Grüne Kohle: Wie NextFuel Kohleausstieg und Dekarbonisierung beschleunigt

Cleantech-Unternehmen plant Großproduktion seines Ersatzbrennstoffes grüne Kohle, NextFuel Briketts, ab Ende 2024.

Das Cleantech-Unternehmen NextFuel will noch in diesem Jahr seine erste kommerzielle Anlage zur Herstellung von grüner Kohle in Betrieb nehmen. Im Dezember 2018 hatte NextFuel seine Technologie während COP24 der Öffentlichkeit präsentiert. Seitdem hat das Unternehmen aus Schweden mehr als 300 Anfragen zur Zusammenarbeit aus weiten Teilen der Welt erhalten. Die in Finnland entstehende Biomasse-Torrefizierungsanlage zur Herstellung von Pflanzenkohle-Briketts als sauberen Ersatz fossiler Kohle, könnte den Durchbruch bringen.  

Die Phase hoher Zinsen hat viele Cleantech-Projekte in den vergangenen Jahren ins Wanken gebracht. So beispielsweise Offshore-Windkraftprojekte oder kleine Atomkraftwerke. Umso erstaunlicher ist es, dass das finnische Unternehmen Taaleri in dieser schwierigen Phase im Jahr 2022 für Cleantech-Innovationen 20 Millionen Euro aufbringen konnte, um eine Biomasse-Torrefizierungsanlage auf Basis der NextFuel-Technologie zu bauen.  

“Die Anlage in Finnland ist unser erstes Showcase-Projekt im großen Maßstab”, sagt Co-Gründer und Marketingchef Audun Sommerli Time im Gespräch mit Cleanthinking.de. “Dann setzen wir voll auf die Skalierung der Technik mit vielen der 300 Unternehmen, die Projekten in anderen Teilen der Welt anfragt haben – darunter übrigens mehrere Fortune-500-Firmen.” 

Der Torrefizierungs-Reaktor vom Industriepartner Andritz, der kürzlich aus Österreich ins finnische Joensuu transportiert wurde, soll ab Ende des Jahres 2024 60.000 Tonnen NextFuel Briketts produzieren. Die Kohle-Briketts auf Basis von in Finnland reichlich vorhandenen Waldholzresten soll die fossile Kohle fossile Kohle sowohl in einem Wärmekraftwerk als auch bei der Zementherstellung ersetzen. Denn: Mehrere Energieunternehmen in Finnland haben sich den Abschied von fossilen Brennstoffen im Jahr 2025 vorgenommen. 

Neben dem Industrieunternehmen Andritz Gruppe zählt der Bioenergie-Lösungsanbieter Polytechnik Luft- und Feuerungstechnik GmbH zu den engen Industriepartnern von NextFuel, das 2016 als Cleantech-Startup gegründet wurde. Somit hat der Biokohle-Pionier nicht nur Wurzeln in Schweden und Norwegen, sondern auch Österreich. Im Industriekonsortium hat Polytechnik die Aufgabe, den Schwachgasbrenner einerseits und die Technologie zur Nutzung der überschüssigen Prozessenergie beizusteuern.

Reaktor wandelt Elefantengrass, Holzmöbel, andere landwirtschaftliche Reststoffe

Zur Gewinnung grüner Kohle-Briketts kann NextFuel ganz unterschiedliche Ausgangsstoffe verwenden. „Die Flexibilität unseres Torrefizierungs-Reaktors ist einer der Unterschiede zu anderen Pyrolyse- und Torrefizierungs-Technologien“, sagt Sommerli Time. Denn seit 2018 hat das Unternehmen die Inputstoff-Flexibilität erhöht, so dass der Reaktor „jede Art von Nutzpflanze einschließlich Gras“ in weniger als 30 Minuten in grüne Kohle als Ersatz für fossile Brennstoffe verwandeln.

In den letzten Jahren hat sich NextFuel darauf konzentriert, eine Reihe von Inputstoffen und Kombinationen auszuprobieren. Je nach Ausgangsstoff variiert etwa die Temperatur, die Verkohlungszeit und der Druck, der im Reaktor gebraucht wird. In jedem Fall werden die Nutzpflanzen vor dem Einsatz im Reaktor zerstückelt und getrocknet, damit nicht zu viel Wasser enthalten ist. Schon 2018 während COP24 galt die Technologie als erprobt – sechs Jahre Entwicklung gingen diesem Zustand voraus.

Heute produziert das Cleantech-Unternehmen in Österreich kleine Mengen der grünen Kohle auf Basis von beispielsweise Elefantengras, das mehrere Vorteile bietet: Es wächst vier Meter in 100 Tagen und kann somit mehrmals pro Jahr geerntet werden. Es bindet reichlich CO2 in den Wurzeln im Boden und wächst auch auf Brachflächen, die keine Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion darstellen.

Ein Nachteil für die biologische Vielfalt und den Artenschutz könnte sich jedoch ergeben, wenn NextFuel sich ausschließlich auf diese Pflanze und ihren zusätzlichen Anbau stützen würde. Allerdings plant das Unternehmen, bei jedem Projekt viele verschiedene Arten von Rohstoffen zu verwenden.

Unter idealen Bedingungen, wenn lokal genügend Abfallstoffe vorhanden sind, kann die grüne Kohle-Alternative des schwedischen Cleantech-Unternehmen rechnerisch sogar CO2-negativ sein. Ist der Klimanutzen also unzweifelhaft vorhanden?

Kann NextFuel den fossilen Kohleausstieg beschleunigen?

Grüne Kohle als Ersatz für fossile Kohle ist nicht unumstritten – womöglich ähnlich, wie der Einsatz von E-Fuels als Ersatz für fossile Kraftstoffe. Denn im Grundsatz haben Verbrennungstechnologien in den kommenden zwei Dekaden ausgedient, da sie klimaschädlich sind und das Erreichen etwa des Pariser Übereinkommens unmöglich machen. Solche Lösungen stehen im Ruf, sie sollten das fossile Zeitalter schlicht verlängern.

„Die Nutzung als Kohleersatz im Energiesystem ist nur ein Anwendungsszenario für unsere Lösung“, sagt Audun Sommerli Time, der betont, den Klimawandel schneller bekämpfen zu wollen als das Eis schmilzt. „Wird unser Produkt dort nicht mehr gebraucht, kann es beispielsweise zur Dekarbonisierung der Industrie eingesetzt werden – wir haben Anfragen aus der Stahl- oder Zement-Industrie vorliegen.“

Und auch für die Luftfahrtindustrie, die händeringend nach skalierbaren Möglichkeiten zur Herstellung von sauberen Flugzeugkraftstoffen (SAF) sucht, könnte profitieren: Die traditionsreiche Fischer-Tropsch-Synthese, die Cleantech-Unternehmen wie Ineratec modernisiert haben, kann auf Basis von sauberer Kohle direkt eingesetzt werden – ohne den aus Effizienzgründen problematischen Umweg über Elektrolyse und aus der Luft gefiltertem Kohlendioxid.

Bloomberg BNEF Grafik Peak-Emissionen Energiesektor Szenarien

Dabei kommt die Innovation zu einem höchst relevanten Zeitpunkt. Denn: Bloomberg oder auch Ember Climate haben errechnet, dass der Höhepunkt der energetischen Emissionen erreicht worden ist. Und zwar im vergangenen Jahr 2023. Bedeutet für Investoren in fossile Erzeugung: Jedes weitere Investment kann zu einem gestrandeten Investment werden.

Nach dem Rücksetzer bei Cleantech-Investitionen in den vergangenen drei Jahren finden in Politik und finanzkräftigen Unternehmen neue Grabenkämpfe über die richtigen Pfade statt. Es kämpfen die, die noch ein paar Jahre hohe Renditen mit fossilen Kraft- und Brennstoffen erzielen wollen gegen diejenigen, die die erneuerbare Welt der Zukunft gestalten wollen. So passiert es beispielsweise im Automarkt.

Die Lösung von NextFuel könnte für das angesprochene Manager-Dilemma eine gute Lösung sein, da durch den Ersatz von fossiler durch grüne Kohle quasi die alten Renditen beibehalten werden können – und trotzdem ein Beitrag zum Übergang in die erneuerbare Welt geleistet wird. „Genau deshalb scharren viele unserer potenziellen Partner mit den Hufen und warten darauf, dass wir bereit zu Skalierung sind“, erklärt Audun Sommerli Time.

Ostdeutsche Kohlereviere ideal für grüne Kohle?

Während RWE im westdeutschen Kohlerevier den Kohleausstieg bis 2030 fest im Visier hat, will insbesondere die LEAG in Ostdeutschland bis 2038 an der Kohleverstromung festhalten, um einen nachhaltigen Strukturwandel zu organisieren. Doch dieses Vorhaben könnte daran scheitern, dass die Kohle durch das Emissionshandelssystem ETS I wirtschaftlich unattraktiv werden könnte. Laut Expertenschätzungen bereits Ende der 20er Jahre.

Passiert das, müsste der Staat aus Gründen der Versorgungssicherheit die hohen Kosten anteilig übernehmen. Was aber wäre, wenn das schwedische Cleantech-Unternehmen NextFuel bis dahin große Teile der dann noch benötigten Kohlemengen übernehmen könnte?

„Deutschland könnte aufgrund dieser Lage einer der größten Kunden für unser Unternehmen werden“, sagt Audun Sommerli Time. Würde das so kommen, könnte NextFuel tatsächlich mit seinem sauberen Kohleersatz den fossilen Kohleausstieg beschleunigen – und anschließend bei der Dekarbonisierung von Luftverkehr, Stahl- und Zementindustrie behilflich sein.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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