Die BGR räumt Fehler in Infraschall-Studie ein, und will neue Messungen ab Mai vornehmen. Klage abgewiesen.
Infraschall von Windkraftanlagen ist eine viel kleinere Gesundheitsgefahr als von der BGR, einer dem Bundeswirtschaftsministerium unterstellten Behörde, angegeben. Auf Basis einer 2005 erschienenen Studie wird der Bau von Windenergieanlagen häufig verhindert. Doch jetzt die Wende: Nach einer Prüfung der Physikalisch-Technischen-Bundesanstalt PTB muss die BGR erhebliche Rechenfehler eingestehen. Selbst Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier entschuldigt sich. Doch die Energiewende-Gegner von DIE WELT oder Vernunftkraft behaupten weiter, Infraschall sei für den Menschen gesundheitsschädlich.
In ganz Deutschland wird fleißig behauptet, von Windturbinen erzeugte Infraschallwellen würden Tinnitus, Stress oder Schlafstörungen auslösen, und könnten in der Folge etwa zu Herzerkrankungen führen. Infraschall ist eine Art Schall, dessen Frequenz besonders tief ist. Er wird in der Regel vom menschlichen Ohr nicht wahrgenommen, kann aber in der Form von Vibrationen spürbar sein.
Erdbeben, Gewitter, Stürme oder ähnliche Ereignisse sorgen ebenso dafür wie technische Geräte.
Seit 2005 hat die BGR aus Sicht von Stefan Holzheu von der Universität Bayreuth „absurd hohe“ Drücke von Windenergieanlagen verbreitet. Diese Zahlen wurden über Jahre von Windkraft- und Energiewende-Gegnern wie EIKE, Vernunftkraft, Windwahn oder lokalen Bürgerinitiativen gegen entsprechende Energieerzeugungsanlagen verwendet. Demnach, so die BGR, sei die Belastung bei mehr als 100 Dezibel.
Doch seit Jahren ist Wissenschaftlern wie Holzheu klar: Es lässt sich physikalisch nicht erklären, warum andere Untersuchungen zu deutlich geringerer Belastung kommen. Seit 2018 stand der Wissenschaftliche Mitarbeiter mit dem BGR in Kontakt auf der Suche nach dem Rechenfehler – erst das Eingreifen der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt brachte ans Tageslicht: Rechenfehler führten dazu, dass die Schallleistung um 36 Dezibel zu hoch angegeben wurde.
Dabei ist zu bedenken: Es handelt sich um Werte auf einer logarithmischen Skala. 10 Dezibel mehr entspricht einem Faktor der Schallleistung von 10. 36 Dezibel mehr von einem Faktor 4.000. „Insgesamt schätze ich den Faktor des Rechenfehlers auf 10.000, weil zugleich die Windradleistung um den Faktor 3,3 zu niedrig angesetzt war“, so Holzheu. Tatsächlich handelte es sich um eine Windkraftanlage mit 660 Kilowatt Leistung, wie die BGR mittlerweile einräumt.
Langzeit-Studien: Keine Auswirkungen von Infraschall
Während die BGR-Untersuchung gar nicht spezifisch auf die Erfassung von gesundheitlichen Auswirkungen auf den Menschen ausgelegt war, wurde sie dennoch dementsprechend interpretiert. Dabei zeigen weitere Untersuchungen, die sich dem Thema spezifisch und langfristiger widmen, ganz andere Ergebnisse.
Das technische Forschungszentrum Finnlands, VTT, hat Messungen, Befragungen und Tests mit lebenden Probanden durchgeführt, und kommt zu dem Schluss, dass durch Infraschall aus Windenergieanlagen keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen nachzuweisen sind. Das Auftreten von Symptomen in der Nähe von Windrädern begründen die finnischen Wissenschaftler mit dem Nocebo-Effekt, wonach körperlich unschädliche Einflüsse dennoch einen negativen Gesundheitseffekt hervorrufen.
Diese dem Placebo-Effekt ähnliche Ursache weist die Seite der Windkraftgegner als „naiv“ zurück. Dabei ist die Schlussfolgerung absolut logisch: Insbesondere, so berichtet es Vernunftkraft auf seiner Webseite, nach dem Repowering von Windkraftanlagen in der Nähe des eigenen Hauses komme es verstärkt zu Symptomen wie Schlaflosigkeit, Stress oder Kopfschmerzen.
Klar ist: Gerade in der Phase vor einem Anlagentausch ist die mediale Berichterstattung und der direkte Austausch unter Nachbarn über die möglichen Gesundheitsgefahren besonders ausgeprägt. Wer ständig über Probleme spricht oder nachdenkt, wird sensibler für die Hinzurechnung entsprechender Symptome auf diese gerade im Kopf vorhandene Erklärung. Dabei wird dann nicht untersucht, ob andere Ursachen für Infraschall o.ä. in Frage kommen.
Die Langzeitstudie des VTT, des finnischen Instituts für Gesundheit und Soziales (THL), der finnischen Arbeitsschutzbehörde (FIOH) und der Universität Helsinki war die erste dieser Art. Sie bestand aus drei Teilen: Einer Langzeitmessung von Schall in Wohngebäuden in der Nähe von Windenergieanlagen, Befragungen sowie Hörtests der Befragten. Bei einer Simulation der Schallemissionen von Windenergieanlagen konnten keine Reaktionen des autonomen Nervensystems gemessen werden.
Allein sind die finnischen Wissenschaftler mit ihren Annahmen auch nicht. Laut ZEIT Online zeigt ein Experiment von Gesundheitspychologen in Neuseeland, dass die Psychologie eine entscheidende Rolle spielt: Sie führten eine Gruppe von Probanden in einen Raum mit erhöhtem Infraschall. Die eine Hälfte las zuvor kritische und warnende Berichte über gesundheitliche Gefahren durch den unhörbaren Schall.
Die zweite Gruppe hingegen bekam zuvor keine Informationen. Das Ergebnis ist eindeutig: Die „alarmierte“ Gruppe meldete Kopfschmerzen, Schwindel, Herzklopfen – die andere Gruppe hingegen meldete keine Veränderung des Gesundheitszustands im Vergleich zu vor dem Experiment.
Eine Schlaflabor-Studie zeigte auch im Jahr 2023 ähnliche Ergebnisse: Keine nachweisbare Beeinflussung durch Infraschall.
Holzheu analysiert Studien wissenschaftlich
Wissenschaftler Holzheu hat in einem Thread bei Twitter und auf seiner Uni-Webseite viele Informationen zusammengetragen:
Auslöser für Holzheus Nachforschungen waren die deutlichen Differenzen zwischen der BGR-Studie und der des BLUB. Diese seien wissenschaftlich und physikalisch nicht plausibel – eine der beiden Seiten müssten sich heftig verrechnet haben, folgerte Holzheu richtigerweise.
Reaktion von Grünen-Politiker Oliver Krischer
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier entschuldigte sich für die fehlerhafte Studie, und dafür, dass diese Einfluss auf Genehmigungsentscheidungen gehabt habe. Da die Abweichungen beträchtlich seien, werde er aufklären, wie es dazu kommen konnte. Wie in Bayern ist der Ausbau der Windenergie auch aufgrund von Akzeptanzproblemen vor Ort weitgehend zum Erliegen gekommen.
Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer urteilte: „Seriöse Gutachten auf der ganzen Welt kommen zu dem Schluss, dass die Windkraft keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Anwohner hat. Jetzt ist die Frage, wie lange wusste sein Haus schon davon und inwiefern hatte dieser krasse Berechnungsfehler Einfluss auf politische Entscheidungen in der Vergangenheit, etwa als der Mindestabstand zwischen Wohngebäuden und Windenergieanlagen durch die Bundesregierung festgelegt wurde.“
Vernunftkraft und Co. behaupten weiter Gegenteiliges
Bei den Energiewende-Kritikern von Vernunftkraft stößt die Korrektur bisheriger wissenschaftlicher Erkenntnisse nicht etwa auf eine Änderung ihrer Aussagen. Vielmehr bekräftigt man dort folgende Passage:
Windkraftplanungen vernachlässigen den Schutz der menschlichen Gesundheit. Der
Vernunftkraft: Resolution zu den Bundestagswahlen
heutige Wissensstand begründet die Gefahr eines erheblichen Gesundheitsrisikos
durch den von Windenergieanlagen ausgehenden Infraschall. Schädigungen auf
zellulärer Ebene sind ebenso belegt wie für das Herz-Kreislauf-System und
neuronal bedingte Erkrankungen.
Als Begründung findet sich in einem Grundsatzartikel eine Verlinkung zu Videos von Anwohnern, die ihre gesundheitlichen Probleme festgehalten haben sollen. Das entsprechend verlinkte Video ist jedoch gar nicht mehr online (https : // www dsgs.info/VIDEOS/DSGS-e-V-Betroffenen-Videos/index.php/. Wissenschaftler Holzheu setzte sich auch mit diesem Grundsatzartikel wissenschaftlich fundiert und kritisch auseinander – seine Replik ist hier zu finden.
Die eher unwissenschaftliche Begründung der These von „erheblichem Gesundheitsrisiko“ ist auch im Artikel „Schallemission der Windkraft erhöht Gesundheitsrisiko“ der Welt am Sonntag zu finden – und steht damit im klaren Widerspruch zu den Erkenntnissen der wissenschaftlichen Analysen. „Offenbar ist Windkraft schon bei niedrigeren Schalldrucken gefährlicher als bisher angenommen“, zitiert Wirtschaftsredakteur Daniel Wetzel den langjährigen Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie der Universität Mainz, Christian-Friedrich Vahl.
Dieser hatte in einer eigenen Untersuchung Herzgewebe aus Operationen einem Schalldruck von mehr als 100 Dezibel ausgesetzt, und eine verminderte Muskelleistung von 20 Prozent festgestellt. Während es am Versuchsaufbau erhebliche Zweifel gibt, ficht Vahl nicht an, dass Werte von mehr als 100 Dezibel durch Windkraftanlagen gar nicht mehr realistisch angenommen werden können.
„Die Korrektur der BGR ändert nicht die grundsätzlichen Stresswirkungen, die auf verschiedenen Ebenen des Organismus gefunden wurden“, sagte Vahl. Außerdem seien Windkraftanlagen heute „sehr viel größer“ als im Untersuchungszeitraum 2004. Daher sei es umso dringlicher, die gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall eingehend zu untersuchen.
Seine These moderne, größere Anlagen emittierten einen erheblich höheren Schalldruck, erscheint indes wenig plausibel. Denn solche Anlagen ändern ständig ihre Flügelneigung, um sich an unterschiedliche Windverhältnisse anzupassen. Dies hat zur Folge, dass sich die Flügeldurchgangsfrequenz kontinuierlich ändert. Das widerspricht aber Aussagen, wonach der konstant rhythmische Infraschall das Problem sei. Moderne Pitch-Regelungen beim Repowering führten überdies eher zu einer Verminderung, so das ee-mag.
Fazit: Gefahren durch Windkraft massiv überschätzt
Letztlich zeigt die gesamte Analyse und die über mehr als ein Jahrzehnt gültige Berufung auf falsche Ergebnisse einer Studie, dass zwar nicht gänzlich von der Hand zu weisen ist, dass Infraschall von Windenergieanlagen bei direkten Anwohnern spürbare Gesundheitsauswirkungen haben kann. Letztlich handelt es sich um eine weit überschätzte Gesundheitsgefahr.
Weitere Untersuchungen sollten beachtet werden – der ständig wiederkehrende Alarmismus von Vernunftkraft, Windwahn, vereinzelten Medizinern oder WELT und EIKE sollte jetzt endgültig aufhören.
Rund um das emotionale Thema sind viele Informationen veröffentlicht worden. Hier gibt es einen Überblick über seriöse Studien und Unterlagen:
- BWE Faktencheck
- VTT studied the health effects of infrasound in wind turbine noise in a multidisciplinary cooperation study
- Faktencheck des BWE und der Studie von Prof. Dr. Christian-Friedrich Vahl
- Keine Belastungen durch Windparks messbar
- Wissenschaftlicher Dienst des Bundestags: Studien zu Wirkungen auf Mensch und Tier
Interessant zum Thema Infraschall ist auch der Podcast von Prof. Volker Quasching, HTW Berlin:
Fehlende wissenschaftliche Grundlage: Klagen abgewiesen
Im Mai 2022 kam es zu einer interessanten Äußerung eines Gerichtes rund um die sogenannte Borchen-Klage. Hier klagten drei Personen gegen Windkraft-Betreiber. Der Infraschall führe zu Gleichgewichtsstörungen, Kopfschmerzen und Herzrasen, so die Begründung für die Klage. Die Klagen beim Oberlandesgericht Hamm waren vor etwa zwei Jahren eingegangen. Landgerichte in Paderborn, Detmold und Münster hatten die Klagen zuvor nicht zugelassen, weil „die wissenschaftliche Grundlage“ fehlte.
Jetzt äußerte sich auch das Oberlandesgericht: Die Klage wurde erneut abgewiesen, die früheren Entscheidungen bekräftigt. „Das OLG hat die Einwände geprüft, ist aber zu dem Schluss gekommen, dass es an die Entscheidung der Verwaltungsverfahren gebunden ist, die die Klage bereits abgewiesen haben“, so der Pressesprecher des Gerichts auf Anfrage lokaler Medien. Ein Sachverständiger habe außerdem die angebliche Beeinträchtigung geprüft. Er sei zu dem Ergebnis gekommen, dass die Intensität unterhalb der spürbaren Schwelle liege.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 2. Mai 2021, wurde am 1. Mai 2023 zuletzt erweitert.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.