Abschaltung von Philippsburg 2: Wichtig für Erneuerbare Energien
Am Silvester-Tag nahm EnBW das Kernkraftwerk Philippsburg 2 vom Netz – Erneuerbare Energien, Netzausbau und Stromimporte fangen Leistung auf.
Das Jahr 2020 hat mit einer herausragenden Nachricht für den Klimaschutz, Erneuerbare Energien und den Kampf gegen die Klimakrise begonnen: Das Kernkraftwerk Philippsburg 2 bei Heidelberg ist am Silvester-Tag gegen 18:55 Uhr abgeschaltet worden. Der Betreiber EnBW setzt damit die Vorgabe des Atomgesetzes um. Der Druckwasserreaktor hatte eine installierte elektrische Leistung von 1.468 Megawatt.
Erstmals hatte das Kernkraftwerk Philippsburg 2 im Dezember 1984 elektrische Energie ins öffentliche Stromnetz eingespeist. Seit der Inbetriebnahme summierte sich die Energieerzeugung von 10 Milliarden Kilowattstunden pro Jahr und 375 Milliarden Kilowattstunden insgesamt. Bis zuletzt deckte Philippsburg 2 rund ein Sechstel des gesamten Strombedarfs Baden-Württembergs und versorgte insbesondere Haushalte.
Die Abschaltung war nach Angaben von EnBW ein technischer Standard-Prozess, der vergleichbar ist mit früheren Abfahrvorgängen vor den jährlichen Revisionen. Beim Abfahren wurde die Reaktorleistung durch das schrittweise Einfahren von sogenannten Steuerstäben in den Reaktorkern kontinuierlich abgesenkt. Nach dem Absenken der Reaktorleistung erfolgte gegen 18:55 Uhr die Trennung des Generators vom öffentlichen Stromnetz.
Noch in diesem Jahr 2020 beginnt der Rückbau des Kernkraftwerks Philippsburg 2. Die Genehmigung dafür wurde am 19. Dezember 2019 erteilt. Dieser Vorgang wird zehn bis 15 Jahre dauern. Das Kernkraftwerk Philippsburg 1 wird von EnBW seit dem Jahr 2017 zurückgebaut.
BUND: Störanfälliges Kraftwerk geht vom Netz
Neben dem Betreiber EnBW äußerte sich am Neujahrstag auch der Naturschutzverband BUND zur Stilllegung von Philippsburg 2. Demnach sei eines der „störanfälligsten Atomkraftwerke Deutschlands“ vom Betz gegangen. Dabei habe das Kraftwerk gegen geltende Sicherheitsanforderungen verstoßen. „Wir fordern die Bundesregierung auf, komplett aus der Atomenergie auszusteigen, inklusive der aktuell noch unbefristet laufenden Brennelementefabrik Lingen und der Urananreichungsanlage Gronau“, sagte Olaf Bandt, Vorsitzender des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland BUND.
Nach der Abschaltung von Philippsburg sind noch sechs Atomkraftwerke in Deutschland am Netz. Drei haben eine Betriebsgenehmigung bis Ende 2021, drei bis Ende 2022. Dass diese Kraftwerke eine anhaltende Gefährdung darstellen, zeigt eine Analyse im Auftrag des BUND. Trotzdem fordern vereinzelt Politiker von CDU immer wieder eine Laufzeitverlängerung.
Der Betreiber EnBW hat sich seit Jahren auf den gestrigen Moment vorbereitet. Klar ist: Der sehr geringe bisherige Stromimport Baden-Württembergs wird steigen. Letztlich wird die Strommenge durch einen Maßnahmenmix aus Stromimport (das schließt auch den Import aus anderen deutschen Bundesländern ein), Erzeugung durch erneuerbare Energien und Netzausbau gedeckt.
Deutschland ist Stromexporteur
Blickt man über den Tellerrand des Bundeslandes hinaus, zeigt sich: Deutschland hat 2019 einen Exportüberschuss von 30 Terawattstunden erwirtschaftet. Im Jahr zuvor waren es noch 48 Terawattstunden. Der Großteil dieser Exporte floss nach Österreich (11,7 TWh) und Polen (10 TWh). Polen dient aber lediglich als Brücke, um Strom aus den ostdeutschen Bundesländern in südliche Bundesländer zu transportieren.
Die Schweiz erhielt 6,5 Terawattstunden – diese Energie wurde nach Italien weitergeleitet. Ebenfalls Exporte erhielten die Niederlande, die den Strom aber nach Belgien und Großbritannien weiterleiten.
Im gleichen Zeitraum importierte Deutschland 11,9 Terawattstunden Strom aus Frankreich – diese Energiemenge wurde aber hauptsächlich an die Nachbarländer weitergeleitet. Nur in 2.450 Stunden des Jahres (28 Prozent der Zeit) wurde überhaupt Strom importiert (Quelle Fraunhofer ISE).
Zurück nach Baden-Württemberg: Es ist also eine einseitige, dreiste Fehleinschätzung, wenn rechtskonservative Blätter wie Tichys Einblick nun behaupten, die Stromlücke durch das Abschalten von einem der „modernsten Kernkraftwerke“ werde durch Atomstrom aus Frankreich aufgefangen. Vielmehr muss der beschriebene Mix an Maßnahmen berücksichtigt werden. Stromexporte werden reduziert, Anreize zum Ausbau der Erneuerbaren Energien erhöht. Und das ist genau der richtige Weg.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.