Pilotversuch für 365-Euro-Ticket in Leipzig soll im August starten und zunächst ein Jahr dauern.
Die Verkehrs- oder Mobilitätswende muss möglichst multimodal gestaltet werden. Das bedeutet: Der öffentliche Personennahverkehr muss konsequent mit dem Fernverkehr, mit Angeboten für Fahrräder und E-Bikes sowie dem Auto verzahnt werden. Immer mehr Städte weltweit machen sich jetzt auf den Weg, Nahverkehr neu zudenken. In Deutschland preschte jetzt die Stadt Leipzig vor – und startet ein 365-Euro-Ticket für den ÖPNV, zunächst für sozial schwächere Personen.
Was Die Welt boshaft als „Linker Traum von der Revolution des ÖPNV“ bezeichnet, dürfte in den kommenden Jahren zunehmend Realität in Deutschlands Städten und den ländlichen Gemeinden werden. Zwar benennt Die Welt mit Recht Pilotprojekte für kostenlosen ÖPNV wie das in Templin, das auch an hohen Kosten scheiterte – allerdings haben sich seit diesem Versuch die Rahmenbedingungen offensichtlich ziemlich verändert.
Mit der Disruption des Automobilsektors, bei der Autos mit Verbrennungsmotor weitgehend verschwinden, und Fahrzeuge mit Elektromotor auf die Straßen kommen, und dem zunehmenden Druck für Städte und Regionen, klimaneutral zu werden, entscheiden sich immer mehr Städte dafür, den Autoverkehr weitgehend aus den Städten herauszuhalten. Vorbilder sind dabei Städte wie Wien, Stockholm oder London – längst haben Berlin oder sogar München entsprechende Konzepte in der Schublade.
In Leipzig geht der Magistrat nun zunächst den Schritt, den ÖPNV für sozial schwächere Menschen gezielt zu stärken – denn besonders günstig ist die Nutzung von Bussen und Bahnen in der mitteldeutschen Großstadt bislang nicht. Die Jahreskarte für den öffentlichen Nahverkehr soll nun Schritt für Schritt eingeführt werden – ab August 2021 zunächst für Inhaber des sogenannten Leipzig Pass. Dieser bietet Menschen mit geringem Einkommen bereits Vorteile bei der Nutzung von Sport- oder Kultureinrichtungen. Jetzt wird damit die Nutzung des ÖPNV nochmal günstiger.
Oberbürgermeister Burkhard Jung sieht darin einerseits eine sozialpolitische Maßnahme, die aber auch eine ökologischen Ansatz habe. Zwar wollte die Stadt schon zum Start mehr Menschen die Möglichkeit geben, vom 365-Euro-Ticket zu profitieren – das scheiterte aber an Budgetbeschränkungen.
Eine Erweiterung wird es aber ab 1. Januar 2022 geben. Dann soll das Ticket auch für Einwohner unter 27 Jahren verfügbar sein. Eine ähnliche Regelung für ein 365-Euro-Ticket hat jetzt auch die neue Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz für „junge Menschen“ beschlossen. Gerade im ländlich geprägten Bundesland hängt hier die Attraktivität aber logischerweise vor allem auch vom Angebot und der Erreichbarkeit von Dörfern ab.
Der Pilotversuch in Leipzig ist zunächst für ein Jahr angelegt, und wird vom Bundesverkehrsministerium gefördert.
Vorbild für 365-Euro-Ticket: Wien?
Ein Vorbild für das 365-Euro-Ticket ist das Wiener Modell. Laut Medienberichten hat die Stadt Wien schon 2012 ein solches Modell eingeführt, und damals den Ticketpreis von 449 Euro auf 365 Euro gesenkt. Seitdem stiegen die Verkaufszahlen zwischen 2011 und 2018 von 321.000 auf 822.000 Abonnenten. Bezieht man Kinder und Studenten mit ein, wird die Dauerkarte mittlerweile von 1,9 Millionen Einwohner Wiens (und Pendler) genutzt.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller, der zur nächsten Wahl am 26. September 2021 nicht mehr antritt, hatte sich schon 2019 das Ziel gesetzt, das Wiener Euro-pro-Tag-Modell Schritt für Schritt auch in der Bundeshauptstadt umzusetzen.
Weiter zeigen folgende Städte beispielhaft ähnliches Engagement zur Stärkung des ÖPNV (ohne Anspruch auf Vollständigkeit):
- Augsburg: 365-Euro-Ticket kommt: Für wen werden Bus und Tram in Augsburg günstiger?
- Stuttgart: Mehrheit im Rat für Abgabe und 365-Euro-Ticket
- Ingolstadt: Verkehrsverbund Großraum Ingolstadt
- München: Das 365-Euro-Ticket: bald für alle Münchner*innen?
- Würzburg: Mehr Mobilität: Erste Kundin erhält 365-Euro-Ticket
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.