Münchener Cleantech-Startup Electrochaea errichtet Pilotanlage gemeinsam mit Engie, Storengy und John Cockerill auf dem Gelände des Kalk- und Zementherstellers Carmeuse in Belgien.
Die europäische Industrie unternimmt zunehmend Anstrengungen, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. So werden wasserstoffbasierte Stahlwerke angekündigt oder Biokohle zur Dekarbinisierung der Metallurgie-Branche hergestellt. Jetzt gibt es eine weitere Initiative des Kalk- und Zemetherstellers Carmeuse aus Belgien. Ein Industriekonsortium will auf dem Gelände eines Kalkwerks eine Pilotanlage zur biologischen Methanisierung errichten – und pro Jahr und Anlage 90.000 Tonnen CO2 einsparen.
Das Cleantech-Startup Electrochaea liefert eine skalierbare Power-to-Metha-Anlage nach Belgien, um die CO2-Emissionen bei der Kalkherstellung zu reduzieren. Das Münchener Unternehmen nutzt Mikroorganismen, die CO2 zum Wachstum brauchen – und in Biogas umwandeln. Das Prinzip haben die Gründer in mehreren Anlagen unter Beweis gestellt. In Belgien in der Nähe von Charleroi soll nun eine neue Pilotanlage bis 2025 entstehen. Kosten: 150 Millionen Euro.
Ziel ist es, die hohen CO2-Emissionen der Kalk- und Zementherstellung drastisch zu senken. Neben dem Kalkhersteller Carmeuse sind auch das Energieunternehmen Engie, die Engie-Tochter Storengy und der Maschinen- und Anlagenbauer John Cockerill involviert. Während eine Anlage die CO2-Emissionen um 90.000 Tonnen mindern soll, sieht Electrochaea in Deutschland ein Einsparpotenzial von bis zu 3,8 Millionen Tonnen CO2.
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Das Konsortium hat eine Förderung im Rahmen des EU‐Innovationsfonds und IPCEI (Important Project of Common European Interest) beantragt. Die Projektumsetzung beginnt 2022. Die Anlage soll 2025 betriebsbereit sein. Damit ist es das weltweit größte Projekt seiner Art zur CO2‐Einsparung in der Kalkindustrie.
Kalk als vielfältige Ressource
Kalk wird hauptsächlich bei der Produktion von Eisen, Stahl, Glas und chemischen Produkten, aber auch im Wohnungs‐ und Straßenbau, bei der Trinkwasseraufbereitung und Abwasserbehandlung sowie der industriellen Abgasreinigung eingesetzt. Das Brennen von Kalkstein (CaCO3) bei hohen Temperaturen zu Branntkalk (CaO) ist laut Bundesverband der Deutschen Kalkindustrie allein in Deutschland für über 1,5 Prozent des gesamten CO2‐Ausstoßes verantwortlich.
Etwa zwei Drittel des bei der Kalkherstellung freigesetzten CO2 sind hierbei prozessbedingt und lassen sich nicht vermeiden. Die Kalkindustrie setzt deswegen nach dem Gedanken der Kreislaufwirtschaft auf alternative Ansätze, wie die Abtrennung mit anschließender Nutzung des CO2 (Carbon Capture Utilisation).
Bisherige Technologien zur Wiederverwertung des CO2 haben sich als nicht ökonomisch erwiesen, da sie nur aufbereitetes, reines CO2 nutzen können. Electrochaea ist es hingegen gelungen, eine Technologie zu entwickeln und auf den Markt zu bringen, die auch mit verunreinigtem CO2 sehr gut arbeiten kann. „Das ist ein großer Vorteil gegenüber allen anderen Verfahren, da wir das CO2 nicht reinigen müssen. Es entfällt also ein wesentlicher, kostenaufwendiger Schritt“, erklärt Dr. Doris Hafenbradl, Geschäftsführerin und technische Leiterin von Electrochaea.
Mit der Electrochaea‐Methode kann der CO2‐Ausstoß der Kalkproduktion nach Unternehmesangaben langfristig drastisch reduziert werden. Statt das CO2 aus dem Prozess als Treibhausgas freizusetzen, wandeln Mikroorganismen das CO2 in Bioreaktoren unter Zusatz von grünem Wasserstoff in treibhausgasneutrales Methan um, das die gleichen Nutzeigenschaften wie Erdgas besitzt.
Für die Wasserstoff‐Versorgung baut das Projektkonsortium außerdem eine der größten Elektrolyseanlagen der Welt mit einer Leistung von 75 Megawatt. Das grüne Methan aus der Anlage in Charleroi kann direkt in das nationale Netz eingespeist werden und bis zu 15.000 Vier‐
Personen‐Haushalte mit Gas zum Heizen, für Warmwasser und zum Kochen versorgen. Das entspricht in etwa 240 Gigawattstunden Gas pro Jahr. Auch als Rohstoff für industrielle Nutzer sowie als Kraftstoff für den Transportsektor ist das Gas sehr gut einsetzbar. Baustart für die
Anlage ist 2022.
Deutsche Kalkindustrie könnte 3,8 Mio. Tonnen einsparen
Für die Kalkindustrie in Deutschland bietet die Electrochaea‐Methode eine enorme Chance zur CO2‐Einsparung. Laut einem aktuellen Navigant Energiewendebericht wird in Deutschland an 42 Standorten von 22 Unternehmen Kalk hergestellt. Rechnerisch könnte die deutsche Kalkindustrie durch den Einsatz der Electrochaea‐Technologie pro Jahr bis zu 3,8 Millionen Tonnen CO2 einsparen.
Electrochaea vermarktet die Technik, mit der sich Biogas in großen Mengen produzieren und speichern lässt. Das Cleantech-Startup hofft dabei vor allem auf die USA. Denn das Land könnte bald einen großen Bedarf an der Technologie haben.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.