für einen Technologiemix, der Deutschlands Städte in punkto Saubere Luft zurück an die Weltspitze bringt und gleichzeitig eine Möglichkeit bietet, die Klimaschutzziele einzuhalten:
- Großtechnischer Einsatz von E-Fuels muss angeschoben werden, wie in Prognos-Studie vorgesehen
- Der ÖPNV muss schleunigst durch Nutzung synthetischer Kraftstoffe, aber vor allem durch Umrüstung der bestehenden Diesel-Flotten und das sukzessive Ersetzen durch Elektrobusse sauberer gemacht werden
- Handwerker und andere Gewerbetreibende müssen die Chance bekommen, ihre Diesel-Flotten umzurüsten oder alternativ Elektro-Alternativen zu leasen, um den höheren Anfangsinvestitionen aus dem Weg zu gehen
- Digitale Systeme, die beispielsweise die Parkplatzsuche vereinfachen oder intelligente Ampelphasen ermöglichen, müssen schneller kommen als vorgesehen
Und schließlich müssen die Diesel-Skandale von Volkswagen und jetzt offenbar auch Daimler schnellstmöglich komplett aufgearbeitet werden. Ansonsten werden VW oder Daimler weiter von anderen, rasant wachsenden Playern wie Tesla, Geely oder Byton überrollt. Das sollte die deutsche und europäische Autoindustrie nicht zulassen.
Kurzum: Wenn das Diesel-Urteil aus Aachen bewirkt, dass die genannten Entwicklung endlich mit voller Kraft vorangetrieben werden, ist es ausgesprochen positiv zu werten. Denn dann werden erzwungene Fahrverbote für einzelne Autotypen die absolute Ausnahme bleiben. Und das muss aufgrund der Diskriminierung der Diesel-Fahrzeuge das Ziel sein. Bleibt die Politik weiter engstirnig und traut sich nicht, in die Zukunft zu investieren, werden Fahrverbote in vielen Großstädten die Folge sein. Womöglich dann für weit mehr Fahrzeugtypen als heute vorstellbar.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.