Grüner Wasserstoff: Bundesregierung intensiviert Forschung
Grüner Wasserstoff bekommt langsam die Aufmerksamkeit, die seiner wichtigen Rolle für Speicherung erneuerbarer Energien, Sektorkopplung und Energiewende entspricht.
Endlich, möchte man sagen: Die Bundesregierung erkennt nun das Potenzial von grünem Wasserstoff für die Energiewende, insbesondere Stromspeicherung und -transport sowie die oft nur in Sonntagsreden bemühte Sektorenkopplung. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek möchte nun bis Jahresende eine Nationale Wasserstoffstrategie auf den Weg bringen, das Bundeswirtschaftsministerium hat mit dem Aufruf, Reallabor-Projekte vorzuschlagen, einen Volltreffer gelandet.
Die Bundesregierung wird bis Ende 2019 eine Nationale Wasserstoffstrategie auflegen. Denn: Wasserstoff eröffnet in unserem Land riesige neue Chancen. Die Strategie verzahnt Klima-, Wirtschafts- und Innovationspolitik. Forschung und Innovation sind dabei zentrale Treiber.
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek
Die Forschungsministerin ist überzeugt davon, dass „unsere Art zu wirtschaften“ mittlerweile an ihre natürlichen Grenzen stoße. Um den Wohlstand und die Umwelt zu sichern, müsse Wirtschaft nun neu gedacht werden. Das könne in Richtung einer Kreislaufwirtschaft passieren – und zwar auf einer neuen technologischen Stufe, die Klimaneutralität einschließt. Das Ziel sei eine bessere Lebensqualität in einem umfassenden Sinn – also kein Rückschritt, sondern Fortschritt.
Daher enthält der aktuelle Bundeshaushalt, der gerade beschlossen wurde, 2,3 Milliarden Förderung von Projekten in den Bereichen Nachhaltigkeit, Klima und Energie. Ein Forschungs- und Innovationsprogramm zum Klimaschutz soll dabei das in Vorbereitung befindliche Klimaschutzgesetz des Bundesumweltministeriums ergänzen. Dabei gehe es in konkreten Projeklten um die Vermeidung von Kohlendioxid sowie die Rückholung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre.
Dabei wollen wir die Forschung zur Nutzung von Wasserstoff verstärken. Dabei geht es um sogenannten grünen Wasserstoff. Grüner Wasserstoff ist nachhaltig erzeugter Wasserstoff, den wir mit Erneuerbaren Quellen herstellen. Er kann zum Beispiel in Autos, in der Produktion oder beim Heizen genutzt werden. Heizen läuft über eine Brennstoffzelle. Das ist eine klimafreundliche Alternative zu Öl, Kohle und Gas mit großem Zukunftspotenzial.
Bundesforschungsministerin Anja Karliczek
Grüner Wasserstoff: CO2-Vermeidungspotenzial gewaltig
Grüner Wasserstoff biete erhebliches CO2-Vermeidungspotential, so die Ministerin. Allein in der deutschen Chemieindustrie und bei Raffinerien könnten bis zu 15 Millionen Tonnen CO2 im Jahr vermeiden werden, wenn „grauer“ Wasserstoff aus Erdgas und Öl durch klimafreundlichen „grünen“ Wasserstoff ersetzt würde. Zum Vergleich: die gesamte deutsche Industrie emittiert rund 190 Millionen Tonnen CO2 im Jahr.
Bei den konkreten Projekten geht es also unter anderem um Power-to-X – also die Erzeugung von grünem Wasserstoff marktfähig zu machen, aber andererseits auch darum, wie es möglich werden könne, Afrika zum Partner der deutschen Energiewende zu machen. So soll ein Potenzialatlas zu grünem Wasserstoff und synthetischen Kraftstoffen aufgelegt werden.
Zusammen mit der deutschen Industrie sowie Forschungspartnern vor Ort sollten mögliche Standorte in Afrika, Erzeugungs- und Exportpotentiale sowie deren Erschließung analysiert werden. Damit könne Klimaschutz zu einem globalen Geschäftsmodell werden. Das BMBF plant, in den nächsten drei Jahren rund 180 Millionen Euro für Projekte in der Wasserstoffforschung bereitzustellen – das stellt gegenüber den letzten drei Jahren eine Verdoppelung der Mittel dar.
In geringen Mengen sind synthetische Kraftstoffe schon verfügbar, es fehlen jedoch große Pilotanlagen. Für die Herstellung sind enorme Mengen Strom nötig. Nutze man jedoch die überschüssigen Stromspitzen, könnten ab 2030 circa eine Million Tonnen pro Jahr produziert werden, so das Ministerium gegenüber dem Handelsblatt.
Zum Vergleich: Aktuell verbraucht der Güterverkehr in Deutschland rund 18 Millionen Tonnen Diesel pro Jahr. Nach einer Prognose der Deutschen Energie-Agentur (dena) könnten 2030 rund zehn Prozent der Pkws und 20 Prozent der Nutzfahrzeuge mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden. Das zeigt aber, wie wichtig das länderübergreifende Denken und Handeln wird. Denn grüner Wasserstoff wird beispielsweise auch gebraucht, um Industrien wie die Stahlbranche sauber zu machen.
Wasserstoffdorf Bitterfeld macht den Praxistest
Für die rund 100 Mitglieder des Konsortiums HYPOS, das in Mitteldeutschland angesiedelt ist, ist die Bedeutung von grünem Wasserstoff für die Energiewende schon lange keine Frage mehr. Die Mitgliedsunternehmen und Forschungseinrichtungen tüfteln kontinuierlich an Innovationen ganz praktischer Natur.
Etwa an der Frage, inwiefern Kavernenspeicher für die Zwischenspeicherung von Wasserstoff genutzt werden können oder welche Materialien für Rohre geeignet sind, den sich aus natürlichen Gründen schnell verflüchtigenden Wasserstoff trotz dieser Eigenschaft von A nach B zu bekommen – etwa in die Haushalte von Mehrfamilienhäusern.
Im vergangenen Monat wurde hierzu das Wasserstoffdorf in Bitterfeld eröffnet. Dazu kam sogar Ministerpräsident Reiner Haseloff, denn auch er hat die Bedeutung von HYPOS und grünem Wasserstoff für sein Bundesland Sachsen-Anhalt begriffen. Das Wasserstoffdorf befindet sich auf einem 12.000 Quadratmeter großen Gelände in der Chlorstraße. Das Projekt „HYPOS: H2-Netz“ umfasst die Entwicklung der Verteilnetzstruktur, die Errichtung der Anlagen und die Anbindung und Versorgung von Wasserstoffendverbrauchern.
Der regionale Anbieter Mitnetz Gas testet dabei Verlegetechniken und neue Materialien und definiert die erforderliche Sicherheitstechnik. So werden beispielsweise hochdichte Kunststoffrohrleitungen im Verteilnetz und in der Inneninstallation erprobt und Wechselwirkungen von verschiedenen Geruchsstoffen für das Gasnetz untersucht. Neben der Integration der Erneuerbaren Energien in das bestehende Energiesystem rückt zunehmend ihre Speicherung in den Mittelpunkt. Da die heutigen Stromspeichertechnologien nicht für große Mengen ausreichen, kommt der Umwandlung von Strom zu Wasserstoff oder Methan und die Speicherung im Erdgasnetz eine wichtige Rolle zu.
Die Verknüpfung der Energiesektoren ist für das Gelingen der Energiewende von großer Bedeutung. Die Fokussierung auf einzelne Bereiche ist nicht mehr zeitgemäß sagt. Wir arbeiten vielmehr daran, Strom-, Gas- und Wasserstoffnetze sinnvoll zu verbinden und in Zukunft auch Speicherlösungen zu schaffen. Gemeinsam mit unseren Partnern aus der Region wollen wir mit ‚HYPOS: H-Netz‘ hier in den nächsten zwei Jahren einen guten Schritt vorankommen.
Dr. Adolf Schweer, technischer Geschäftsführer von Mitnetz Gas
Projektpartner von Mitnetz Gas sind die DBI Gas- und Umwelttechnik GmbH, die Rehau Unlimited Polymer Solutions AG + Co, die TÜV SÜD Industrie Service GmbH und die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Das Budget beträgt insgesamt rund 3,8 Millionen Euro.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.