EU-Renaturierungsgesetz beschlossen: was steckt dahinter?

Verordnung zur Wiederherstellung der Natur ist Bestandteil des European Green Deal.

Am 17. Juni 2024 haben die EU-Mitgliedsstaaten das historische EU-Renaturierungsgesetz genehmigt und somit ein ehrgeiziges Signal für den Schutz des Klimas, der Biodiversität und der Natur im Allgemeinen gesendet. Es handelt sich um das weltweit erste Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, das erforderlich wurde, da der Großteil der Ökosysteme durch den Klimawandel und menschlichen Einfluss beeinträchtigt ist. Im Rahmen des European Green Deal ist diese neue Naturschutzgesetzgebung ein zentrales Projekt, um das bis zur letzten Minute hart gerungen wurde.

Mit dem EU-Renaturierungsgesetz verändert sich die Wahrnehmung von Naturschutz grundlegend. Denn nicht zuletzt Hochwasserereignisse, die durch mangelnde Ausgleichsflächen erst möglich wurden, zeigen: Intakte Ökosysteme sind zu einer Art Überlebensfrage für alle geworden. Nur durch die „funktionierende“ Natur im Sinne kritischer Infrastruktur lassen sich Risiken für Unternehmen, Banken oder Versicherungen kalkulieren.

Allerdings sind diese Ökosysteme aufgrund des Klimawandels, der globalen Erwärmung und des Verlusts der Artenvielfalt immer weiter von ihrer Funktionsfähigkeit entfernt: Das Bundesumweltministerium warnt davor, dass unsere Ökosysteme so bedroht sind wie nie zuvor. Auch deshalb hat sich Bundesumweltministerin Steffi Lemke intensiv für das Gesetz stark gemacht.

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Sie bilden die Grundlage des gesamten Lebens auf der Erde. Sie produzieren Sauerstoff, filtern Wasser, speichern Kohlenstoff und bieten Nahrung. Je gesünder unsere Ökosysteme sind, desto gesünder ist sowohl unser Planet als auch die Lebewesen, die ihn bewohnen – einschließlich des Menschen.

Renaturierung von 90 Prozent der geschädigten Ökosysteme

Das wahrhaft einschneidende Gesetz zur Wiederherstellung der Natur zielt also konkret darauf ab, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen in der EU und bis 2050 alle sanierungsbedürftigen Ökosysteme wiederherzustellen.

In einem ersten Schritt müssen sie darlegen, wie sie bis 2030 mindestens 30 Prozent ihrer Ökosysteme in einen »guten Zustand« zu bringen; das entspricht etwa einem Fünftel der Gesamtfläche der EU. Bis 2040 müssen die Staaten in 60 Prozent und bis 2050 in 90 Prozent der geschädigten Ökosysteme geeignete Maßnahmen für Renaturierung ergriffen haben.

In der EU sind mittlerweile über 80 Prozent der Lebensräume in einem unzureichenden ökologischen Zustand. Zahlreiche Tier- und Pflanzenarten befinden sich im Kampf ums Überleben. Die Auswirkungen des Biodiversitätsverlusts betreffen auch den Menschen.

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Kanalisierte Flüsse und zerstörte Auen bieten keinen effektiven Hochwasserschutz mehr, geschädigte Wälder und Moore stoßen Treibhausgase aus, anstatt sie zu absorbieren, und der Rückgang bestäubender Insekten stellt eine ernsthafte Bedrohung für die Lebensmittelproduktion dar. Bereits jetzt leiden 50 Prozent der in der EU von Bestäubung abhängigen Ackerkulturen unter Mangelerscheinungen.

Drei Milliarden zusätzliche Bäume bis 2030

Um den Artenverlust zu stoppen, geht die EU mit dem EU-Renaturierungsgesetz gemäß der Analyse des Weltbiodiversitätsrates über den bloßen Schutz vorhandener Naturreste hinaus.

Die Maßnahmen sollen auch dazu beitragen, weitere von der EU angestrebte Ziele zu erreichen: die Pflanzung von mindestens drei Milliarden zusätzlicher Bäume bis 2030 und die Schaffung frei fließender Flüsse auf einer Länge von 25 000 Kilometern oder mehr.

In Wäldern werden verschiedene Maßnahmen ergriffen, um eine größere Vielfalt an Baumarten zu fördern. Dazu gehört neben dem Erhalt abgestorbener Bäume im Wald auch die komplette Aufgabe der Nutzung zugunsten von Wildnisgebieten. Des Weiteren werden auch umfangreiche Umgestaltungsmaßnahmen der Landschaft wie die Wiederherstellung von Flussläufen und Auen genannt.

Maßnahmen gegen Schadstoffe, Lärm und Plastikmüll sollen im Meer ergriffen werden. Zudem ist geplant, die Lebensqualität in Städten zu verbessern, indem mehr Bäume gepflanzt, ökologische Grünflächen geschaffen und Dächer begrünt werden. Urbanen Wildblumenwiesen dienen dabei als ein Beispiel für diese Bemühungen.

Gefährdet das Gesetz die Agrar- und Landwirtschaft?

Das Gesetz bezieht sich auch auf Agrarökosysteme, da ein beträchtlicher Teil der Landwirtschaft auf trockengelegten Moorböden stattfindet. Bis 2030 sollen Renaturierungsmaßnahmen für 30 Prozent der entwässerten Moore umgesetzt werden.

Die Renaturierung von landwirtschaftlichen Flächen stieß auf große Kontroversen. Aus diesem Grund wurde ein Abschnitt hinzugefügt, der explizit besagt, dass Landwirte nicht verpflichtet werden können, an Wiedervernässungsprogrammen teilzunehmen.

Stattdessen sind finanziell attraktive Anreize vorgesehen, um die freiwillige Teilnahme an solchen Programmen zu fördern. Trotzdem sind Landwirte, etwa vertreten durch den Bauernverband, Kritiker der neuen Gesetzgebung. Dabei ist nicht nur aus Sicht der konservativen FAZ eine Allianz zwischen Naturschutz und Landwirtschaft längst überfällig.

Österreichs Klimaschutzministerin zur Naturschutzesetzgebung

Die Länder können selbst entscheiden, welche Gebiete sie priorisieren möchten, um sie zu renaturieren. Dabei sollten vorrangig solche Gebiete ausgewählt werden, die bereits Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 sind und auf denen bereits Landwirtschaftsbeschränkungen gelten. Zusätzlich gibt es eine Schutzklausel im Gesetz, die besagt, dass Biodiversitätsziele nicht erreicht werden müssen, wenn Ertragseinbußen zu befürchten sind.

Bis 2050 sollen dann die Hälfte aller ehemals trockengelegten Moorflächen renaturiert werden, wobei ein Drittel durch Wiedervernässung und Versiegelung von Entwässerungseinrichtungen geschieht.

Die Wiedervernässung wird als wirksamste Methode angesehen, um die biologische Vielfalt auf zerstörten Mooren zu fördern und den Ausstoß von Treibhausgasen aus dem trockenen Moorboden zu reduzieren. Sie bedeutet jedoch nicht zwangsläufig das Ende der Nutzung.

Ein langer Weg bis zum EU-Renaturierungsgesetz

Der Weg bis zum EU-Renaturierungsgesetz war lang: Im Juni 2022 hat die EU-Kommission ihren Vorschlag für das Nature Restoration Law präsentiert. Beim Umweltrat am 20. Juni 2023 gab es eine Mehrheit der Mitgliedstaaten dafür. Im Zuge des Trilogs wurden aufgrund von Forderungen einige Flexibilitäten und Ausnahmen eingeführt, was den ursprünglichen Vorschlag für viele akzeptabler machte.

Dies wurde als ausgewogener Kompromiss aller Interessen angesehen. Am 22. November 2023 erhielt die Verordnung die Zustimmung der Mitgliedstaaten im Ausschuss der ständigen Vertreter. Im Februar 2024 stimmten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments klar für dieses Vorhaben. Mit der heutigen Abstimmung im EU-Umweltrat ist das Nature Restoration Law endgültig beschlossen.

Wie werden die Auswirkungen finanziert?

Laut Schätzungen von Naturschutzverbänden wird der jährliche Bedarf für Auswirkungen vom Renaturierungsgesetz auf 20 bis 30 Milliarden Euro geschätzt. Es wird gefordert, dass diese Gelder aus dem EU-Haushalt bereitgestellt werden. Im Vergleich zu den fast 390 Milliarden Euro, die innerhalb von sieben Jahren für Agrarsubventionen ausgegeben werden, handelt es sich hier um vergleichsweise kleine Beträge. Die EU-Kommission plant, innerhalb eines Jahres Vorschläge zur Finanzierung vorzulegen.

Beabsichtigt ist, die Finanzierung des Renaturierungsgesetzes zum überwiegenden Teil aus unterschiedlichen EU-Fonds sicherzustellen. Für die Förderung der Biodiversität stehen ihr bis 2027 beispielsweise 100 Milliarden Euro zur Verfügung.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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