Wie NIO, MG, BYD oder Tesla den deutschen Autobauern das Leben schwer machen.
Der Kontrast könnte größer kaum sein: Während bei Volkswagen der „Dachstuhl lichterloh“ brennt, feiern die Elektroauto-Marktführer Tesla und BYD beachtliche Auslieferungserfolge. Die Elektroauto-Zeitenwende verschiebt Marktanteile. Neue Fahrzeugmarken wie Zeekr oder NIO sind in China erfolgreich und rüsten sich für die Ausweitung ihres Geschäfts nach Europa. Für Volkswagen, Mercedes und BMW hingegen wird die Luft nicht nur auf dem chinesischen Automarkt immer dünner: Technologie-, Lieferketten- und Margenprobleme türmen sich. Geschieht die Elektroauto-Zeitenwende bald ohne deutsche und französische Autobauer?
Für Mercedes-Benz, BMW und Volkswagen braut sich gerade der perfekte Sturm zusammen, an dessen Ende auch das Ende der heute noch wichtigen Automobilmarken stehen könnte. Immer deutlicher wird, wie sehr die deutschen Autobauer den Wandel zum Elektroauto unterschätzen, und bei der Wertschöpfung neuer Fahrzeuge ins Hintertreffen geraten.
Während die Fertigungstiefe bei einem Elektro-Kleinwagen von BYD in China bei 77 Prozent und beim Tesla Model 3 in den USA bei 73 Prozent liegt, ist die Vergleichsgrößte beim ID.3 von Volkswagen bei lediglich 34 Prozent. Autoexperten schätzen den daraus hervorgehenden Kostenvorteil auf 25 Prozent. zwischen deutschen und chinesischen/amerikanischen Autobauern.
Dabei hat Volkswagen ohnehin ein Kosten- und Margenproblem – selbst im Markt für Verbrenner-PKW. Im Juli warnten Manager des Konzerns davor, dass der „Dachstuhl lichterloh brennt“. In einem Sparprogramm sollen zehn Milliarden Euro eingespart werden – um die Marge wieder auf ein Niveau von 6,5 Prozent zu verdoppeln.
Aber die deutschen Autobauer stecken in einer heftigen Bredouille: Einerseits verdient etwa Mercedes-Benz mit Verbrennern richtig gutes Geld (2022: 14,8 Milliarden Euro Gewinn) – auf der anderen Seite tun sich Mercedes-Benz, Volkswagen und BMW schwer, richtig gute Elektroautos auf den Markt zu bringen.
Smartphone auf Rädern – ja oder nein?
Beispiel Volkswagen: Der Wolfsburger Konzern hat Probleme bei Digitalisierung und Konnektivität seiner Fahrzeuge. Die Software-Sparte Cariad kriselt seit Monaten – und Volkswagen droht auch deshalb der Absturz bzw. weiter zurückzufallen. Besonders deutlich werden die Probleme beim Blick auf China: Während sich potenzielle VW-Käufer lieber chinesischen Marken zuwenden, nutzen diese ihre Vorteile bei der Digitalisierung aus, und machen das Auto zum „Smartphone auf Rädern“.
„Die Kundinnen und Kunden erwarten in Zukunft von der Entwicklung neue Services. Konnektivität und User Experience werden immer wichtiger als die klassischen Maschinenbauthemen, die ein Auto in der Vergangenheit sehr stark geprägt haben“, sagt etwa EDAG-CEO Cosimo De Carlo. Doch BMW-Chef Oliver Zipse belächelt diese Vorstellung: „Das Auto ist nicht bloß ein Smartphone auf Rädern“, so Oliver Zipse. Sie seien komplex, eine Hürde für etablierte Tech-Konzerne.
Die Stimmung in der deutschen Autobranche könnte angespannter kaum sein. VW und Audi kämpfen aus vielerlei Gründen gegen eine bedrohliche Lage an. Mercedes liegt beim Absatz von Elektroautos unter Plan – und hofft auf die nächste Plattform ab 2025. Zweifel von Investoren, ob die eingeschlagene Luxusstrategie wirklich erfolgreich sein kann, mehren sich.
BMW sowie die Zulieferer Bosch oder ZF erwarten nur noch moderate Zuwächse bei den Autoverkäufen in den kommenden Jahren: 2023 wuchs der Automarkt um neun Prozent – ein Einmaleffekt nach Corona- und Lieferketten-Problemen.
Verliert der globale Automarkt weiter an Schwung und der Elektroauto-Absatz zunehmend an disruptiver Dynamik, werden die von BYD und Tesla begonnenen Rabattschlachten weitergehen. Für die Hersteller werde es immer schwieriger, auf Rabatte zu verzichten und hohe Preise im Markt durchzusetzen, heißt es bei A.T. Kearney. Zumal in 2024 eine Flut neuer Modelle auf den Markt komme, von den europäischen, aber auch chinesischen Herstellern wie NIO, MG oder BYD.
Auto-Tsunami aus China weht nach Europa
Deutsche Häfen wie etwa der in Bremerhaven oder der in Wilhelmshaven rüsten sich mittlerweile für eine Art „Auto-Tsunami aus China„. Die deutschen Autobauer werden nach dem China-Debakel in den kommenden Jahren auch auf dem europäischen Heimatmarkt angegriffen (Automobilindustrie: Nach China-Desaster droht Invasion). China lässt „im Akkord“ Spezialschiffe (sogenannte Car Carrier) bauen, die 9.000 Elektroautos nach Europa bringen können – pro Frachter (vgl. hier und dort).
Auf massive Auto-Importe für die Elektroauto-Zeitenwende hat sich beispielsweise auch die Mosolf-Gruppe eingestellt. Geschäftsführer Steffen Klatte organisiert gerade 350.000 Quadratmeter Platz im JadeWeserPort in Bremerhaven. Bereits im November wurden hier 6.000 E-Autos aus China erwartet. „Die Chinesen haben Wilhelmshaven voll auf dem Zettel. Die Welle rollt, der Vertrieb in Deutschland steht“ so Klatte gegenüber BILD. Am 7. Januar gab das Unternehmen den nächsten Standort bekannt: In Cuxhaven.
Auch der findige Unternehmer Lars Stevenson aus Rheinland-Pfalz gehört mittlerweile zu den Elektroauto-Importeuren und hegt große Pläne – Elaris China Elektroautos von Lars Stevenson.
Analysten der Schweizer Großbank UBS erwarten, dass „chinesische Hersteller bis 2030 ein Drittel des globalen Automarktes beherrschen werden.“ Heute liege der Weltmarktanteil der Chinesen bei nur 17 Prozent. Die Gewichte und Marktanteile in der Autoindustrie verlagern sich – weg von Volkswagen, Toyota und GM als früheren Marktführern – hin zu BYD, Geely oder Tesla, den innovativen Emporkömmlingen der vergangenen zehn Jahre.
Neben Tesla werde bis 2030 „eine Handvoll chinesischer Hersteller zu globalen Champions aufsteigen“, berichtet Spiegel. Das werde vor allem zulasten der europäischen Autobauer gehen. Aus chinesischer Perspektive ist davon auszugehen, dass etwa fünf bis zehn heutige Startups den Sprung auf die globalen Märkte schaffen werden. Eine brutale Auslese steht bevor, die nur Konzerne überleben dürften, die mehr als drei Millionen Fahrzeuge pro Jahr ausliefern können. Werden hierdurch dann auch deutsche und französische Autobauer betroffen sein?
Geely, Xiaomi, Nio und Co. fahren bei Innovationen vorneweg
Aber können chinesische Konzerne mittlerweile Elektroautos bauen, die auch für Europäer interessant sind? Das wird sich in den kommenden Monaten herausstellen. Die deutschen Platzhirsche haben es trotz Elektroauto-Zeitenwende bislang nicht fertig gebracht, günstige Fahrzeuge auf den Markt zu bringen. Rabattschlachten zwingen mittlerweile zu erschwinglicheren Preise, etwa für die VW-Modelle ID.3 und ID.4. Aber eine dauerhafte Strategie kann das kaum sein.
Immer mehr wird deutlich, dass Geely, Xiaomi, Nio und Co. bei Innovationen vorausfahren. Die Beispiele alleine Ende 2023 / Anfang 2024 bekannt wurden, sind bezeichnend:
- Geely hat zusammen mit Baidu ein autonom fahrendes, luxuriöses Elektroauto auf die Straße gebracht, das in China nicht mehr kostet als ein VW Golf (JiYue 01: Das E-Auto von Geely & Baidu ist ein Game-Changer)
- William Li, der ausgesprochen europäisch denkende Gründer von NIO, hat gerade mit einer neuen Batterietechnologie eine Rekordfahrt hingelegt – und diese Fahrt über 14 Stunden (!) wie Tesla-Robotaxi im Livestream übertragen. Li wird mittlerweile so verehrt wie der geniale Visionär Elon Musk selbst.
- Während CATL und BYD den Batteriemarkt mit Lithium-geprägten Technologien dominieren, bringt die Elektroauto-Zeitenwende bereits die nächste Alternative in Stellung: Im ersten Quartal 2024 liefert die Marke Yiwei mit dem Kleinwagen EV3 das erste Fahrzeug mit Natrium-Akkus aus. Und verschafft China einen weiteren Wettbewerbsvorteil im Bereich Preis und Rohstoffe.
- Anfang 2024 hat der in Deutschland als Smartphone-Anbieter bekannte Tech-Konzern Xiaomi eine elektrische Limousine namens SU7 vorgestellt, die laut WirtschaftsWoche eine Elektroauto-Zeitenwende darstellt. Es ist der von Experten lange erwartete Eintritt eines Tech-Konzerns in den Markt für E-Autos. „Das Auto ist absolut ernst zu nehmen“, urteilt Automobilforscher Stefan Bratzel.
- In Europa dagegen gibt es kaum Jung-Unternehmen, die sich mit der Natrium-Batterie beschäftigen. Zwei Ausnahmen: Northvolt (Durchbruch bei Preußisch-Weiß-Batterie: Northvolt meldet Erfolg) einerseits und das Cleantech-Startup Litona aus Karlsruhe andererseits.
Volkswagen und die Quantumscape-Wette
Über Jahre gab es Diskussionen bei den deutschen Autobauern Mercedes-Benz, BMW und Volkswagen, ob es sich lohnen kann, in die Batterieproduktion einzusteigen. Die bekannten Automobilzulieferer Bosch oder Continental entschieden sich dagegen. Volkswagen gründete mit PowerCo zumindest eine eigene Unternehmenseinheit, die in Salzgitter zu Gigafactories für Elektroauto-Batterien führen soll. Dabei setzt der VW-Konzern – wie BMW oder Mercedes auch – auf Partnerschaften mit unterschiedlichen Playern im Bereich der Batterietechnologie.
So unterhält Volkswagen eine Partnerschaft mit Northvolt und investiert seit vielen Jahren in die Partnerschaft mit dem einstigen Hoffnungsträger für Festkörperbatterien, Quantumscape. Das Cleantech-Unternehmen, das längst an der NASDAQ firmiert, war einst 35 Milliarden Dollar wert und wird von Batterieforschern wie Tom Bötticher und Shortsellern wie Scorpion Capital mehr als skeptisch gesehen.
Doch, ein möglicher Fortschritt Ende 2023: PowerCo bestätigte zuletzt gute Fortschritte bei der Entwicklung der Batterietechnologie von Quantumscape. Klassische Festkörperbatterien sind es indes offenbar nicht mehr: Der eingesetzte Elektrolyt ist mittlerweile zumindest teilweise flüssig. Damit ähnelt die Quantumscape-Technologie womöglich der von High Performance Battery aus Deutschland.
Haken an der Quantumscape-Wette aus VW-Sicht: Es dauert noch mehrere Jahre, bis die Technologie wirklich serienreif ist. Bis dahin könnten NIO, CATL, LG und Co. weiter davonfahren.
Elektroauto-Zeitenwende: Wie reagiert die deutsche Autoindustrie?
Technologieprobleme, Innovationsrückstand und Margenschwäche: Für die deutsche Autoindustrie wären die hausgemachten Probleme schon eine Art perfekter Sturm. Denn wirklich angekommen in der Elektroauto-Zeitenwende scheinen sie bislang nicht zu sein. Und jetzt kommt Konkurrenz, die im Rahmen der Disruption dafür sorgt, dass die Märkte sich hin zum Elektroauto drehen.
Und die deutsche Autoindustrie? Hofft immer noch darauf, die Transformation über Gewinne aus dem Verbrenner-Geschäft querfinanzieren zu können. So hofft man insgeheim darauf, das EU-weite Aus für Verbrennungsmotoren noch kippen zu können – womöglich sogar durch Inkaufnahme eines Rechtsrucks im Europaparlament nach der Wahl im Juni 2024.
Laut einer Kearney-Umfrage glauben die Manager der deutschen Hersteller nicht, dass bei Neuverkäufen bis 2035 mehr als 75 Prozent elektrische Fahrzeuge sein werden. Doch diese Einschätzung der Manager überrascht. Denn nicht nur Disruptions-Papst Tony Seba hat immer wieder darauf hingewiesen, dass eine Umwälzung eines solchen Marktes wie dem Elektroauto-Markt innerhalb von zehn bis 13 Jahren nach Erreichen der Schwelle von fünf Prozent Marktanteil passiert. Das bedeutet aber rein auf Basis ökonomischer Gesetze: 2030 werden etwa in Europa kaum noch Verbrennerfahrzeuge verkauft.
Es ist der perfekte Sturm für die deutschen Autobauer. Die Manager erkennen bis heute nicht, dass sie sich mitten in einem Abwärtsstrudel befinden, der sie unaufhaltsam in den Abgrund reißen könnte. Nokia lässt grüßen. Die Elektroauto-Zeitenwende bedeutet, dass der gewinnt, der Wertschöpfung versteht, und attraktive Autos bauen kann. Und, dabei nie zu vergessen, sich auch beim autonomen Fahren nicht nur auf ein paar Assistenzfunktionen verlässt, wie es etwa Mercedes macht.
Und obwohl der perfekte Sturm klar erkennbar ist, gibt es immer noch Investoren wie Susanne Klatten als Aktionärin hinter BMW etwa, die sich gegen den Wandel sträuben. Es hat den Anschein als wollte man noch möglichst lang Verbrennerfahrzeuge verkaufen und sich dann durch Zusammenschluss mit Playern aus China oder den USA in die Zukunft bewegen. Keine rosigen Aussichten für Mercedes, BMW, Volkswagen oder Audi. Denn der Wind hat sich gedreht.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.