
Wer ist die neue Wirtschafts- und Energieministerin Katherina Reiche?
Die (wahrscheinliche) Ernennung von Katherina Reiche zur neuen Bundesministerin für Wirtschaft und Energie in der schwarz-roten Koalition unter Friedrich Merz markiert einen Wendepunkt für die deutsche Energiewende. Die 51-jährige Brandenburgerin bringt eine ungewöhnliche Mischung aus politischer Erfahrung, wirtschaftlicher Expertise und einer kontroversen Vergangenheit mit. Doch wer ist Katherina Reiche, und was bedeutet ihre Nominierung für die Zukunft der Energiewende und Cleantech in Deutschland?
Karriere von Katherina Reiche: Von der Chemie zur Energiepolitik
Katherina Reiche, geboren am 16. Juli 1973 in Luckenwalde, begann ihre Laufbahn mit einem Chemiestudium an den Universitäten Potsdam, Clarkson (USA) und Turku (Finnland), das sie 1997 als Diplom-Chemikerin abschloss. Schon früh engagierte sie sich politisch: 1992 trat sie der Jungen Union bei, 1996 der CDU. Mit gerade 25 Jahren zog sie 1998 in den Bundestag ein und blieb bis 2015 Abgeordnete.

In ihrer politischen Karriere machte Reiche schnell Karriere: Von 2005 bis 2009 war sie stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zuständig für Umwelt und Forschung. Von 2009 bis 2013 diente sie als parlamentarische Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, anschließend bis 2015 im Verkehrsministerium. 2015 wechselte sie in die Wirtschaft, was Kritik auslöste: Ihr nahtloser Übergang zur Hauptgeschäftsführerin des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) befeuerte die Debatte über „Drehtür-Politiker“ und Interessenkonflikte.
Seit 2020 leitet Reiche die E.ON-Tochter Westenergie, einen der größten regionalen Energiedienstleister Deutschlands. Zudem ist sie seit Juni 2020 Vorsitzende des Nationalen Wasserstoffrates der Bundesregierung, wo sie sich für die Wasserstoffwirtschaft einsetzt. Ihre Ernennung zur Wirtschafts- und Energieministerin wird als Signal gewertet, dass Energiepolitik im Zentrum des Ministeriums stehen wird.
Haltung zur Energiewende: Pragmatikerin mit Atomkraft-Vergangenheit
Reiche ist keine Unbekannte in der Energiepolitik, doch ihre Haltung ist nicht unumstritten. In ihrer Zeit als CDU-Politikerin verteidigte sie jahrelang die Kernenergie als CO₂-freie Energiequelle und sprach sich 2006 gegen den Atomausstieg aus, da erneuerbare Energien damals noch nicht wettbewerbsfähig seien. 2010 unterstützte sie die Laufzeitverlängerung von Kernkraftwerken, die jedoch nach der Fukushima-Katastrophe 2011 zurückgenommen wurde.
Heute betont Reiche die Bedeutung erneuerbarer Energien und der Wasserstoffwirtschaft. Der Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) lobt ihre „klaren Bekenntnisse zu den Erneuerbaren Energien“ und ihre Kenntnis kommunaler Belange. Dennoch warnen Kritiker, etwa Grünen-Chef Felix Banaszak, vor einer „Restauration des fossilen Energieverbrauchs“, da Reiche in der Energiewirtschaft verankert sei. Ihre Rolle als Westenergie-Chefin und ihre Nähe zur Industrie lassen Fragen nach ihrer Unabhängigkeit von Lobbyinteressen aufkommen.
Reiche selbst plädiert für eine pragmatische Energiewende, die Klimaschutz mit wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit verbindet. In einem Interview mit Table Media bezeichnete sie die Energiewende als „Standortversprechen“, das eine vorausschauende Infrastrukturpolitik erfordert. Ihr Fokus auf Wasserstoff und Netzstabilität könnte Deutschland in der Dekarbonisierung voranbringen – vorausgesetzt, sie widersteht dem Druck konservativer Kräfte, die fossile Energien prolongieren wollen.
Kontroversen: Lobbyismus und konservative Werte
Reiches Karriere ist nicht frei von Kritik. Ihr Wechsel vom Bundestag zum VKU 2015 und später zu Westenergie wurde als Beispiel für die problematische Verflechtung von Politik und Wirtschaft gesehen. Kritiker fordern eine Karenzzeit für Politiker, um Interessenkonflikte zu vermeiden.
Zudem geriet Reiche wegen konservativer Äußerungen in die Kritik, etwa 2012, als sie sagte, die Zukunft liege „in der Hand der Familien, nicht in gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften“. Solche Aussagen führten zu Vorwürfen der Homophobie, die ihre Nominierung überschatten könnten.
Erwartungen: Energiewende mit industriellem Fokus?
Reiches Ernennung sendet klare Signale: Das Wirtschaftsministerium wird zum Energieministerium, mit Fokus auf Versorgungssicherheit und wirtschaftlicher Stärke. Wirtschaftsverbände wie der BDI und die DIHK begrüßen ihre Expertise und erwarten Strukturreformen, die Investitionen erleichtern. Doch die Herausforderungen sind gewaltig: Deutschland steht vor einem globalen Handelskrieg, einer schwächelnden Wirtschaft und der Notwendigkeit, die Energiewende zu beschleunigen.
Für die Cleantech-Branche könnte Reiches Fokus auf Wasserstoff und Innovationen wie Perowskit-Solarzellen oder grüne Batterietechnologien Chancen bieten. Doch ihre Vergangenheit als Kernkraft-Befürworterin und ihre Nähe zur Energiewirtschaft wecken Skepsis, ob sie die erneuerbaren Energien mit der gleichen Verve vorantreibt wie ihr Vorgänger Robert Habeck.
Fazit: Chance oder Risiko für die Energiewende?
Katherina Reiche bringt unbestreitbare Kompetenz in die Energiepolitik, doch ihre Vergangenheit und ihre Nähe zur Industrie machen sie zu einer ambivalenten Figur. Wird sie die Energiewende als „Standortversprechen“ nutzen, um Deutschland als Cleantech-Standort zu stärken? Oder wird sie konservativen Stimmen nachgeben, die fossile Energien verlängern wollen? Die kommenden Monate werden zeigen, ob Reiche die großen Fußstapfen von Robert Habeck füllen kann – und ob sie die Energiewende mit der gleichen Vision vorantreibt.
Cleanthinking wird Katherina Reiches Kurs genau beobachten – mit einem Auge auf Innovationen, saubere Technologien, die grüne Transformation und einem auf die Interessen, die im Hintergrund wirken.
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Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.