
Grüner Stahl in Deutschland: Sondervermögen, Förderquoten und der Kampf gegen „Greenwashing“
Die deutsche Stahlindustrie, einst Inbegriff für Kohle und Emissionen, steht vor der größten Transformation ihrer Geschichte: Grüner Stahl heißt das Zauberwort. Ein geplantes Infrastruktur-Sondervermögen, politische Förderquoten und der Druck durch ambitionierte Klimaziele sollen den Weg zum „grünen Stahl“ ebnen. Doch hinter dem Begriff verbirgt sich mehr als nur ein neuer Anstrich. Es geht um eine grundlegende Neuausrichtung der Produktionsprozesse – und um die Frage, was „klimaneutral“ wirklich bedeutet.
Sondervermögen als Chance für klimafreundliche Produkte?
Das von Union und SPD angekündigte Infrastruktur-Sondervermögen weckt große Erwartungen in der Stahlindustrie. Das Handelsblatt zitiert Antje Otto, Geschäftsführerin des Stahl-Verband-Saar, mit den Worten: „Das Infrastruktur-Sondervermögen kann ein langfristiges Konjunkturprogramm werden und die Nachfrage nach CO₂-armem Stahl anreizen, wenn im öffentlichen Vergaberecht neben dem Preis endlich auch der CO2-Fußabdruck der verwendeten Grundstoffe berücksichtigt wird.“
Ein solcher Schritt wäre überfällig. Bislang dominieren oft rein wirtschaftliche Erwägungen bei öffentlichen Ausschreibungen rund um grüner Stahl, was klimafreundliche Produkte benachteiligt. Ein Umdenken im Vergaberecht könnte der heimischen Stahlindustrie einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil verschaffen und gleichzeitig den Weg für eine nachhaltigere Infrastruktur ebnen.
Auch der Gasfernleitungs-Betreiber Thyssengas sieht im Sondervermögen eine „Riesenchance für grünen Stahl“. Das Unternehmen wird maßgeblich am Aufbau des geplanten Wasserstoff-Kernnetzes beteiligt sein – ein gigantisches Projekt, das den Bedarf an klimafreundlichem Stahl massiv erhöhen dürfte. Immerhin werden für das Wasserstoff-Kernnetz rund 4000 Kilometer neue Rohre benötigt.
Förderquoten und das Dilemma der „Klimaneutralität“
Die neue Regierung plant, „Quoten für klimaneutralen Stahl, eine Grüngasquote oder vergaberechtliche Vorgaben“ einzuführen, wie die WAZ berichtet. Dies könnte ein wichtiger Schritt sein, um den Markt für grünen Stahl anzukurbeln. Allerdings stellt sich die Frage: Was genau bedeutet „klimaneutral“ in diesem Kontext?
Das Sondierungspapier lässt Raum für Interpretationen und weckt Befürchtungen, dass Technologien wie Carbon Capture and Storage (CCS) als vermeintliche Lösung präsentiert werden könnten. CCS, bei dem CO2 aufgefangen und unterirdisch gespeichert wird, ist jedoch umstritten. Kritiker bemängeln, dass es sich um eine End-of-Pipe-Lösung handelt, die das eigentliche Problem – die Emission von CO2 – nicht an der Wurzel packt. Zudem ist die langfristige Sicherheit der CO2-Speicherung fraglich.
Lesen Sie auch: Studie vergleicht Lösungen zum Wandel der europäischen Stahlindustrie.
Dennoch kann CCS in bestimmten industriellen Prozessen, die sich nur schwer vermeiden lassen, eine Brückentechnologie sein. Allerdings darf es nicht dazu dienen, bestehende, klimaschädliche Produktionsweisen zu zementieren.
Was ist „grüner Stahl“ wirklich?
Echter „grüner Stahl“ sollte auf Produktionsprozesse setzen, die von vornherein weniger oder gar kein CO2 emittieren. Dazu gehören:
- Der Einsatz von grünem Wasserstoff: Anstelle von Kohle wird Wasserstoff in der Stahlproduktion eingesetzt. Dieser Wasserstoff muss jedoch aus erneuerbaren Energien gewonnen werden (Elektrolyse), um wirklich klimafreundlich zu sein.
- Der vermehrte Einsatz von recyceltem Stahl: Das Recycling von Stahl ist deutlich energieeffizienter als die Produktion von neuem Stahl aus Eisenerz.
- Direktreduktionsanlagen: Diese Anlagen ermöglichen die Stahlproduktion ohne den Einsatz von Koks. Thyssenkrupp treibt den Bau einer solchen Anlage in Duisburg voran.
Wichtig: Es gibt verschiedene Stufen von „grünem Stahl“. Einige Hersteller bieten bereits „CO2-reduzierten Stahl“ an, der beispielsweise durch den Einsatz von recyceltem Material oder durch den Bezug von Strom aus erneuerbaren Energien produziert wird. Dieser Stahl ist zwar besser als konventionell hergestellter Stahl, aber noch nicht vollständig klimaneutral.
Praxisbeispiele: Unternehmen im Wandel
Einige Unternehmen gehen bereits voran und investieren in klimafreundliche Technologien:
- Toyota Material Handling Europe setzt auf SSAB Zero, einen Stahl aus recyceltem Material, der mit fossilfreier Elektrizität und Biogas hergestellt wird, wie Toyota Forklifts Deutschland berichtet.
- Dillinger bietet maßgeschneiderte neue Stahlgüten für die Fertigung von Fundamenten für Offshore-Windparks an, wie auf der Unternehmenswebsite zu lesen ist.
- Salzgitter AG plant die Umstellung ihrer Stahlproduktion auf Wasserstoffbasis. Das Projekt SALCOS (Salzgitter Low CO2 Steelmaking) soll bis 2033 die CO2-Emissionen um 95 Prozent senken.
Die Herausforderungen bleiben groß
Trotz der vielversprechenden Entwicklungen bleiben die Herausforderungen immens. Die Umstellung auf grüne Stahlproduktion ist mit hohen Kosten verbunden. Laut einer Studie des Wuppertal Instituts sind Investitionen in Milliardenhöhe erforderlich, um die deutsche Stahlindustrie bis 2045 klimaneutral zu machen.
Zudem fehlt es oft an einer klaren politischen Strategie und an den notwendigen Rahmenbedingungen. Die hohen Strompreise in Deutschland erschweren beispielsweise den Einsatz von grünem Wasserstoff.
Fazit: Ein Wettlauf gegen die Zeit
Der Weg zum grünen Stahl in Deutschland ist ein Wettlauf gegen die Zeit. Das geplante Sondervermögen und die politischen Initiativen bieten Rückenwind, doch es kommt darauf an, die richtigen Prioritäten zu setzen. Eine transparente Definition von „klimaneutralem Stahl“, eine konsequente Förderung von wirklich nachhaltigen Produktionsverfahren und der Abbau von regulatorischen Hürden sind entscheidend, um die Stahlindustrie zukunftsfähig zu machen und gleichzeitig die Klimaziele zu erreichen.
Es darf nicht passieren, dass wir uns mit vermeintlichen Lösungen wie CCS zufriedengeben und den notwendigen Wandel verschleppen.
Hier weiterlesen: Aquaductus: Niedersachsens Wasserstoff-Pipeline in der Nordsee

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.