Klimaschutz ist Menschenrecht: Umweltverbände verklagen Bundesregierung erneut

Greenpeace, Germanwatch, BUND, SFV und Fridays For Future planen drei weitere Verfassungsbeschwerden.

Klimaschutz ist Menschenrecht, das durch wegweisende Gerichtsurteile bestätigt wurde. Dennoch hält die Bundesregierung nicht an ihren Verpflichtungen fest. Dies betrifft sowohl die Novelle des deutschen Klimaschutzgesetzes (KSG) als auch die Erreichung europäischer Klimaziele. Fridays for Future und mehrere Umweltverbände ziehen daher erneut vor das Bundesverfassungsgericht, um für einen effektiven und generationengerechten Klimaschutz zu kämpfen. Erstmals können sich Bürger*innen „ideell“ an diesen Verfassungsbeschwerden beteiligen.

Im Jahr 2021 erkannte das Bundesverfassungsgericht das Recht auf Klimaschutz als Verfassungsrang an. Dieses Urteil zwang die Bundesregierung, ihre Klimaziele zu verschärfen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bekräftigte dies im April 2024 durch sein Urteil zur Klage der Schweizer „Klimaseniorinnen“: Klimaschutz ist ein Menschenrecht und die Einhaltung der 1,5-Grad-Grenze verbindlich.

Doch die aktuelle Regierung plant, das Klimaschutzgesetz zu schwächen. Diese geplante Reform bedroht die Erreichung bereits unzureichender Klimaziele und verzögert notwendige Maßnahmen. Daher haben sich Greenpeace, Germanwatch, BUND, SFV und Fridays For Future zu neuerlichen Klimaklagen entschlossen.

Drei Verfassungsbeschwerden

Die Klima- und Umweltbewegung reagiert darauf mit drei neuen Verfassungsbeschwerden:

  1. Zukunftsklage von Greenpeace und Germanwatch
    Die „Zukunftsklage“ von Greenpeace, Germanwatch und weiteren Klägern ist eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde, die beim Bundesverfassungsgericht eingereicht wurde. Ziel dieser Klage ist es, das deutsche Klimaschutzgesetz zu überprüfen und zu verschärfen, um die Freiheitsrechte der jüngeren Generation zu schützen und effektiveren Klimaschutz zu gewährleisten. Die Kläger fordern, dass das Bundesverfassungsgericht die jüngsten Änderungen am Klimaschutzgesetz zurückweist und stattdessen strengere Maßnahmen anordnet, um die CO2-Emissionen zu reduzieren. Es soll insbesondere sichergestellt werden, dass Deutschland sein CO2-Budget nicht überschreitet.
  2. Klimaklage 2.0 von BUND und SFV
    Der SFV und der BUND verklagen nach 2018 erneut gemeinsam die Bundesregierung. Gemeinsam mit vier Einzelkläger*innen bilden sie den Kreis der Beschwerdeführer*innen. Mit dem neuen KSG verstößt die Bundesregierung nach Auffassung der Beschwerdeführer*innen gegen das Grundgesetz. Das enthaltene Ziel- und Ambitionsniveau ist zu niedrig. Maßstab des Handelns muss die klimawissenschaftlich fundierte, rechtlich verankerte Grenze von global 1,5 Grad maximaler Erderhitzung sein, um die Folgen der Klimakrise noch beherrschbar zu halten. 
  3. Fridays for Future und weitere Umweltverbände
    Unterstützt von Deutsche Umwelthilfe (DUH), Greenpeace, Germanwatch, BUND und SFV, fokussiert sich diese Beschwerde auf die Entkernung des Klimaschutzgesetzes und die verfassungsrechtlichen Defizite in der Klimapolitik der Bundesregierung. Sie fordert eine Rückkehr zu effektiven Klimaschutzmaßnahmen und die Einhaltung internationaler Klimaschutzverpflichtungen.

Erstmals ideelle Beteiligung der Bürger*innen

Eine Besonderheit dieser Verfassungsbeschwerden ist die Möglichkeit der ideellen Beteiligung. Bürger*innen können ihre Unterstützung zeigen und sich symbolisch an den Klagen beteiligen, um Druck auf die Regierung auszuüben und die Dringlichkeit des Klimaschutzes zu unterstreichen.

Neben den Umweltverbänden können sich alle Menschen an den Klagen beteiligen (Links siehe unten). Aktiv getan hat das beispielsweise Andrè Wendel, ein 54-jähriger Busfahrer aus Leipzig. Das Gewerkschaftsmitglied findet: „Aus meiner Sicht hat die Bundesregierung ihre Hausaufgaben nicht erledigt. Wenn wir unsere Mobilität und damit auch den Wohlstand trotz Klimakrise erhalten wollen, müssen wir den Verkehrssektor radikal umbauen und ausreichend finanzieren. Damit können wir aber nicht irgendwann beginnen, das muss jetzt passieren. Ich will, dass wir konsequent das Klima schützen und dabei auf soziale Gerechtigkeit achten.“

Rollen von Remo Klinger und Felix Ekardt

Remo Klinger, ein renommierter Umweltanwalt, hat bereits in der Vergangenheit maßgeblich zur Entwicklung des Umwelt- und Klimarechts in Deutschland beigetragen. Als rechtlicher Vertreter von Fridays for Future und anderen Umweltverbänden bringt Klinger seine Expertise ein, um die Verfassungsbeschwerden zu unterstützen. Seine Arbeit umfasst die juristische Beratung, die Ausarbeitung der Klageschriften und die Vertretung vor Gericht. Klingers Engagement für den Klimaschutz hat wesentlich dazu beigetragen, dass die bisherigen Klagen Erfolg hatten und das Recht auf Klimaschutz verfassungsrechtlich anerkannt wurde.

Felix Ekardt, Leiter der Forschungsstelle Nachhaltigkeit und Klimapolitik und ein führender Experte im Bereich Klimarecht und -ethik, spielt eine zentrale Rolle bei der wissenschaftlichen Untermauerung der Klagen. Seine Forschung liefert die notwendigen Argumente und Beweise, um die Dringlichkeit und Notwendigkeit strengerer Klimaschutzmaßnahmen zu belegen. Ekardt unterstützt die Klagebündnisse durch Gutachten und wissenschaftliche Analysen, die die verfassungsrechtliche Bedeutung und die internationalen Verpflichtungen Deutschlands untermauern.

Stimmen aus der Bewegung

Olaf Bandt, Vorsitzender des BUND:

„Die Klimapolitik dieser Regierung ist eine Enttäuschung. Statt Zögern und Aussitzen braucht es mehr Handeln und Tempo. Aber Mahnen reicht nicht mehr, wenn Häuser von Hochwasser geflutet werden, Äcker austrocknen, Wälder brennen und Arten massenhaft aussterben. Das sind Folgen einer Politik, die nachfolgenden Generationen die Chance auf ein gutes Leben nimmt. Ohne eine wirksame Klimapolitik können wir unseren Wohlstand und unsere Sicherheit nicht erhalten. Noch ist es nicht zu spät, aber dafür ist jetzt ehrgeiziges Handeln nötig. 

Luisa Neubauer, Sprecherin von Fridays for Future:

„Seit 2021 erleben wir in Sachen Klimaschutz eine Kakophonie des Scheiterns. Die Entkernung des Klimaschutzgesetzes ist eine Absage an generationengerechten Klimaschutz und wirft Deutschland um Jahre zurück. Wir kämpfen auf den Straßen, aber wenn es sein muss auch vor Gericht.“

Frieda Egeling, Sprecherin von Fridays for Future:

„Ich klage gegen das Klimaschutzgesetz, um zu zeigen, dass was getan werden muss. Wir kämpfen dafür, um zu zeigen, dass man in einer Demokratie seine Stimme erheben kann, sie gehört wird und somit was bewegen kann.“

Zukunftsklage: Die Klage vieler – wer macht mit?

Mit der Zukunftsklage bieten Greenpeace und Germanwatch Menschen die Möglichkeit, eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde für mehr Klimaschutz einzureichen. Formell gibt es eine Sammelklage beim Bundesverfassungsgericht nicht. Mit dem Klimabeschluss von 2021 hat das Bundesverfassungsgericht aber anerkannt, dass es um die Freiheit eines jeden Einzelnen geht – deswegen meinen wir als Verbände und die Beschwerdeführer:innen von 2021, dass wir auch jedem einzelnen ermöglichen sollten, an der Verfassungsbeschwerde teilzunehmen und seine Rechte einzuklagen.

Eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde vieler hat es in dieser Form erst einmal in der deutschen Rechtsgeschichte gegeben. 2016 hatte das Bündnis “Mehr Demokratie” zusammen mit Foodwatch, Campact und rund 200.000 Menschen eine erste Verfassungsbeschwerde gegen das vorläufige Inkrafttreten von CETA, einem umstrittenen europäisch-kanadischen Freihandelsabkommen, eingelegt. Sie war teilweise erfolgreich.

Hier mitmachen: Die Zukunftsklage – Sammelklage für mehr Klimaschutz | Greenpeace

Weitere Dokumente liefern Hintergrundinformationen zu Klimaklage 2.0 und Zukunftsklage

Einschätzung von Martin Jendrischik, Cleanthinking-Gründer

Luisa Neubauer hat Recht, wenn sie – wie heute geschehen – sagt, dass sich die Bundesregierung schämen sollte, dass solche Verfassungsbeschwerden notwendig sind, um ein Menschenrecht durchzusetzen. Die Wissenschaft rund um den Klimawandel ist klar – ebenso die zunehmende Zahl und Schärfe von Extremwetterereignissen, die bereits heute die Existenz von Menschen vernichten oder zum Hitzetod führen kann.

Die Logik ist klar: Die Bundesregierung spielt auf Zeit, weil sie sich nicht einig ist. Eine Partei blockiert beispielsweise das immer wieder geforderte Tempolimit, das Klimageld und der Abbau fossiler Subventionen wird nicht angegangen. Da die Bundesregierung nicht die Kraft für die Durchsetzung eines Menschenrechts wie Klimaschutz aufbringt, braucht es diese gemeinsame Aktion von Umweltverbänden, Aktivisten und der Zivilgesellschaft.

Im Namen von Cleanthinking.de habe ich mich an der Zukunftsklage von Greenpeace und Germanwatch beteiligt. Uns läuft die Zeit davon. Das ist das Mindeste, was alle Menschen tun sollten.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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