EU-Kommission will mit europäischem Green Deal die Pariser Klimaziele erreichen und die europäische Wirtschaft nachhaltiger machen und stärken.
Ursula von der Leyen hat für die Europäische Kommission einen europäischen Green Deal vorgestellt. Damit legt die neue Kommissions-Chefin eine Wachstumsstrategie vor, mit der die Wirtschaft in der EU nachhaltiger gemacht werden soll. Der Mix aus Maßnahmen, die sich von der Leyen mit ihrer Kommission vorstellt, ist weitreichend – und viel weitreichender als das, was Deutschland im Klimapaket gerade verabschiedet. Ist von der Leyen in der Lage, das Vorhaben durchzusetzen, ist ein Grüner Deal eine große Chance für Europa.
Europa muss sich strategisch gegen die aufstrebende Weltmacht China und gegen die Wirtschaftsmacht USA positionieren. Mit dem Green Deal auf europäischer Ebene geht von der Leyen diesbezüglich nur wenige Tage nach der Ernennung ihrer Kommission einen wichtigen Schritt. Dabei geht es einerseits um die Einsparungen von CO2-Emissionen für die Erreichung der Pariser Klimaziele und andererseits um die Entwicklung diverser Cleantech-Leitmärkte für klimaneutrale und kreislauforientierte Produkte.
„Indem wir dem Rest der Welt als Vorbild für Nachhaltigkeit und Wettbewerbsfähigkeit dienen, können wir auch andere Länder überzeugen, mit uns gleichzuziehen“, sagt von der Leyen. Der Grüne Deal sei die Strategie für ein Wachstum, das uns mehr bringen als kosten werde. „Er zeigt, wie wir unsere Art zu leben und zu arbeiten, zu produzieren und zu konsumieren ändern müssen, um gesünder zu leben und unsere Unternehmen innovationsfähig zu machen.“
Green Deal greift in alle Wirtschaftszweige ein
Dabei greift der europäische Green Deal in sämtliche Wirtschaftszweige ein – von der Verkehr, über die Sektoren Energie, Landwirtschaft und Gebäude bis hin zu den energieintensiven Branchen Stahl, Zement, Informations- und Kommunikationstechnologie, Textil sowie Chemie. Schon März 2020 sollen die jetzigen Pläne in Gesetzesform gegossen werden – so wird es das erste europäische Klimagesetz geben, eine neue Industriestrategie mit dem Leitmotiv grüne Wirtschaft oder in 2021 einen Null-Schadstoff-Emissionsplan.
Die EU-Kommission plant, Importhürden aufzubauen – US-Präsident Trump würde Zölle dazu sagen – um es beispielsweise europäischen Stahlherstellern zu ermöglichen, auf eine grüne Stahlproduktion umzustellen. Das Kriterium: An den Außengrenzen der Europäischen Unio soll ein Ausgleichsmechanismus eingeführt werden, der Importe, bei deren Produktion mehr CO2 ausgestoßen wird als bei europäischen Produkten teurer zu machen. Letztlich wird also das unterstützt, was beispielsweise Salzgitter mit grünem Wasserstoff begonnen hat, was aber auch schwedische Stahlhersteller gemeinsam mit Vattenfall wollen.
Aber: Die Umbaumaßnahmen sind teuer und gefährden die internationale Wettbewerbsfähigkeit. Da die EU-Kommission der Meinung ist, Europa brauche Stahlhersteller auf dem eigenen Kontinent – was absolut Sinn macht-, ist ein Schutz gegenüber billigem Stahl etwa aus China eine sinnvolle Maßnahme. Denn auch geringere Transportwege helfen dem Kampf gegen die Klimakrise.
Der Green Deal will den Rahmen setzen, die Zielvorgaben liefern, um den effizienten Umgang mit Ressourcen zu fördern, indem zu einer sauberen und kreislauforientierten Wirtschaft übergegangen, der Klimawandel aufgehalten, gegen den Verlust an Biodiversität vorgegangen und die Schadstoffbelastung reduziert wird. Er zeigt auf, welche Investitionen erforderlich und welche Finanzinstrumente verfügbar sind und wie ein gerechter und inklusiver Übergang gewährleistet werden kann.
CO2-Emissionen sollen stärker und schneller sinken
Die EU-Kommission hat sich bisher vorgenommen, die CO2-Emissionen bis 2050 um 60 Prozent reduzieren zu wollen. Mit dem Green Deal soll sich auch dieses Ziel dramatisch verändern: Demnach soll bis 2030 bereits ein Level von bis zu 55 Prozent Emissionsreduzierung erreicht werden. Auch hieran äußern Grüne und Greenpeace Kritik: Aus Sicht von Greenpeace etwa ist die Senkung des CO2-Ausstoßes um 65 Prozent bis 2030 notwendig, um einen Pfad in Richtung Erreichung des 2-Grad-Ziels aus dem Pariser Klimaabkommen beschreiten zu können.
Eines ist doch klar: Jeder Euro, der heute in Emissionsreduzierung investiert wird, muss nicht doppel und dreifach in einem oder zwei Jahrzehnten in Gegenmaßnahmen gesteckt werden. Je länger der Zeitraum bis 2050 ist, umso eher können Innovationen dabei helfen, besonders effektiv Emissionen zu reduzieren. Klar ist auch, dass wir heute nicht alle Technologien kennen, die uns bis 2050 zur Verfügung stehen werden – aber darauf verlassen, dass es eine neue Form der Atomenergie oder andere technologische Lösungen geben kann, können wir uns keinesfalls.
Konservative Politiker und die Industrie sagen hingegen, das Ziel der Klimaneutralität 2050 sei nach jetzigem Stand unmöglich zu erreichen. Von „magischem Denken“ sprach neulich der Bundesverband der Deutschen Industrie. Auch die kurzfristigen Ziele seien unerreichbar, berichtet die Süddeutsche Zeitung.
Gibt es Widerstände gegen das Vorhaben von der Leyens?
Ja, bereits wenige Stunden nach der Ankündigung von der Leyens und vor dem nächsten Gipfeltreffen der Regierungschefs ist klar: Die Ministerpräsidenten von Ungarn, Tschechien und Polen werden gegen die Pläne von der Leyens opponieren. Denn: Sie sind stärker als andere EU-Staaten von Kohle- und Atomkraft abhängig. Die Kommissionschefin will daher den EU-Gipfel nutzen, um die drei Staatschefs in eindringlichen Gesprächen von der Notwendigkeit zu überzeugen.
Doch nicht nur Tschechiens Regierungschef fordert eine Debatte über Atomkraft – auch zwischen Frankreich und Deutschland ist der Kurs hier umstritten. Paris und Prag fordern, Kernkraft als grüne Stromquelle, saubere Energie, anzuerkennen. Andere Staaten wie etwa Finnland mit der neuen, 34-jährigen Regierungschefin unterstützen den Kurs von der Leyens dagegen komplett.
Viel wird davon abhängen, wie viel Geld von der Leyen den drei Ländern letztlich als Ausgleich für den Kohleausstieg zusagen kann. Das Pokerspiel ist ein Balanceakt, den die neue Kommissionschefin wahrscheinlich nur kurz nach ihrem Amtsantritt bewältigen kann.
Harsche Kritik von Hans-Josef Fell und Greta Thunberg
Während von der Leyen um die eigenen Pläne ringt, kommt bereits Kritik von Klimaschütern wie Hans-Josef Fell und Aktivistin Greta Thunberg, die jetzt vom Time Magazine zur Person des Jahres gekürt wurde. Beide kritisieren unisono, viele Menschen würden sich von den schönen Worten von der Leyens blenden lassen. Thunberg betonte in ihrer Rede beim Klimagipfel COP25, die Staatschefs und viele CEOs würden weiter nicht zu agieren, wie es der Situation angemessen sei. „Wenn sie ein wenig Panik verspüren würden, würden sie ihr Verhalten ändern“, so die 16-jährige Schwedin.
Hans-Josef Fell von der Energy Watch Group forderte, die 10 Punkte des Green Deals an den Notwendigkeiten der Ziele zu messen, die wirklich erforderlich seien, um die Erde vor der Heißzeit zu bewahren und auch daran, ob alle wichtigen zentralen Maßnahmen ergriffen würden, die Ziele auch zu erreichen. Wie Thunberg betonte auch Fell, es reiche nicht aus, 2050 klimaneutral zu werden, wenn dies bedeute, dann auch noch Emissionen durch Aufforstung und andere Maßnahmen ausgleichen zu können.
Die Erde liege mit einem Anteil von 408 ppm CO2 bereits um 147 Prozent und bei Methan mit über 1.869 ppb sogar 259 Prozent über dem vorindustriellen Niveau. „Jede neue Emission in die Atmosphäre ist unverantwortlich, weil damit die Treibhausgaskonzentration weiter steigt und damit die jährliche Antriebskraft der Erderwärmung erhöht wird“, so Fell.
Besonders kritisch sieht Fell, dass eine Anhebung der unzulänglichen EU-Ziele für erneuerbare Energien im Green Deal nicht explizit vorgesehen sei und von 100 Prozent erneuerbaren Energie ebenfalls keine Rede sei. Das alles, obwohl erneuerbare Energien heute die günstigste Art der Stromerzeugung sind und damit das Festhalten an fossiler bzw. atomarer Energie eine ökonomische Belastung darstellt. Schon über 60 Nationen und tausende Städte haben das Ziel von 100 Prozent erneuerbaren Energien ausgerufen, die EU folge dem nicht. „Von einem ambitionierten Klimaschutzziel ist der Green Deal also weit entfernt“, so Fell.
EU will 260 Milliarden pro Jahr zusätzlich investieren
Zur Verwirklichung der Ziele des europäischen Grünen Deals sind erhebliche Investitionen nötig. Um die derzeitigen Klima- und Energieziele bis 2030 zu erreichen, müssen Schätzungen zufolge jährlich 260 Mrd. Euro zusätzlich investiert werden. Das entspricht ca. 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts von 2018. Dafür müssen sowohl der öffentliche als auch der private Sektor mobilisiert werden, fordert die Kommission. Anfang 2020 soll dafür ein Investitionsplan vorgelegt werden.
Erst kürzlich hatte die Europäische Investitionsbank angekündigt, nicht mehr in fossile Projekte investieren zu wollen. Überdies soll ein Mechanismus für einen gerechten Übergang gefunden werden, der die Regionen unterstützt, die stark von sehr CO2-intensiven Tätigkeiten abhängig sind.
Die Kommission wird im März 2020 einen „Klimapakt“ auf den Weg bringen, damit Bürgerinnen und Bürger mitreden können und eingebunden werden, wenn neue Maßnahmen konzipiert und Informationen ausgetauscht, Maßnahmen auf Bürgerebene ergriffen und Lösungen vorgestellt werden, denen andere folgen können.
Hintergrund Green New Deal: Wo der Begriff herkommt
Ideengeber für den Begriff New Deal, den heutige Politiker zum Green Deal oder Green New Deal umfunktionieren, ist der ehemalige amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt. Seine Regierung reagierte 1929 mit einem entsprechenden Gesetz auf die beginnende Weltwirtschaftskrise. Eigentlich stammt der Begriff aus dem Pokerspiel: Durch den „new deal“ werden die Karten neu gemischt und verteilt. Übertragen auf die heutige Politik soll ein Green New Deal ein Neuanfang sein, der eine ökologische Wende der industriellen Welt auslösen soll.
Neben Ursula von der Leyen, die nun den europäischen Green Deal vorgestellt hat und durchsetzen möchte, setzte auch der ehemalige US-Präsident Barack Obama einen solchen Aktionsplan durch. Aktuell spielt ein Green Deal auch im britischen Wahlkampf eine Rolle, wo die Labour-Partei den Begriff verwendet. Im Vorwahlkampf der amerikanischen Demokraten gibt es ebenfalls mehrere Kandidaten, die einen Green New Deal versprechen.
Der amerikanische Politberater Jeremy Rifkin sieht einen Wirtschaftseinbruch in den kommenden 8 bis 10 Jahren auf globaler Ebene voraus – weil die fossile Welt, auf der unser gesamtes Wirtschaftssystem basiert, zusammenbrechen wird. Um diesem zu erwartenden Einbruch frühzeitig zu begegnen, fordert Rifkin in seinem aktuellen Buch einen globalen Green New Deal.
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Fazit zu von der Leyens Green Deal
Spiegel Online kommentiert, die deutsche Industrie solle nicht jammern, sondern beweisen, wozu sie in der Lage sei. Das ist eine berechtigte Kritik, denn der Reflex, sich gegen strengere Regeln aufzulehnen ist in der deutschen Industrie besonders stark vorhanden. Die unterschiedlichen Reaktionen zeigen, welch ein Balanceakt ein solcher Umbau letztlich ist. Wichtig ist zunächst, Europa hinter dem Plan zu vereinen – und dann nachzusteuern, um das 2-Grad-Ziel erreichbar zu machen.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.
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