Elektrische Luftfahrt: Bye Aerospace kündigt 900-km-Elektroflugzeug an

Cleantech-Startup Bye Aerospace setzt beim eFlyer 800 auf Festkörper-Lithium-Schwefel-Batterien von Oxis Energy.

Die elektrifizierte Luftfahrt steht in den kommenden Jahren vor entscheidenden Entwicklung: Während Flugtaxi-Startups wie Lilium, Joby Aviation oder Volocopter ihre kommerziellen Angebote ab Mitte des Jahrzehnts planen, zeigen sich am Horizont auch Lösungen für elektrische Flugzeuge, die zumindest kleine Passagierzahlen über fast 1.000 Kilometer sicher von A nach B bringen könnten. Mit dem eFlyer 800, das Bye Aerospace jetzt angekündigt hat, wird die Strecke von München nach Hamburg bald vollelektrisch realisierbar. Vorausgesetzt die Batterie-Technologie etwa von Bye-Partner Oxis Energy entwickelt sich so weiter, wie angekündigt.

George Bye ist der Kopf hinter dem Cleantech-Startup, das jetzt seine Pläne für das eFlyer 800 enthüllt hat. Im Vergleich zu den futuristischen Flugobjekten etwa von Volocopter sieht das Transportmittel von Bye Aerospace eher konventionell aus. Der Gedanke dahinter ist einleuchtend: Je konventioneller das Flugzeug aussieht, umso leichter könnte die Marktreife sowie die Zertifizierung erreicht sein.

eFlyer 800 ist ein Turboprop-Achtsitzer mit zwei Propellern, beschrieb das Cleantech-Startup aus Denver und könnte eines Tages die meistverkaufte Turboprop-Maschine Beechcraft King Air ersetzen. Im Vergleich zu diesem Flugzeug wird die eFlyer 800 nur etwas mehr als 950 Kilometer Reichweite haben. Die Anschaffungskosten dürften ähnlich sein (6 Milo. Dollar). Aber: Durch den elektrischen Antrieb könnten die Betriebskosten auf weniger als ein Fünftel fallen – das würde den Markt für entsprechende Kleinflugzeuge vollständig umkrempeln.

Die niedrigen Betriebskosten sind insbesondere das Resultat niedriger Strompreise im Vergleich zu Flugbenzing – und des geringeren Wartungsbedarfs von Elektromotoren. Angesichts dieser Vorteile könnte die eFlyer 800 eines Tages auch zur Frachtzustellung dienen – und möglicherweise einen Teil des LKW-Verkehrs ersetzen. Laut Bye Aerospace würde das Elektroflugzeug dann weitere Vorteile ausspielen: Geringere Kosten im Vergleich zu LKW, ohne Kohlendioxid-Emissionen wenn der Strom aus erneuerbaren Energien erzeugt wird – und sogar nachts mit deutlich weniger Lärm über dicht besiedelte Stadtteile etwa von Los Angeles fliegen.

Oxis Energy entwickelt Quasi-Festkörper-Zelle

Ob die elektrische Revolution innerhalb der kommenden fünf Jahre bereits an Dyamik gewinnt, hängt insbesondere von einer Komponente ab: Den Batterien, die eine deutlich höhere Energiedichte brauchen, als heute übliche Lithium-Ionen-Batterien. Doch immer mehr Batterie-Startups kündigen genau solche Batteriesysteme an – so beispielsweise auch Bye-Partner Oxis Energy. Ab Herbst will das Cleantech-Startup seine Quasi-Festkörper-Zellen Kunden zu Testzwecken und als „Proof-of-Concept“ zur Verfügung stellen. Die Serienfertigung soll dann im kommenden Jahr starten.

Die Quasi-Festkörper-Zelle von Oxis ist eine Lithium-Schwefel-Zelle, die eine Energiedichte von 450 Wattstunden pro Kilogramm bzw. 550 Wattstunden pro Liter haben soll. Für den Herbst 2023 hat das Unternehmen die Erhöhung dieser Leistungswerte auf 550 Wattstunden pro Kilogramm bzw. 700 Wattstunden pro Liter in Aussicht gestellt. Drei Jahre später sind Werte von 600 / 900 zu erwarten. Dabei liegt die Zell-Kapazität zwischen 10 und 20 Amperestunden.

Dabei sind die Oxis-Zahlen nicht nur Luftschlösser. Laut CEO Huw Hampson-Jones hat das Unternehmen in 2020 eine Lithium-Schwefel-Batterie in einer Drohne eingesetzt, die 473 Wattstunden pro Kilogramm Energie auf Zelleebene hatte. Den Durchbruch seiner Technologie hat Oxis bereits vor drei Jahren geschafft – seitdem hat das Cleantech-Unternehmen mehrere Patentfamilien angemeldet und unter anderem eine Fertigung in Brasilien vorbereitet.

Degradation der Anode reduziert

Ein Kernproblem von Lithium-Schwefel-Zellen will der Techniker gelöst haben: Die Degradation der Lithium-Metall-Anode wurde reduziert, so dass von mehreren Hundert Zyklen auszugehen ist. Im Flugbetrieb würde das fünf bis zehn Jahre Lebensdauer bedeuten – ausreichend, weil in dieser Zeit so viel bessere und preiswertere Technologien zu erwarten sind, die die Wirtschaftlichkeit noch weiter verbessern dürften.

Die Vorteile der Quasi-Festkörper-Batterien gegenüber Lithium-Ionen-Akkumulatoren sind mehrschichtig: Einerseits sind die genannten Energiedichten mit den heutigen Standard-Zellen noch nicht realisierbar. Außerdem ist das Gewicht im Flugbetrieb ein entscheidender Vorteil: Oxis Energy spricht von „60 Prozent niedrigem Gewicht“. Und schließlich ist die Sicherheit dieser Akkus höher, weil der flüssige Elektrolyt ersetzt wird.

eFlyer 800 könnte 2025 auf den Markt kommen

Ingenieur Bye möchte sein Flugzeug zwischen Ende 2024 und 2026 auf den Markt bringen, und dann mit den Zellen mit 550 Wattstunden pro Kilogramm ausstatten – und sieht sich im Vorteil, weil Regierungsbehörden bereits kleinere Flugzeuge der eFlyer-Reihe begutachtet haben. Mit den dann laut Oxis verfügbaren Batteriezellen sollen Reichweiten von mehr als 900 Kilometer plus Sicherheitsreserve möglich werden.

Ein weiterer Vorteil des Flugzeugdesigns im Vergleich zu den Vertikalstartern von Lilium liegt darin, dass sich die Batterien im Sinkflug um bis zu 15 Prozent selbst aufladen können – immer dann, wenn der Propeller wie eine Windturbine wirkt, und sich rückwärts dreht (Generator-Prinzip). Dadurch könnten sich Ladezeiten am Boden auf weniger als 30 Minuten verkürzen.

Diese Reichweite des Flugzeugs von Bye Aerospace ist auch deshalb möglich, weil das Elektroflugzeug aufgrund des kompakteren Antriebsstrangs aerodynamischer entwickelt wird. So sind die Flügel ohne Treibstofftanks dünner – hervorstehende Lufteinlässe und Abgasdüsen entfallen. Während 900 Kilometer Reichweite deutlich weniger ist, was das Vorgänger-Modell schaffte, könnte das für den Markt relativ unbedeutend sein. Durchschnittliche Business-Flüge mit solchen Maschinen sind selten länger als 80 oder 90 Minuten, was einer Distanz von 450 Kilometern entspricht – das schafft der eFlyer 800 auch.

Der elektrische Antriebsstrang des eFlyer 800 wird vom französischen Triebwerkshersteller Safran kommen. Dabei könnten Motoren mit jeweils 500 Kilowatt zum Einsatz kommen. Bye Aerospace geht von einem Potenzial von 10.000 Flugzeugen des präsentierten Typs aus – wenn der eFlyer 800 denn wirklich Mitte des Jahrzehnts in die Lüfte abheben kann.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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