Kemfert: „Putins Invasion muss der letzte Weckruf sein“

Energieökonomin Claudia Kemfert fordert im Spiegel-Interview ein Krisenprogramm, um u.a. Subventionen zu streichen und Elektromobilität sowie Erneuerbare Energien schneller auszubauen.

Die russische Invasion in die Ukraine haben auch deutsche Autofahrer mit Benzin- und Diesel-Käufen ermöglicht. Jetzt muss der Ausstieg aus Öl schneller gelingen, um die Abhängigkeit von Putins Ressourcen zu reduzieren. Neben der viel bekannten Abhängigkeit von russischem Gas, stammt auch ein Drittel der Ölimporte aus Putins Reich. Während die Ministerpräsidenten Kretschmer und Woidke nun Kohle- und Atomausstieg überdenken wollen, schlägt Energieökonomin Claudia Kemfert einen ganz anderen Weg aus der Krise vor.

„Wir müssen so schnell wie möglich weg von der fossilen Energie und vom Öl“, sagt die Professorin und Energieexpertin Claudia Kemfert im Spiegel Online-Interview: „Dieses dramatische Ereignis muss jetzt der letzte Weckruf sein, dass wir endlich wegkommen von Öl, Kohle und Gas.“ Möglich werde das durch konsequentes Energiesparen und der konsequenten Verkehrswende. Bei früheren Ölkrisen gab es allerdings auch bereits ähnliche Bestrebungen, die letztlich scheiterten.

Diese heutige Ausnahmesituation sei damit jedoch nicht zu vergleichen, weil der Krieg vor der Tür stehe, so Kemfert. Um kein Spielball geopolitischer Interessen zu werden, seien nach Ansicht der Wirtschaftsexpertin Versorgungssicherheit und Unabhängigkeit von fossilen Energien notwendig. Alle Schritte sollten kurz-, aber auch langfristig hilfreich sein. „Ein Umsteuern ist zwingend notwendig.“

Klar bekennt sich Kemfert dazu, dass die Klimakrise – am Montag wird der nächste Teil des IPCC-Sachstandsbericht vorgestellt – weiter an erster Stelle stehe. Aktuell gebe es aber die große Gefahr einer kriegerischen Eskalation. Daher rücke die Versorgungssicherheit in den Fokus, und den Frieden zu bewahren. Klimaschutz gerade aber nicht nach hinten, sondern sei ja Teil der Lösung: „Klimaschutz ist friedensstiftend, das geht Hand in Hand.“

Aus Sicht der Energieökonomin Kemfert muss jetzt ein „Krisenprogramm“ auf den Weg gebracht werden, das das Umsteuern in Richtung Erneuerbare und Elektromobilität beschleunige. Kemfert wörtlich: „Wir haben 10, 15 Jahre mit rückwärtsgewandten Politikmaßnahmen verplempert. Jetzt bezahlen wir den Preis für die verschleppte Energiewende und müssen umsteuern. Da ist auch kurzfristig viel möglich.“

Öl werde man an internationalen Märkten kaufen können, es werde aber „sehr teuer“, betonte Kemfert. Daher sollten die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung pro Kopf rückerstattet werden, um Niedrigeinkommensbeziehern zu helfen. Die gerade um 3 Cent ab Kilometer 21 erhöhte Kilometerpauschale sei „sozial ungerecht“: „Wir wissen aus der Empirie, dass die Pauschale vor allem Bezieher hoher Einkommen bevorteilt.“ Daher solle ein Mobilitätsgeld stattdessen eingeführt werden, das unabhängig vom Einkommen und Verkehrsmittel sei bzw. auch auf eine ökologische Wahl der Verkehrsmittel ausgerichtet werden könne.

Investiert werden müsse in den Bahnverkehr, den ÖPNV, Fahrradwege, sichere Fußwege sowie Elektromobilität und Ladeinfrastruktur. Eine Elektroauto-Quote sieht Kemfert als sinnvoll an, um die Marktdurchdringung zu beschleunigen.

70 Milliarden Euro für fossile Energie

Derzeit zahlt, das wird oft vergessen, Deutschland 70 Milliarden Euro für fossile Energie. Und dieses Geld fließe auch in die Kriegskasse von Wladimir Putin, so Kemfert. Besser solle man das Geld in Zukunftsmobilität investieren. Durch die steigenden Ölpreise – die Schwelle von 100 Dollar pro Barell wurde durchbrochen – werden exponentiell steigende Kosten erwartet, wenn nicht gegengesteuert werde. Und: „Über die Abschaffung umweltschädlicher Subventionen können wir sehr schnell Geld freisetzen.“

Derzeit bezieht Deutschland fossile Energie vor allem aus Russland:

  • 50 Prozent Steinkohle
  • 50 Prozent Gase
  • 30 Prozent Öl

„Wir sind sehr abhängig von den russischen Energielieferungen und damit auch erpressbar. Damit bezahlen wir für die Fehler der Vergangenheit, für die verschleppte Energiewende. Wir haben uns offensichtlich in völlig falscher Sicherheit gewiegt. Trotzdem muss man jetzt den Hebel umlegen, das ist eine Konsequenz aus dem jetzigen Krieg“, sagte Kemfert im Spiegel-Interview.

Doch so eine klare Haltung in Richtung Zukunftsausrichtung scheint in der deutschen Politik eher schwer zu finden zu sein – zwar steht die Bundesregierung zu vieler der genannten Maßnahmen, und Wirtschaftsminister Robert Habeck hat sich schon mehrfach zur fossilen Inflation und dazu geäußert, die Abhängigkeit von russischem Gas reduzieren zu wollen.

Nur: Derzeit kommen beispielsweise Ministerpräsidenten und stellen plötzlich den „idealerweise“ vorgezogenen Kohleausstieg in Zweifel. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer will sogar über die Verlängerung der Laufzeiten der letzten verbliebenen Atomkraftwerke diskutieren – obwohl die Betreiber sich ausdrücklich dagegen aussprechen, und immer wieder betonen, dass es nicht möglich sei.

Offenbar tappen hier einige Volksvertreter in exakt die von Claudia Kemfert beschriebene Falle. Im Mittelpunkt muss gerade jetzt die Beschleunigung des Ausbaus der Erneuerbaren Energien stehen. Im Kriegsfall bündeln Länder doch alle Kräfte – die Bekämpfung der Klimakrise ist die größte Menschheitsaufgabe – es wäre töricht, nicht alle Hebel in Bewegung zu setzen, um schneller von fossilen Energieträgern wegzukommen.

Denkbar wäre aus meiner Sicht beispielsweise eine Art „Spezialausbildung“ zum Transformations-Elektriker, die sehr praxisorientiert unsere Fachkräfte-Probleme reduziert. Es muss dazu attraktiver werden, in die Branchen wie Solar, Wind oder Speicher zu wechseln. Wir sollten endlich so handeln, wie es einer globalen Krise angemessen ist.

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Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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