Umstrittene französische Delikatesse verursacht Tierleid bei konventioneller Herstellung. Cleantech-Startup Gourmey kultiviert die Gänsestopfleber auf Basis von Stammzellen.
In Frankreich werden 20.000 Tonnen Gänsestopfleber pro Jahr produziert, obwohl deren Herstellung laut EU-Gesetzen seit 1999 illegal ist. Der Grund: Das Leid, das Gänse erleben müssen für die französische Delikatesse ist nur schwer vorstellbar. Aber: Foie Gras wurde von den Franzosen zum nationalen und gastronomischen Kulturerbe erklärt, um Tierschutzgesetze zu umgehen. So gelangt Gänsestopfleber beispielsweise auch in anderen europäischen Ländern in den Verkauf. Doch jetzt könnte sich die Lage wandeln: Das Cleantech-Startup Gourmey hat reichlich Kapital eingeworben, um genau diese Gänsestopfleber ohne Tierleid „zellkultiviert“ herzustellen.
Gourmey aus Paris, gegründet 2019, will der Foie Gras genannten Gänsestopfleber zu neuem Ruhm in der Sterneküche verhelfen. Angeführt vom Berliner Venture Capital-Fonds Earlybird, der mittlerweile auch ein Büro in der französischen Hauptstadt hat, hat Gourmey jetzt in einer Series-A-Finanzierungsrunde 48 Millionen Euro frisches Kapital erhalten. Das ist bemerkenswert, weil es die bislang größte Finanzierungsrunde für ein Unternehmen ist, das sich auf die Kultivierung von Fleisch spezialisiert.
Schon in ihrer Seed-Finanzierungsrunde hatte Gourmey beachtliche 10 Millionen Euro eingeworben. Zu den Investoren zählen mittlerweile Keen Venture Partners aus den Niederlanden, der CEO von Instacart, Fidji Simo, sowie Heartcore Capital, Point Nine Capotal, Air Street Capital, Partech Partners und Beyond Investing.
Das Engagement von Earlybird und den anderen Investoren zeigt, wie sich das Angebot zellkultivierter Nahrung gerade massiv verbessert. Während pflanzenbasierte Alternativen wie etwa die Milch von Oatly oder das Fleisch von Redefine Meat immer mehr Raum in den Supermärkten bekommen, ist zellkultiviertes Fleisch der übernächste Schritt, der im Bereich Clean Meat folgen wird.
Im nächsten Schritt wird zellkultiviertes Fett, das mehr Frische und Feuchte bringt, mit pflanzenbasierten Bestandteilen kombiniert. Erst nach dem sogenannten Hybridfleisch, wird das rein zellbasierte Fleisch auf den Markt kommen, bei dem sowohl Fett als auch Muskeln im Bioreaktor kultiviert werden.
Earlybird-Partner Christian Nagel jedenfalls ist im Handelsblatt überzeugt vom Gourmey-Fleisch: „Wir sehen eine weitere Welle anrollen, die noch eine größere Wirkung haben könnte, weil sie geschmacklich keinen Kompromiss darstellt. Es handelt sich um einen wirklichen Ersatz zu herkömmlichem Fleisch mit hoher Qualität.“
Größte Produktion für zellbasiertes Fleisch in Europa
Für Gourmey wird es noch dauern, bis das kultivierte Fleisch auf den Markt kommen wird. Alleine dieser umfasst zwei Milliarden Euro. Aber: Genehmigungen hierfür stehen noch aus. Erster Staat, in dem der Verkauf erlaubt ist, ist Singapur.
Trotzdem nutzt das französische Cleantech-Unternehmen, das vom früheren L’Oreal-Manager Nicolas Morin-Forest gegründet wurde, das frische Kapital von Earlybird und weiteren Kapitalgebern, um die größte Produktion für zellbasiertes Fleisch in Europa aufzubauen. Die hierfür benötigten Bioreaktoren bezieht das Unternehmen aus Italien: Vom Biotech-Unternehmen Solaris. Bis 2024 soll eine 46.000 Quadratmeter große Produktionsstätte viele Tausend Tonnen kultivierter Gänsestopfleber herstellen.
Die Herstellung gelingt Gourmey auf Basis von befruchteten Enteneiern und dessen Stammzellen, die sich mit Nährstoffen gefüttert vermehren. In den kommenden Monaten soll das erste Produkt der Franzosen, das bereits Sternekochs und Bloomberg-Reporterinnen überzeugt, perfektioniert werden. Bis es auf den Markt kommen kann, sind auch weitere Investitionen in Logistik, Forschung und Entwicklung nötig.
Einschätzung von Martin Jendrischik, Cleanthinking:
Clean Meat-Unternehmen aus aller Welt arbeiten an den Fleischsorten, die besonders schwer zu imitieren sind. Denn in diesen Segmenten gibt es keine pflanzenbasierten Alternativen wie etwa beim Hackfleisch. Mit Gourmey kommt ein bislang recht unbekannter neuer Player auf den Markt, der mit seinen Finanzierungsrunden und der Qualität seiner Produkte besonders große Hoffnungen weckt, Tierleid zu reduzieren.
Bis es so weit ist, wird es noch dauern. Aber mit Sicherheit nicht so lange, wie viele Experten vermuten, die schätzen, dass zellkultiviertes Fleisch erst in 25 Jahren relevante Größenordnung von mehr als 10 Prozent Marktanteil erreichen kann. Geht die Entwicklung so langsam, würde die ungenutzte Klimachance auch ungenutzt bleiben. Es muss wesentlich schneller funktionieren.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.