Was sind Disruptionen? Welche Beispiele für disruptive Technologien und Innovation gibt es?
Die Welt steht vor einer disruptiven Ära, in der erneuerbare Energien wie Solar und Wind den gesamten Energiemarkt revolutionieren. Mit dramatischen Kostensenkungen haben Solar- und Windenergie die weltweite Verbrennung von Kohle, Öl, Erdgas und Uran zur Energiegewinnung überflüssig gemacht. In diesem Artikel über Disruption wird erklärt, was disruptive technische Innovation bedeutet, anhand von historischen Beispielen. Zudem werden die bevorstehenden grundlegenden Veränderungen auf verschiedenen Märkten sowie die Auswirkungen auf den Energiesektor dargestellt.
Solar, Wind, Batterien, E-Autos und autonomes Fahren sind bahnbrechende Technologien und Innovationen, die das fossilbasierte Zeitalter schnell beenden werden. Diese disruptiven Veränderungen werden die eng verknüpften Märkte für Energie und Mobilität dezentralisieren und vollständig umgestalten. In den nächsten zehn Jahren steht der größte Wandel im Energiesektor und im Transportsektor seit über 120 Jahren bevor.
Ein vergleichbarer Wandel fand vor über einem Jahrhundert statt, als sich das Automobil innerhalb weniger Jahrzehnte von der Pferdekutsche durchsetzte. Dieser Wandel war möglich durch die Innovation des Verbrennungsmotors und den Zugang zu kostengünstigem Kraftstoff. Trotz anfänglicher Vorbehalte und der Liebe zum traditionellen Pferd und Kutsche setzte sich das Auto dank seiner Vorteile, wie größerer Reichweite, schnell durch. Es dauerte jedoch einige Zeit, bis Straßen und andere Infrastruktur, sowie Produktionskapazitäten für Autos entwickelt wurden.
Definition: Was bedeutet Disruption?
Disruption bezeichnet eine grundlegende Veränderung auf einem Markt, die durch innovative Technologien ausgelöst wird. Ein Beispiel dafür ist der Übergang von der Pferdekutsche zum Auto. Dabei können scheinbar unbedeutende Nischenlösungen innerhalb kurzer Zeit den Markt dominieren und globale Märkte umkrempeln.
Der Begriff stammt aus dem Englischen und Lateinischen – „to disrupt“ bedeutet „unterbrechen“ oder „zerstören“. Disruptive Technologien wie das Auto mit Verbrennungsmotor setzen sich durch neue Geschäftsmodelle gegen etablierte Lösungen durch und fördern die Entstehung neuer, schnell wachsender Innovationen, die oft preisgünstiger sind und dadurch eine breitere Palette von Kunden ansprechen.
Disruptive Innovation 1: Ballmer und das Smartphone
Die Bedeutung disruptiver Technologien und Innovationen ist, dass etablierte Marktführer oft nicht erkennen, dass sich der Markt von ihrer eigenen Technologie wegbewegt.
Ein gutes Beispiel dafür ist der Aufstieg des Smartphones, als Apple und Google im Jahr 2007 auf den Markt kamen. Unternehmen wie Nokia oder Blackberry waren überzeugt, dass diese neue Technologie zu teuer und für die Kunden uninteressant sei. Sogar der damalige Microsoft-Chef Steve Ballmer erklärte, dass das iPhone niemals einen bedeutenden Marktanteil erreichen würde.
Ballmer hatte jedoch nicht erkannt, dass Apple es geschafft hat, das iPhone innerhalb von nur sieben Jahren in Milliardenhöhe zu verkaufen. Obwohl es keine physische Tastatur hatte und auf den ersten Blick mit einem Preis von 600 Dollar nicht gerade erschwinglich schien, hat es den Markt für Mobiltelefone revolutioniert. Es hat auch erhebliche Auswirkungen auf die Bereiche digitale und analoge Fotografie, Shopping-Verhalten und Nachrichtennutzung (Social Media) gehabt.
Apple und Google haben darauf gewartet, bis die Technologie für ein solches Gerät bereit war. Die Kombination vieler Innovationen und technologischer Verbesserungen hat diese Veränderungen ermöglicht. Touch-Displays wurden erschwinglich, Batterien boten eine akzeptable Nutzungsdauer, Chips verbesserten ihre Leistungsfähigkeit und neue Mobilfunkstandards ermöglichten die Übertragung großvolumiger Daten.
Disruptive Technologien 2: Solarenergie
Die Energieerzeugungsrevolution durch Solarenergie ist eine der dynamischsten Disruptionen, die jemals auf der Welt stattgefunden hat. Ein deutliches Zeichen dafür ist der rapide Preisverfall von Solarmodulen. Im Jahr 1977 kostete ein Solarmodul stolze 77 Dollar pro Watt, doch bis 2017 hat sich der Preis auf nur noch 0,30 Dollar pro Watt reduziert. Und diese Entwicklung ist noch lange nicht abgeschlossen, wie im folgenden Video von Investor und Marktexperte Ramez Naam bestätigt wird. Er prognostiziert in den nächsten zehn Jahren einen weiteren Rückgang auf nur noch 10 Cent pro Watt.
Die Vergangenheitsentwicklung beeinflusst den heutigen Energiemarkt. In vielen Teilen der Welt sind Solarkraftwerke mittlerweile kostengünstiger als neue Gas- und Kohlekraftwerke, die Strom für ungefähr sechs Cent pro Kilowattstunde produzieren. Am 28. April 2020 wurde bekanntgegeben, dass die Abu Dhabi Power Corporation ein erstaunliches Angebot von 1,35 Dollar-Cent pro Kilowattstunde für einen Solarpark erhalten hat. In der Al Dhafra Region entsteht derzeit einer der weltweit größten Solarparks, der bis Mitte 2022 vollständig in Betrieb sein soll.
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Selbst in Deutschland, einem Land, das nicht als sonnenreich und damit prädestiniert für Solarenergie gilt, gehen die Gebote mittlerweile auf vier bis fünf Eurocent zurück – ohne Subventionen. Deutschland hat maßgeblich dazu beigetragen, die Photovoltaik zu etablieren und kostengünstiger zu machen. Ein Ergebnis davon sind die höchsten Strompreise in Europa, da die weniger ideale Photovoltaik-Ernte hierzulande durch eine höhere Förderung unterstützt wird.
Aber: Sogar hier beginnt nun die nächste Phase, da nun die gesamte Welt zur weiteren Preisreduktion von Solarmodulen beiträgt. Deutschland wird in Zukunft indirekt von den noch deutlich günstigeren Herstellungskosten beispielsweise in Spanien, Portugal oder Nordafrika profitieren: Durch den Import von kostengünstigem, umweltfreundlichem Wasserstoff oder Methanol.
Technologieentwicklung nicht abgeschlossen
Die Technologieentwicklung im Bereich der Solarenergie ist noch lange nicht abgeschlossen. Innovations in Heterojunction- oder Perowskit-Solarzellen könnten einen großen Effizienzsprung ermöglichen. Bifaciale Module und organische Solarzellen, wie sie zum Beispiel von Heliatek aus Dresden hergestellt werden, erweitern die Anwendungsmöglichkeiten der Solarenergie. Unternehmen wie Zolar oder Enpal machen es zudem attraktiv, Photovoltaikanlagen auf den Hausdächern zu installieren.
Der Aufstieg der Solarenergie ist mehr als nur eine Revolution. Es handelt sich um eine der dynamischsten Marktveränderungen, die die Welt seit dem iPhone gesehen hat. Der anhaltende Preisverfall, das Potenzial in sonnenreichen Regionen und viele andere Faktoren deuten darauf hin, dass der Siegeszug der Solarenergie möglicherweise schneller kommt als von Experten prognostiziert.
Disruptive Innovation 3: Vom Auto zu Transport as a Service
Der Mobilitätsbereich befindet sich derzeit in einer technologischen Disruption, da die Beliebtheit von E-Autos kontinuierlich wächst. Die Europäische Union hat ein Verbrenner-Verbot ab 2035 beschlossen, was diese Entwicklung weiter vorantreibt. Laut Experten von Bloomberg wurde der entscheidende Kipppunkt bereits überschritten, was zu exponentiellem Wachstum führt.
E-Autos sind etwa zehnfach energieeffizienter als Verbrenner, was einer der Hauptgründe für diese Veränderungen ist. Es gibt bereits Batterien, die mehr als 2 Millionen Meilen halten können. Obwohl für den einzelnen Besitzer diese technologische Innovation kaum relevant ist, hat sie eine weitere Umwälzung ausgelöst: Das Geschäftsmodell „Transport as a Service“ wird aufgrund seiner Attraktivität den Autobesitz stark reduzieren.
Zusätzlich zu dieser Veränderung kommt in den nächsten Jahren das autonome Fahren hinzu. Wartungsarme E-Autos können zukünftig bis zu 12 Stunden am Tag auf den Straßen unterwegs sein, wodurch weniger Fahrzeuge für eine höhere Mobilität sorgen. In den Pausen können die Elektroautos dann netzdienlich geladen oder entladen werden. Die Möglichkeit, das Fahrzeug per Smartphone-Knopfdruck vor der eigenen Haustür zu haben, wird in den 2020ern sehr attraktiv sein.
Wo kommt Begriff disruptive Technologien her?
Der Begriff „disruptive Innovation“ wurde 1997 von dem Harvard-Professor Laytom M Christensen geprägt. In seinem Buch „The Innovator’s Dilemma“ beschrieb er erstmals den Begriff und die Theorie der disruptiven Technologien.
Nach Christensen ist es essenziell für Disruptoren, neue Märkte zu erschließen, die zuvor nicht existierten. Durch diese Innovationen gelingt es ihnen, bisherige Nicht-Nutzer, wie zum Beispiel von Mobiltelefonen, zu Nutzern zu machen. Seitdem ist der Begriff der „disruptiven Innovation“ vor allem unter Managern geläufig. Allerdings wird er oft auch für jede größere Marktveränderung verwendet, auch wenn sie nicht wirklich revolutionär ist.
Neben Professor Christensen prägt und entwickelt auch Tony Seba, Mitgründer des Think Tanks RethinkX, kontinuierlich die Theorie weiter. Seba ist Dozent an der Stanford-University und spezialisiert auf Unternehmertum und saubere Energien. In seinen Büchern und Publikationen, die hauptsächlich an Entscheidungsträger in Regierungen, Städten und Unternehmen gerichtet sind, analysiert Seba vergangene Entwicklungen und zieht daraus Rückschlüsse auf zukünftige Umwälzungen.
“Die 2020er Jahre werden das schnellste, tiefgreifendste und umwälzendste Jahrzehnt der Geschichte für die Sektoren Energie, Transport, Lebensmittel, Landwirtschaft, Information und Materialien sein.
Tony Seba über die Dekade der Disruption
In seinen Büchern, öffentlichen Vorträgen und anderen Publikationen widmet sich Seba insbesondere der Vorhersage zukünftiger disruptiver Technologien. Er kritisiert herkömmliche Analysten, die den Zusammenbruch des fossilen Energiezeitalters oft jahrelang nicht vorhersehen oder in ihren Modellen abbilden konnten. Disruptionen folgen einer S-Kurve, was exponentielles Wachstum bedeutet. Die Analysten hingegen gehen meist von einem linearen Anstieg des Marktanteils der Innovation aus.
Die unaufhaltsame Umwälzung
Disruptionen haben die Macht, globale Märkte komplett umzukrempeln. Dabei folgt eine disruptive Umwälzung klaren ökonomischen Gesetzen. Jede Technologie hat ihre eigene Lernkurve. Zum Beispiel wird Solarenergie mit jeder Verdopplung der Produktionskapazität um 30 Prozent günstiger. Das treibt ihren unaufhaltsamen globalen Erfolg voran, trotz aller Widerstände seitens der fossilen Industrie.
Diese unaufhaltsamen Umwälzungen betreffen jedoch nicht nur die Bereiche Energie und Mobilität. Auch Information, Material und Food werden weitere disruptive Technologien hervorbringen. Infolgedessen wird sich unsere gesamte Zivilisation verändern – vorausgesetzt, wir setzen die richtigen Rahmenbedingungen und verhindern unsere eigene Selbstzerstörung.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.