Elektrisches Fliegen: Elysian will mit 90 Passagieren 800 Kilometer weit fliegen
Cleantech-Startup aus den Niederlanden möchte Grenzen der elektrifizierten Luftfahrt verschieben. Reichen 360 Wattstunden pro Kilogramm?
Bislang ist sich die Wissenschaft einig: Dem vollelektrischen Flugzeug sind klare Grenzen gesetzt – mehr als 19 Passagiere lassen sich aufgrund der Platz- und Gewichtsproblematik von Batterien nicht über eine relevante Distanz transportieren. Entsprechend sehen auch die Elektroflugzeuge aus, wie etwa Alice von Eviation oder der Monoliner von Vaeridion. Doch jetzt kommt mit dem Cleantech-Startup Elysian Aviation ein Unternehmen an den Start, das in einigen Jahren 90 Passagiere über 800 Kilometer Distanz transportieren will. Biegen die Niederländer die Physik?
Seit wenigen Wochen ist das erst 2023 gegründete Cleantech-Startup Elysian Aviation in das Blickfeld von Experten der künftigen Luftfahrt gerückt. Denn mit dem Investor Panta Holdings ist ein überaus prominenter und seriöser Vertreter in die Wette um die elektrifizierte Luftfahrt eingestiegen. Zuvor hatte Panta Kapital in das wasserstoffbetriebene Regionalflugzeug „Next Gen“ des fliegerischen Traditionsnamens Fokker gesteckt.
Elysian Aviation hat sich die Wissenschaftsmesse Scitech in Orlando (Florida) ausgesucht, um ein batteriebetriebenes Flugzeug mit dem Namen E9X vorzustellen. Bislang war sich die Fachwelt weitgehend einig: Mehr als 19 Passagiere sind mit reinen Elektroflugzeugen nicht machbar, wenn mehrere Hundert Kilometer Distanz überbrückt werden müssen.
Doch Elysian behauptet, diese bislang anerkannten physikalischen Grenzen in der kommenden Dekade verschieben zu können. Das Ziel: Im Jahr 2033 soll das E9X für 90 Passagiere mit einer Reichweite von 800 Kilometern verfügbar sein. Hierzu habe man „innovative Konzepte“, die den Luftwiderstand und das Gewicht reduzieren, aber die Antriebseffizienz steigern sollen. Letztlich sei dann nur eine Batteriekapazität von 360 Wattstunden pro Kilometer für die beschriebene Distanz notwendig.
Die drei Gründer des Cleantech-Unternehmens Elysian Aviation hatten zuvor unter anderem bei der niederländischen Luftwaffe, bei Google und bei der Universität von Delft gearbeitet.
Elysian Aviation legt zwei wissenschaftliche Beiträge vor
„Flugzeuge, wie sie jetzt hergestellt werden, sind sehr effizient für Kerosin ausgelegt“, sagt Reynard de Vries, Direktor für Design und Technik bei Elysian, in einem Interview. „Der Fehler, den einige von uns vielleicht gemacht haben, ist die Annahme, dass das optimale Batterieflugzeug gleich aussieht.“
Flüge mit einer Distanz von weniger als 1.000 Kilometern machen knapp die Hälfte des gesamten Passagierluftverkehrs aus. Um diesem Ziel näher zu kommen, ließ sich einer der Manager von Elysian, der Luft- und Raumfahrtingenieur Rob Wolleswinkel (Co-CEO), von älteren Flugzeugkonstruktionen inspirieren und arbeitete dann mit Forschern der TU Delft zusammen, das Potenzial für einen neuen Ansatz für Elektroflugzeuge zu berechnen.
„Wir stellten fest, dass in einigen alten Konstruktionsbüchern Informationen versteckt sind, die noch nie auf batterieelektrische Flugzeuge angewandt wurden“, sagt de Vries. Das jetzt vorgestellte Flugzeug-Konzept von Elysian Aviation ist von älteren, größeren Flugzeugen inspiriert, die für sehr lange Strecken und den Transport von viel Treibstoff ausgelegt waren.
Ganz konkret beschäftigen sich die beiden wissenschaftlichen Studienpaper, die das Unternehmen vorgestellt hat (verlinkt am Ende dieses Beitrages), mit folgenden Punkten.
Neu-Definition der elektrischen Luftfahrt
- Einführung neuer parametrischer Entwürfe für ein Elektroflugzeug, das für 40-120 Passagiere geeignet ist
- Vorstellung von Konstruktionsprinzipien, die eine viel größere Reichweite ermöglichen als bisher für möglich gehalten
Konzeptentwurf für ein batterieelektrisches Flugzeug mit 90 Sitzplätzen
- In die Tragflächen integrierte Batterien
- Niedrigflügel-Konfiguration
- Klappbare Flügelspitzen
Diese veränderten Prinzipien kommen einem Paradigmenwechsel gleich. Das Elektroflugzeug E9X wird grundlegend anders aussehen als bisherige Flugzeuge. Denn bislang galt bei der Konstruktion: Nehmen wir eine Turboprop und bauen wir sie auf elektrischen Antrieb um. Doch das, so die niederländischen Gründer, sei nicht effizient.
Wann kommt das Elektroflugzeug E9X?
Bis Elysian aber beweisen kann, dass das theoretische Konstrukt funktioniert und tatsächlich die Grenzen des bislang denkbaren verschiebt, ist es noch ein weiter Weg. Das Team muss eine Fülle technischer Herausforderungen lösen: Etwa die Integration der Batterien in den Flügel sowie das Thermomanagement oder die Elektroverteilung.
Das Design des neuen Flugzeugs hat breite Flügel und einen kleineren Rumpf als ein typisches Flugzeug, was zur Verbesserung der Aerodynamik beiträgt. Es hat einen schmalen Rumpf mit vier Sitzen in jeder Reihe. Die Flügen mit je vier Turboprop-Triebwerken sind so breit, dass ihre Spitzen am Boden hochgeklappt werden müssen. Dazu kommt ein Reservestromsystem mit emissionsarmem Kraftstoff, das für Notfälle zugeschaltet werden kann.
Die Batterien sind auf den Flügeln untergebracht, wodurch der zusätzliche Platz genutzt wird und der Rumpf des Flugzeugs leichter wird. Das Gewicht wird somit gleichmäßig auf die Flügel verteilt, anstatt den Rumpf zu belasten. Ein Gasreservesystem kann verwendet werden, wenn ein Flug verspätet ist oder unerwartet umgeleitet werden muss.
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Zusätzlich zur TU Delft kooperieren die Unternehmer auch mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, um diese Herausforderungen zu meistern. So wird das Elektroflugzeug E9X voraussichtlich im Jahr 2033 startbereit sein. Finanzielle Unterstützung erhalten sie unter anderem von der Investmentgesellschaft Panta Holdings, die eine aktive Rolle in der Luftfahrtbranche spielt. Panta Holdings ist teilweise im Besitz des ehemaligen Flugzeugherstellers Fokker und des französischen Finanziers Caravelle.
Das Elektroflugzeug soll eines Tages Flugzeuge wie die Boeing 737 MAX-Serie oder den Airbus A320 ablösen. Das kann nur gelingen, wenn klassische Treibstoffe durch die Beimischung von Sustainable Aviation Fuels spürbar teurer werden. „Wir glauben, dass wir bis 2033 ein Flugzeug liefern können, das bei den Kosten konkurrenzfähig ist und für die Fluggesellschaften eine gute wirtschaftliche Entscheidung darstellt, und nicht nur eine nachhaltige“, sagt das Team heute.
Es plant, bis Ende 2024 einen aktualisierten Entwurf vorzulegen, um dann mit der detaillierten Entwicklung zu beginnen. Wenn alles wie geplant verläuft, könnten die ersten Flüge im Jahr 2033 stattfinden.
Studien zu neuem Elektroflugzeug zum Nachlesen
Studie 1: A New Perspective on Battery-Electric Aviation, Part I: Reassessment of Achievable Range | AIAA SciTech Forum (Abstract automatisch übersetzt)
Bislang wurde der batterieelektrische Antrieb nicht als vielversprechender Weg zu einer klimaneutralen Luftfahrt angesehen. Angesichts der aktuellen und zu erwartenden Batterietechnologie werden batterieelektrische Flugzeuge in der Literatur meist nur für kurze Reichweiten (< 400 km) und kleine Nutzlasten (< 19 Passagiere) als machbar angesehen. Infolgedessen konzentriert sich die Entwicklung batterieelektrischer Flugzeuge auf neue Luftfahrtsegmente wie die regionale und städtische Mobilität.
Es wurden jedoch kaum Anstrengungen unternommen, um batterieelektrische Flugzeuge zu entwickeln, die bestehende größere Flugzeuge ersetzen können. In diesem Beitrag werden die Annahmen überprüft, die zu dem Schluss geführt haben, dass batterieelektrische Flugzeuge nur begrenzt einsetzbar sind.
Ausgehend von der Reichweitengleichung werden in diesem Beitrag die Einflussfaktoren für zwei Schlüsselparameter bewertet: das Verhältnis zwischen Energiemasse und maximaler Startmasse sowie das Verhältnis zwischen maximalem Auftrieb und Luftwiderstand. Diese Bewertung, die auf Schätzungen der Klasse-I-Masse und des aerodynamischen Wirkungsgrads beruht, zeigt, dass es einen Entwurfsraum gibt, in dem diese beiden Parameter deutlich höhere Werte erreichen können, als in der offenen Literatur oft angenommen wird.
Auf der Grundlage dieser Erkenntnis werden mehrere parametrische Flugzeugentwürfe bewertet, die auf Klasse-II-Massen- und Aerodynamikmethoden beruhen. Diese parametrischen Studien bestätigen die Schlussfolgerung aus der Klasse-I-Bewertung. Dies bedeutet, dass batterieelektrische Passagierflugzeuge eine größere Rolle in der klimaneutralen Luftfahrt spielen können, als bisher angenommen wurde.
Studie 2: A New Perspective on Battery-Electric Aviation, Part II: Conceptual Design of a 90-Seater | AIAA SciTech Forum (Automatisierte Übersetzung des Abstracts)
Es wird allgemein angenommen, dass die batterieelektrische Luftfahrt auf kleine Flugzeuge beschränkt ist und daher einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Dekarbonisierung des Luftfahrtsektors haben dürfte. In diesem Papier argumentieren wir, dass der adressierbare Markt bei richtiger Wahl der Konstruktionsparameter und der Anforderungen an das Flugzeug tatsächlich erheblich ist.
Um dies zu demonstrieren, wird die Klasse-II-Dimensionierung eines batterieelektrischen 90-Sitzers durchgeführt und die Umweltauswirkungen werden anhand der CO2-Äquivalentemissionen pro Passagierkilometer im Wachzustand bewertet. Das resultierende 76-Tonnen-Flugzeug erreicht eine batteriebetriebene Nutzreichweite von 800 km bei einer Energiedichte auf Packungsebene von 360 Wh/kg. Bei dieser Reichweite liegt der Energieverbrauch bei 167 Wh pro Passagierkilometer und die Umweltauswirkungen liegen deutlich unter denen von Kerosin-, eSAF- oder wasserstoffbasierten Flugzeugalternativen und sind vergleichbar mit landgestützten Verkehrsträgern.
Diese Ergebnisse zeigen, dass batterieelektrische Flugzeuge nicht als Nischenprodukt konzipiert werden sollten, das von kleinen Flugplätzen aus operiert, sondern als kommerzielle Transportflugzeuge, die mit treibstoffbasierten Regional- und Schmalrumpfflugzeugen konkurrieren, um die Klimaauswirkungen des Luftverkehrs erfolgreich zu reduzieren.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.