
Sauber gedacht: Wie Origin Materials den Flaschenverschluss revolutioniert
Stellen Sie sich vor, Sie greifen im Supermarkt nach Ihrer Lieblingsflasche Wasser oder Limo. Der kleine Flaschenverschluss, der den Inhalt sicher verschließt, fällt Ihnen kaum auf. Doch genau dieser unscheinbare Verschluss ist ein großes Problem – für die Umwelt und das Recycling. Diese Kunststoffverschlüsse, oft übersehen, stellen eine erhebliche Hürde auf dem Weg zu einer effizienten Kreislaufwirtschaft dar und tragen zur Belastung durch Plastikmüll bei.
Die meisten Deckel zum sicheren Verschließen von PET-Flaschen bestehen aus Polyethylen (PE) oder Polypropylen (PP), oft in Form von HDPE (Polyethylen hoher Dichte), wie Erik Kobayashi-Solomon in Forbes schreibt. Sie sind wahre Recycling-Saboteure: Zu klein, um von Sortieranlagen erfasst zu werden, landen sie im Restmüll, werden verbrannt oder verschmutzen als Mikroplastik die Ozeane. Selbst wenn sie im Recyclingprozess bleiben, stören sie, da sie sich chemisch von den PET-Flaschen unterscheiden. Das Ergebnis ist minderwertiges rPET (recyceltes PET), das für hochwertige Anwendungen wie neue Flaschen unbrauchbar wird.

Wie Getränkehersteller bisher reagieren
Firmen wie PepsiCo setzen auf Techniken wie die Dichtetrennung: Zerkleinerte Flaschen und Deckel werden in ein Wasserbad getaucht, dessen Dichte zwischen PET und HDPE liegt. Die leichteren HDPE-Deckel schwimmen oben, das schwerere PET sinkt ab. Danach können beide getrennt weiterverarbeitet werden. Effizienter als manuelle Trennung, aber teuer und umweltbelastend durch zusätzliche Schritte und Chemikalien.
Andere mischen neues „Virgin Material“ bei, um die Qualität zu heben – doch das ist keine echte Kreislaufwirtschaft, sondern Kosmetik, wie Quarks & Co in diesem Video zeigt.
Origin Materials: Eine kleine Firma mit großer Vision
Hier setzt Origin Materials an, ein Unternehmen aus Kalifornien, das die Getränkeindustrie aufmischt. „Ein Deckel aus PET? Unmöglich!“, hieß es lange. PET, das Material der Flaschen, galt als zu steif und teuer für Verschlüsse. Doch Co-Gründer und CEO John Bissell und sein Team ließen sich nicht beirren. Ihre Vision: Flaschen und Deckel aus einem Material, gemeinsam recycelbar, ohne Qualitätsverlust.
Mit einem revolutionären, geheimen Herstellungsverfahren gelang ihnen der Durchbruch. Basierend auf tiefem Wissen über PET-Chemie – ursprünglich entwickelt für die Umwandlung von CMF in PET – schufen sie den PCO 1881-Verschluss.

PET-Flaschenverschluss? Ein Game-Changer
Dieser Flaschenverschluss wiegt nur 1,5 bis 1,8 Gramm und besteht aus recyceltem PET. Er vermeidet Plastikmüll. Die Vorteile:
- Einfacheres Recycling: Flaschen und Deckel bleiben im gleichen Recyclingstrom, ohne die rPET-Qualität zu mindern.
- Weniger Virgin Material: Der Bedarf an neuem Erdöl sinkt.
- Echte Kreislaufwirtschaft: Alte Flaschen und Deckel werden zu neuen – ein geschlossener Kreislauf.
„Wir verwandeln ein Problem in eine Lösung“, sagt John Bissell. Der Trick: Der Verschluss funktioniert wie ein Korken, mit einer Furche und einer großen Dichtungsfläche, die sich von HDPE-Kappen abhebt. Produziert wird er in hochmodernen, sogenannten CapFormer-Anlagen des schweizerischen Maschinenbauers Bachmann Group. Diese funktioniert so, wie im Video beschrieben:
Bachmann und der Blick über den Atlantik
Es ist kein Zufall, dass der Name Bachmann in diesem Zusammenhang fällt. Der schweizerische Maschinenbauer ist ein wichtiger Partner von Origin Materials und liefert die hochmodernen Produktionsanlagen, die „CapFormer“, mit denen die PET-Deckel hergestellt werden.
Die Zusammenarbeit mit Bachmann ist ein wichtiger Baustein für den Erfolg von Origin Materials. Denn nur mit den richtigen Maschinen lässt sich die innovative Technologie in großem Maßstab umsetzen.
Ein perfektes Timing: Die EU setzt neue Standards
Diese Innovation kommt genau zur richtigen Zeit. Die EU hat das Problem der Plastikverschmutzung erkannt und reagiert: Seit Juli 2024 müssen Verschlüsse – sogenannte „Tethered Caps“ – fest mit der Flasche verbunden sein, um nicht verloren zu gehen und die Umwelt zu belasten.
Origin Materials ist diesem Ziel vorausgeeilt: Bereits im Mai 2024 meldete das Unternehmen, einen voll funktionsfähigen, angeketteten PET-Deckel entwickelt zu haben – pünktlich vor Inkrafttreten der Verordnung. In Tests wurden Tausende Flaschen mit rPET verschlossen, ein Beweis für die Praxistauglichkeit.
Ein 65-Milliarden-Dollar-Markt im Wandel
Der globale Markt für Flaschenverschlüsse ist riesig – 65 Milliarden Dollar jährlich. Traditionelle Kunststoffe dominieren, doch Origin Materials sorgt für Disruption. „Wir sind die Ersten, die PET-Deckel in großen Stückzahlen herstellen“, sagt Bissell. „Das kann den Markt verändern.“ Und die Zahlen sprechen für sich. Origin Materials plant, bis Ende 2025 acht CapFormer-Anlagen in Betrieb zu haben. Jede Anlage kann zwischen 8 und 12 Milliarden Verschlüsse pro Jahr produzieren. Das bedeutet: Origin Materials könnte schon bald einen signifikanten Anteil des globalen Verschlussmarktes bedienen.
Mehr als nur Deckel
Origin Materials denkt größer: Nachhaltige Biomaterialien aus Holzresten und organischen Abfällen sollen die petrochemische Industrie umkrempeln. „Wir wollen Kunststoffe ohne Erdöl produzieren“, erklärt Bissell, „für eine Welt, in der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit Hand in Hand gehen.“
Das Problem: Der Bau einer kommerziellen Biomaterialanlage erfordert hohe Investitionen. Investitionen, die bisher kaum jemand bereit war zu tätigen. Origin Materials befindet sich im „Death Valley of Innovation“, dem Tal des Todes, in dem viele vielversprechende Technologien scheitern, weil sie keine Finanzierung finden.
Wie Erik Kobayashi-Solomon schrieb, glaubte kaum jemand, die Deckel aus PET machen zu können – und das lag an der Steifigkeit des Materials. Origin als Innovator hat es durch eine neue Art der Konstruktion und der Herstellung aber doch hinbekommen.
Der Deckel als Brücke in die Zukunft
Doch Origin Materials hat einen Weg gefunden, dieses Tal zu überwinden: Den Fokus auf die PET-Deckel. Mit dem Geschäft mit den Verschlüssen generiert das Unternehmen Einnahmen, die es ermöglichen, weiter in die Entwicklung der Biomaterialtechnologie zu investieren.
„Der Deckel ist für uns eine Brücke in die Zukunft“, sagt Bissell. „Er ermöglicht es uns, ein hoch skalierbares Geschäft mit enormem Marktpotenzial aufzubauen und gleichzeitig unsere langfristige Vision nicht aus den Augen zu verlieren.“ Origin hat jetzt ein hoch skalierbares Geschäft mit enormem Marktpotenzial einerseits und die Perspektive, mit dem hieraus generierten Gewinn, stärke in die große Lösung zur Herstellung von Biomaterialien auf Basis von Holz/Biomasse investieren zu können.
Es zeigt aber das Dilemma des Unternehmens: Man befindet sich im Death Valley of Innovation, weil man niemand findet, der in eine Großanlage für Biomaterialien investieren will. Es brauchte eine kreative Lösung, ein Umschwenken des Unternehmens von der Haupttechnologie zu Caps – und ganz offenbar funktioniert das. Eine Cleantech-STORY als Erfolgsgeschichte der Zukunft.
Vom Pioniergeist getrieben
Die Geschichte von Origin Materials ist eine von Innovation und Durchhaltevermögen – ein Wegbereiter für eine sauberere Zukunft. Doch die revolutionären PET-Deckel sind nur der Anfang. Das Unternehmen treibt seine Forschung und Entwicklung in Richtung CO2-negativer Materialien voran, was einen Paradigmenwechsel in der Kunststoffindustrie bedeuten könnte. Wie John Bissell betont, ist das Ziel des Unternehmens, Kunststoffe und andere wichtige Materialien herzustellen, ohne auf Erdöl zurückgreifen zu müssen.
Über den Deckel hinaus: CO2-negative Materialien
Origin Materials hat bemerkenswerte Fortschritte bei der Entwicklung von CO2-negativen Materialien erzielt. Diese innovativen Stoffe binden mehr Kohlenstoff, als bei ihrer Herstellung freigesetzt wird. Das Unternehmen nutzt dabei nachwachsende Rohstoffe wie Holzabfälle und wandelt sie in hochwertige Chemikalien und Materialien um.
Ein Schlüsselelement dieser Technologie ist die Umwandlung von Biomasse in CMF (Chlormethylfurfural), einen vielseitigen chemischen Baustein. Aus CMF lassen sich verschiedene Produkte herstellen, darunter PET, aber auch andere Kunststoffe und Chemikalien. Dieser Prozess hat das Potenzial, nicht nur CO2-neutral, sondern tatsächlich CO2-negativ zu sein. Eine vergleichbare Lösung bietet das deutsche Cleantech-Unternehmen Carbonauten.
Letztlich löst Origin Materials mit dem innovativen PET-Flaschenverschluss ein wichtiges Problem und ermöglicht die entscheidende Vereinfachung der Kreislaufwirtschaft in diesem Sektor. Gut, wenn das Unternehmen nun Geld verdient, um danach auch die Welt der Biomaterialien umzukrempeln – ganz im Sinne der Bekämpfung der Klima-, Ressourcen- und Plastik-Krise.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.
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Eine geniale Idee, ein geniales Verfahren.
Handicap: Die Recycler müssen das wissen, erkennen können, um die Stöpsel nicht wie gewohnt zum Plastik zu geben. Wie bei Cellophan, ist ein Papier, aber schaut aus wie Plastik. Cellophan im Papierrecycling irritiert dort.