
Georgsmarienhütte in Bedrängnis: Wird grüner Stahl zur Standortfrage?
GMH Gruppe als Beispiel für die schwierige Transformationsphase der energieintensiven Industrie
Deutschlands Weg zum grünen Stahl gerät ins Stocken – der Stahlhersteller Georgsmarienhütte (GMH) zeigt exemplarisch, warum. Mit Elektrolichtbogenöfen produziert GMH seit Jahren klimafreundlicheren Stahl, der für die Energiewende essenziell ist. Doch seit 2021 sind die Stromkosten um 71 Prozent gestiegen und in den Monaten bis März 2025 wiederholt zu Produktionsstopps am Tag gezwungen. Nun bedroht Chinas Wettbewerbsvorteil ohne CO2-Emissionshandel durch niedrigere Produktionskosten den Standort bei Osnabrück: Droht die Verlagerung ins Ausland, oder können politische Rahmenbedingungen den grünen Stahl retten?
Explodierende Netzentgelte und Chinas Vorteile ohne CO2-Kosten treiben Georgsmarienhütte in die Krise. Hohe Stromkosten zwingen zu Produktionsstopps, während die schwächelnde Autoindustrie den Absatz von grünem Stahl bremst. „Ohne sinkende Energiekosten verschwindet grüner Stahl aus Deutschland“, warnt Geschäftsführerin Anne-Marie Großmann.
Aufgrund der Notwendigkeit, in den Ausbau des Netzes zu investieren, steigen die Gebühren, um Wind- und Solarparks anzuschließen und den Strom in die Industriezentren zu transportieren. Die Ampelregierung plante, die Gebühren durch Subventionen zu senken, nahm jedoch die Finanzierung zurück, nachdem sie aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung zum Sparen gezwungen wurde.
Der Carbon Border Adjustment Mechanism (CBAM) greift erst 2026 – zu spät für akute Rettung. „Es muss jetzt gehandelt werden: Energiekosten senken, Carbon Leakage stoppen“, fordert Dr. Martin Theuringer von der Wirtschaftsvereinigung Stahl und verweist auf eine Studie von Oliver Wyman und IW Consult. Ohne mutige Politik droht ein Rückschlag für die Energiewende.
Eine Studie von Oliver Wyman und IW Consult unterstreicht die Bedeutung der Stahlindustrie für den deutschen Industriestandort. Stahlintensive Wertschöpfungsketten machen einen erheblichen Anteil am Produktionswert und an den Arbeitsplätzen aus. Die Studie zeigt auch, dass die Skepsis gegenüber einer erfolgreichen Transformation der Stahlindustrie wächst und ein Scheitern gravierende Auswirkungen auf die gesamte Industrie hätte.

„Die Studie ist daher ein weiterer Call-for-Action“, sagt Dr. Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Bezug auf die Studie. „Es muss jetzt gehandelt werden, auf deutscher und EU-Ebene bei der Senkung der Energiekosten, bei der Schaffung eines wirkungsvollen Außenhandels- und Carbon Leakage-Schutz sowie bei der Errichtung von Leitmärkten für Clean Stahl ´made in Europe´.“
Die zentralen Hürden für die grüne Transformation von Unternehmen wie der Georgsmarienhütte sind klar:
- Stromkosten und Netzentgelte sind zu hoch – sorgen für partiellen Produktionsausfall
- CBAM als System zum Ausgleich unterschiedlicher CO2-Bepreisung greift erst 2026 (‚Carbon Leakage‘)
- Die Schwäche der Autoindustrie sorgt dafür, dass der grüne Aufschlag schwerer durchsetzbar ist, was Zweifel an grünem Stahl aus Deutschland nähert.
Bringt Schwarz-Rot die Wende für Georgsmarienhütte?
Schwarz-Rot, die künftige Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag angekündigt, die energieintensive Industrie allgemein und speziell bei Strompreisen und Netzentgelten zu entlasten. Offenbar sollen die Einnahmen aus dem CO2-Bepreisung genutzt werden, um einen Industriestrompreis einzuführen und die Netzentgelte zumindest zu deckeln.
Mahnerin Großmann beurteilt die Maßnahmen positiv – wenngleich unklar ist, wie sie konkret ausgestaltet sind und wie schnell eine neue Bundesregierung ab Anfang Mai wirklich handlungsfähig ist. Seit der geschäftsführende Wirtschaftsminister im September 2024 beim Werksbesuch die Vorfinanzierung der Netzentgelte durch ein Sondervermögen und somit die Streckung der Kosten über Generationen ist Aussicht stellte, hat sich die Lage wegen der Bundestagswahl weiter zugespitzt.
Gibt es an der Strompreis-Front hoffnungsvolle Anzeichen, ist auch klar: Aus Sich der energieintensiven Industrie und des Landes braucht es vor allem strukturelle Veränderungen, um die Standortfrage beim Stahl positiv lösen zu können.
Gleichzeitig steht die Stahlindustrie unter internationalem Wettbewerbsdruck. Der EU-Grenzausgleich (CBAM) soll ab 2026 verhindern, dass billiger, CO₂-intensiver Stahl aus Ländern wie China den europäischen Markt überschwemmt. Bis dahin bleibt der Wettbewerb für deutsche Stahlproduzenten schwierig, da chinesischer Stahl oft mit deutlich höheren CO₂-Emissionen hergestellt wird und dort keine umfassende CO₂-Bepreisung existiert
Georgsmarienhütte, eines der führenden Stahlunternehmen neben Thyssenkrupp und Salzgitter, mit 6.000 Mitarbeitern und 2,3 Milliarden Euro Umsatz, setzt auf dabei langfristig auf eigene Initiativen.
GMH setzt auf Schwarz-Rot und Eigeninitiative
Photovoltaikanlagen und Power Purchase Agreements (PPAs) mit regionalen Windparks beispielsweise sollen Ökostrom sichern, doch lange Genehmigungsverfahren bremsen bislang den Fortschritt aus. Batteriespeicher könnten Lastspitzen und Netzentgelte reduzieren, wie es Thyssenkrupp bereits vormacht. Diese Maßnahmen zeigen Entschlossenheit, doch ohne politische Unterstützung bleiben sie Tropfen auf den heißen Stein.
Die Herausforderungen bei der elektrifizierten Stahlherstellung liegen vor allem in stark schwankenden Börsenpreisen – wie im letzten Winter geschehen. Bei Lastspitzen von 40 Euro pro Megawattstunde hat das Werk daher die Öfen abgeschaltet und erst wieder in den Nachtstunden hochgefahren. In Zukunft könnte Produktions-Flexibilität von der Bundesnetzagentur durch sinkende Netzentgelte belohnt werden – bisher wird trotz schwankender Strompreise eine gleichbleibend hoher Stromverbrauch bevorteilt.
Ab 2029 will Georgsmarienhütte klimaneutral produzieren – hierzu soll auch grüner Wasserstoff statt fossiles Erdgas von Energieversorger EWE bezogen werden. Doch noch sind die Kosten dafür viel zu hoch – grüner Wasserstoff kaum verfügbar. Da GMH umweltfreundlich auf Schrott-Recycling als Basis der Stahlherstellung setzt, ist ein Import von grünem Eisen wie aus dem HyIron Oshivela-Projekt in Namibia eher nicht als Lösung anzusehen.
Für grünen Stahl tickt die Uhr
Georgsmarienhütte steht für die Zerrissenheit der energieintensiven Industrie: zwischen zu hohen Kosten, globalem Wettbewerb und dem Streben nach Klimaneutralität. Der geplante Industriestrompreis, Netzentgeltreformen und Wasserstoffförderung sind Hoffnungsschimmer, doch die Zeit drängt. Strukturelle Veränderungen – schnellere Genehmigungen, ein früherer CBAM, Leitmärkte für grünen Stahl – sind essenziell, um den Standort zu sichern. Ohne mutige Politik riskiert Deutschland den Verlust seines grünen Stahls und einen Rückschlag für die Energiewende. Die Uhr tickt.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.