Gravitricity entwickelt Schwerkraft-Speicher zum schnellen und flexiblen Netzausgleich
Schottisches Cleantech-Unternehmen will alte Minenschächte zu günstigen Energiespeicher umfunktionieren.
Überall auf der Welt drängen mehr Erneuerbare Energien in die mehr oder weniger guten und modernen Stromnetze. Aber mit der Abkehr von Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken müssen Netzschwankungen immer häufiger und schneller ausgeglichen werden – weil nicht mehr nur das Nachfrage nach elektrischer Energie variiert, sondern auch das Angebot. Das schottische Cleantech-Unternehmen Gravitricity könnte dafür eine langlebige und günstige Lösung gefunden haben.
Das Konzept von Gravitricity erinnert ein wenig an das Konzept des Lageenergiespeichers, bei dem ein ganzer Felsblock hoch und herunter gelassen werden soll, um Energie zu produzieren. Die Schotten denken eine Nummer kleiner und wollen beispielsweise bestehende Schächte in afrikanischen Minen nutzen, um schwere Lasten hoch- und herunterzulassen.
Gravitricity benötigt lediglich Beton, einige starke Kabel und Aufzugsanlagen, um einen Energiespeicher zu bauen. Im ersten Schritt will das Cleantech-Unternehmen einen Turm in Edinburgh nutzen, um das eigene Konzept unter Beweis zu stellen. Später sollen tiefe Schächte, die ohnehin vorhanden sind, nutzbar gemacht werden. So spricht das Team bereits mit Minenbesitzern in Südafrika, Finnland, Polen oder Tschechien über entsprechende Kooperationen.
Ein europäischer Bergwerksschacht ist gewöhnlich 800 Meter lang, solche in Südafrika oft bis zu 2.000 Meter. In einem solchen Schacht könnten 24 Gewichte mit insgesamt 12.000 Tonnen Gewicht gestapelt werden. Je nach Bedarf können sie einzeln oder kombiniert freigegeben werden. Die Geschwindigkeit richtet sich dabei exakt nach den Netzanforderungen – so können auch kleinste Netzschwankungen ausgeglichen werden.
Gravitricity-Schacht: Strom für 63.000 Haushalte
Ein durchschnittlicher Minenschacht könnte dann ausreichen, um die Leistung von 63.000 Haushalten eine Stunde lang mit Strom zu versorgen. Dabei nimmt die Kapazität niemals ab, das System ist auf 50 Jahre ohne Verluste ausgelegt.
Analysten vom Imperial College in London sagen voraus, dass die Lösung von Gravitricity die günstigste Möglichkeit ist, mit Energiespeichern Netzschwankungen auszugleichen – verglichen mit Schwungrädern oder Lithium-Ionen-Batterien.
Im Oktober vergangenen Jahres hat Gravitricity eine Crowdfunding-Kampagne mit mehr als 750.000 Pfund abgeschlossen und eine Unterstützung der britischen Regierungsbehörde Innovate UK von 640.000 Pfund erhalten. Einen funktionsfähigen Prototyp wollen die Schotten nun bis 2022 auf die Beine stellen.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.
Die Idee, solche Systeme auf offener See zu installieren ist ziemlich clever! Vor allem schwimmende Offshore-Windräder mit entsprechenden Unterwasser-Strukturen könnten ihren eigenen Pufferspeicher gleich mitbringen.
Ballast ist ohnehin vonnöten, ob der dicht unter der Wasseroberfläche oder z.B. in 250 Metern Tiefe hängt, sollte keinen großen Unterschied machen. Die Dynamik des Hebens und Senkens beim Laden / Entladen ist angesichts der wirkenden externen Kräfte von Wellengang und Wind vermutlich ohne großen Einfluss auf das Gesamtsystem.
Könnte man dieses Prinzip nicht auch auf dem offenen Meer anwenden, sofern eine ausreichende Wassertiefe vorhanden ist? Die Gewichte (mit hoher Dichte) würden dann von Schwimmkörpern herabgelassen werden, und könnten z.B. in der Nähe von Offshore-Windanlagen installiert werden. Ob so eine Anlage kostengünstig wäre, kann ich aber nicht beurteilen. Dem Gravitricity-Projekt wünsche ich viel Erfolg!