Seit einigen Tagen tobt in Deutschland eine Debatte um Fahrverbote an Wochenenden ab Sommer 2024. Während Volker Wissing als Verkehrsminister ein Ablenkungsmanöver initiiert, täuscht Parteichef Christian Lindner die Wähler*innen in Bezug auf das Klimaschutzgesetz, das die Große Koalition beschlossen hatte. Auf dem Landesparteitag der FDP NRW behauptete Lindner, das auf Sektorzielen basierende Klimaschutzgesetz habe „dramatische Folgen“ für die Freiheit der Menschen. Im Verkehrssektor seien die Ziele unerreichbar. Aber stimmt das?
Die gesamte Argumentationskette Lindners ist eine klare Lüge, weil sie die Realität vollständig ignoriert. Das Klimaschutzgesetz ist nicht aus Spaß an der Freude beschlossen worden, sondern weil die Klimakrise einen möglichst raschen Abschied vom „Zeugverbrennen“ erfordert. Dies bedeutet in sehr kleinem Maße Freiheitsbeschränkungen, wenn man davon ausgeht, dass die Menschen theoretisch schlicht die Antriebsart wechseln oder häufiger mit dem ÖNPV oder dem Rad unterwegs sind.
Doch Lindner behauptet, das Klimaschutzgesetz mit seinen eindeutigen Emissionsvorgaben pro Jahr, sei im Verkehrssektor nicht erreichbar. „Man kann nicht den gesamten Fuhrpark von 45 Millionen Fahrzeugen ad-hoc austauschen“, so Lindner. Aber diese Aussage ist die nächste Lüge, denn man kann bei einem Übergang von mehr als 20 Jahren bis zur Klimaneutralität im Jahr 2045 natürlich nicht von einem „ad-hoc-Austausch“ sprechen.
Es geht auch nicht um fünf Millionen Elektroautos, die fehlen würden, wie Lindner danach ausspricht. Sondern es geht um eine Lücke von 22 Millionen Tonnen CO2-eq, die sich im Verkehrssektor bereits angehäuft hat. Und nicht etwa, weil Volker Wissing alles Menschenmögliche versucht hat, aber die Ziele zu ambitioniert sind.
Sondern, weil Wissing sämtliche Maßnahmen, die etwa vom Umweltbundesamt („Acht Bausteine„) oder Prof. Andreas Knie (Zusammenfassung) vorgeschlagen werden, ablehnt. Teilweise, wie bei einem Tempolimit auf Autobahnen und Landstraßen, mit der Behauptung, dafür gäbe es nicht genügend Schilder.
Ist das Klimaschutzgesetz das Problem?
Christian Lindner belügt das Volk, in dem er den Menschen vorgaukelt, das deutsche Klimaschutzgesetz sei das Problem, weshalb die Bundesregierung verklagt werden könne. Doch dies ist wieder falsch: Es gibt bereits ein Urteil vom vergangenen November, in dem das Verkehrsministerium zu einem Sofortprogramm wegen Nicht-Einhaltung der Klimaziele im Sektor verurteilt wurde. Rechtskräftig ist es aber nicht, weil die Bundesregierung Einspruch einlegte.
Der gesamte Streit entfacht sich rund um die Novelle des Klimaschutzgesetzes, die in Grundzügen zwischen den Ampel-Parteien am 30. März 2023 beschlossen wurde. Im Kern geht es um die Abschaffung der von Lindner so scharf kritisierten jahrgenauen Sektorziele.
Bei den Verhandlungen im Deutschen Bundestag klemmt es aber seit Monaten, weshalb das verhandelte Solarpaket 1. In diesem geht es unter anderem um Bürokratieabbau und Balkonkraftwerke – als Verhandlungsmasse missbraucht wird (siehe nebenstehendes Video). Die FDP-Fraktion beharrt ganz offenbar darauf, dass Volker Wissing einen Freibrief erhält und weiterhin nur mehr zum Klimaschutz beitragen muss, wenn die Ziele insgesamt gerissen werden. Grüne und SPD wollen mehr Verantwortung der einzelnen Sektoren beibehalten.
Novelle oder Fahrverbote?!
Die FDP behauptet, dies sei eine Blockadehaltung der Grünen. Daher machte Wissing Ende letzter Woche einen Brief an die drei Fraktionsvorsitzenden der Ampel-Koalition öffentlich, in dem er behauptet, wenn die Novelle des Klimaschutzgesetzes nicht bis Mitte Juli 2024 in Kraft sei, könne Deutschland verklagt werden. Ein dann ad-hoc notwendiges Sofortprogramm könne quasi nur ein Fahrverbot für Verbrenner an Samstagen und Sonntagen sein. Andere Maßnahmen gäbe es nicht.
Aber jetzt kommt der springende Punkt: Selbst wenn Wissing nun wieder kein Sofortprogramm vorlegen würde, würde der Druck, Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, kaum geringer werden. Denn Das Verkehrsministerium kann sich kaum darauf verlassen, dass die anderen Sektoren die eigene Lücke stets ausgleichen, wenn eigene Maßnahmen unterbleiben oder wirkungslos sind.
Und: Neben diesen gemeinsamen Zielen aller Sektoren bis 2030, muss Deutschland auch die drastischeren EU-Ziele einhalten, will es Milliarden-Strafzahlungen verhindern. Doch auch hierfür klafft eine große Lücke:
Lindner tut so, als würde Deutschland auch verklagt werden, wenn die gesetzten Ziele um nur wenige Tonnen verpasst würden. Das ist absurd. Deutschland wird verklagt, weil existierende Maßnahmen seit mehr als zwei Jahren bewusst und wissentlich unterlassen werden. Maßnahmen, die auch mit der Gesetzes-Novelle erforderlich sind. Davon soll das Schreckgespenst Fahrverbote ablenken.
Mein Nachfolger regelt das schon
Die FDP agiert mit Wissing und Lindner völlig orientierungslos und bekommt die Quittung serviert für Versäumnisse der vergangenen Jahre. Dabei unterlässt sie aus purem Egoismus Maßnahmen wie ein Tempolimit – einer Maßnahme, an der bei Licht betrachtet, kein Vorbeikommen ist. Gleichzeitig hält sie dogmatisch und ebenfalls aus egoistischen Motiven an der Schuldenbremse fest, obwohl Investitionen im Markt der Elektroautos dem 15-Millionen-Ziel bis 2030 helfen würden.
Stattdessen ist die öffentliche Ladeinfrastruktur zu einem bürokratischen Monster geworden und Förderprogramme etwa für E-Busse werden eingestellt. Wirkungslose Scheinlösungen wie das 49-Euro-Ticket, das nur 3 Prozent der sechs Millionen Inhaber zum ÖPNV-Umstieg bewegt hat, bestimmen die Klimapolitik der FDP. Weiteres Beispiel: Synthetische Kraftstoff HVO100, der nur in kleinen Mengen überhaupt verfügbar sind wird.
Lindner und Wissing handeln durch und durch destruktiv aus Sicht des Klimaschutzes. Sie folgen den Freiheitsgefühlen ihrer Wählerklientel – und erweisen dem Land dadurch einen Bärendienst. „Rücksichtslos in den eigenen Untergang“ ist immer noch zutreffend. Mittlerweile hat die FDP offenbar das Ziel, zumindest noch die Grünen mit in den Untergang zu reißen. Das Verhalten beschreibt The Economist trefflich als „Beleidigte Spielverderber“.
Das Motto ist: Unangenehme Maßnahmen wie ein Tempolimit sollen gefälligst unsere Nachfolger beschließen. Mehr Egomanie geht wohl kaum. Der Amtseid wird mit Füßen getreten.
Klimaschutz sichert Freiheit
Ein letzter Gedanke: Bei aller Betrachtung der existierenden Gesetze mit der angeblichen drastischen Folge der Wochenend-Fahrverbote. Klimaschutz wird doch nicht gemacht, um Klimaziele einzuhalten, sondern um die Menschen vor den verheerenden Folgen des Klimawandels zu schützen.
Wie kann es sein, dass ausgerechnet eine Freiheitspartei diese wichtigste Aufgabe unserer Zeit dermaßen ignoriert? Welche Freiheit gibt es noch in einer 2,5 Grad wärmeren Welt, von der Klimawissenschaftler Johan Rockström sagt, es gibt „keinen Beweis dafür, dass sich der Mensch daran anpassen kann?“
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.