Experten wie Prof. Marotzke, Sven Plöger oder Prof. Böttcher warnen eindringlich vor Folgen des menschengemachten Klimawandels
Meteorologen und andere Experten haben das 1,5-Grad-Ziel beim 13. ExtremWetterKongress 2023 für faktisch gescheitert erklärt. Nur mit größten Anstrengungen sei es noch möglich, die Erderwärmung auf 2,0 Grad Celsius zu begrenzen. Stattdessen erwarten die Forscher laut einer aktuellen Bestandsaufnahme eine 3-Grad-Welt bis zum Jahr 2100. Dabei sind schon die Folgen allein durch den Anstieg des Meeresspiegels bei Erreichen der 1,5-Grad-Grenze verheerend. Die Chance zum Gegensteuern sei aber leichtfertig verspielt worden.
Vor dem Hintergrund rapide schmelzender Gletscher, brennender Wälder, dramatischer
Überschwemmungen und extremer Hitzewellen diskutierten Wissenschaftler beim 13. ExtremWetterKongress 2023 in Hamburg den Klimawandel und dessen Folgen für die Menschen. Die Veranstaltung dient dem Deutschen Wetterdienst DWD und der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft als Diskussionsplattform mit der breiten Öffentlichkeit.
Im Rahmen des ExtremWetterKongresses stellten die Wissenschaftler auch das neue Faktenpapier „Was wir 2023 über das Extremwetter in Deutschland wissen“ vor. Auf das Faktenpapier kann hier direkt zugegriffen werden.
Der Grundtenor der Wissenschaft ist eindeutig und besorgniserregend: Demnach halten sie das Pariser Klimaabkommen und die Begrenzung der Erderwärmung auf möglichst 1,5-Grad-Celsius für nicht mehr erreichbar. „Wir sind nun bei 1,1 Grad Erderwärmung“, betonte Frank Böttcher, Vorsitzender der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG) in seiner aufrüttelnden Rede vor Journalisten und dem sonstigen Auditorium in Hamburg.
2023 ist für die Klimaentwicklung auf unserem Planeten eine Wendemarke, so der Tenor beim ExtremWetterKongress 2023. Nie zuvor waren die globalen Luft-und Wassertemperaturen so hoch, wie in diesem Jahr. Nie zuvor haben Hitzerekorde und Waldbrände ein solches Ausmaß erreicht wie 2023. Die um 5 bis 6 Grad höheren Wassertemperaturen im Mittelmeerraum haben für Rekordwerte bei der Verdunstung und den nachfolgenden Niederschlägen in Europa und Nordafrika gesorgt.
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Durch die Zufälligkeiten im chaotischen System der Atmosphäre kam es in Deutschland nicht zu den extremen Hitze- und Dürrephasen, wie wir sie in Südeuropa erlebt haben. Es wäre möglich gewesen, analysierten die Wissenschaftler.
Wie verheerend die Folgen des weitgehend ungebremsten Klimawandels sind, wird beim Blick auf den Meeresspiegel deutlich. Dieser werde allein aufgrund der Entwicklungen in den letzten 12 Monaten 25 Zentimeter höher ausfallen. „Wenn die globale Erwärmung 1,5 Grad mehr im Vergleich zu vorindustriellem Niveau erreicht, könnte der Meeresspiegel um etwa 11 Meter steigen“, betonte Böttcher.
Bis zum Ende des Jahrhunderts kann es noch dramatischer kommen, wenn es auf eine 3-Grad-Welt zuläuft. Damit würde das Klimaniveau des Pilozän-Zeitalters von vor drei bis fünf Millionen Jahren erreicht. Damals lag der Meeresspiegel stabil bei etwa 20 Metern über dem jetzigen Niveau. Diese Erkenntnisse verdeutlichen die gravierenden Auswirkungen des Klimawandels und die dringende Notwendigkeit zu handeln.
Klimaproblem lösen: Besteuerung nach Klimaschädlichkeit?
Um das Klimaproblem zu lösen, und die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu vermeiden, während gleichzeitig eine freie Marktwirtschaft erhalten bleibt, sollte es nach Ansicht Böttchers zu einer sozialverträglichen Besteuerung und Förderung von Produkten und Dienstleistungen nach Klimaschädlichkeit kommen. Ein Produkt würde entsprechend besteuert werden, je nachdem wie viele Emissionen von Treibhausgasen und wie viele Ressourcen es verbrauche.
Weniger klimaschädliche Produkte wie etwa pflanzliche Lebensmittel würden hingegen gezielt gefördert. „Dieser Ansatz erfordert aber politisches Handeln, um die Leitplanken für unser Verhalten entsprechend zu gestalten und unsere existenziellen Grundlagen zu erhalten“, sagt Böttcher beim ExtremWetterKongress 2023. Angesichts des Dramas in der Ampel-Koalition rund um das Klimageld erscheint ein solch radikaler Wandel in der deutschen Politik heute kaum möglich zu sein.
Helfen könnten Gerichtsurteile, die die Regierung zum Handeln zwingen. Davon sind in den kommenden Monaten mehrere zu erwarten, die wegweisend werden könnten. Die Deutsche Umwelthilfe hat beispielsweise Volker Wissing, das Verkehrsministerium und die Bundesregierung verklagt, weil entgegen dem Klimaschutzgesetz kein Sofortprogramm vorgelegt wurde. Und das, obwohl die Sektoren Gebäude und Verkehr die Klimaziele nicht einhalten.
Auch beim Europäischen Gerichtshof steht ein wegweisendes Klima-Urteil unmittelbar bevor.
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ExtremWetterKongress 2023: Dringlichkeit des Klimawandels
Der ExtremWetterKongress hat somit auf die Dringlichkeit und die Komplexität des Klimawandels hingewiesen. Es ist notwendig, dass Politik und Wissenschaft zusammenarbeiten, um wirksame Maßnahmen zu ergreifen und den Klimawandel zu bekämpfen.
Die Wissenschaft habe, so die Wissenschaftler, bereits ihren Teil erfüllt, indem sie Erkenntnisse geschaffen habe. Nun liege es in der Verantwortung der Politik, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um nachhaltige Verhaltensweisen zu fördern und die Auswirkungen des Klimawandels auf die Gesellschaft und das Ökosystem zu minimieren.
Es besteht ein dringender Handlungsbedarf, um die schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels abzuwenden und eine lebenswerte Zukunft für kommende Generationen zu sichern. Die Zeit zum Handeln ist jetzt, so die Forscher unisono.
Klimawandel hat bei Extremwetter Finger im Spiel
„Der Klimawandel hat – und das ist quantitativ belegbar – bei Extremwetter seine Finger im Spiel“, bilanzierte Tobias Fuchs, Vorstandsmitglied und Leiter des Geschäftsbereichs Klima und Umwelt des Deutschen Wetterdienstes. Das zeige das neue Faktenpapiert.
In Deutschland ist die Jahresmitteltemperatur seit 1881 um etwa 1,7 Grad angestiegen. Seit 1960 war hierzulande jede Dekade wärmer als die vorherige. Im Gesamtzeitraum 1881-2022 wurde es jedes Jahrzehnt 0,12 Grad wärmer, für den Zeitraum 1971-2022 lag die Erwärmungsrate schon bei 0,38 Grad Celsius pro Dekade. Hier kann man mit Messungen zahlenmäßig belegen, wie die Erderwärmung Fahrt aufnimmt.
„Wir sind aktuell eher auf dem Weg in eine 3-Grad-Welt bis zum Ende des Jahrhunderts“, gab Prof. Dr. Jochem Marotzke, Direktor am Max-Planck-Institut für Meteorologie, zu Protokoll.
Das Beispiel des Ozonlochs zeige, dass ein wirksames internationales Abkommen erst nach zwanzig Jahren eine Wirkung im atmosphärischen System zeige. „Unser selbst entschlossenes Handeln heute wird also erst in zwanzig Jahren im Klimasystem Wirkung zeigen. Wir kommen damit in den kommenden 20 Jahren in Bereiche, in denen sich die Prozesse beschleunigen.“
Um gerade auch die regionalen Folgen dieser Entwicklung präziser abschätzen zu können, brauchen wir noch leistungsfähigere Computer. Letztlich seien die extremen Wetterereignisse 2023 eine Wendemarke. Ob es dazu kommen wir, dass entschieden gegengesteuert wird?
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.