Klimaschutzprogramm: Stunden der Klima-Wahrheit
Zwischen globalem Klimastreik und dem Ringen um das Klimaschutzprogramm 2030.
Es sind die Stunden der Klima-Wahrheit für Deutschland beim Klimaschutz. Wird die große Koalition morgen ein Signal aussenden, dass sie verstanden hat, um was es geht? Gelingt gar die Verbrüderung mit den Demonstranten von Fridays for Future? Dazu ist ein wirklich „Großer Wurf“ bei Klimaschutzprogramm 2030 und Klimaschutzgesetz notwendig. Aber was müsste ein solcher Großer Wurf eigentlich enthalten?
In den vergangenen Wochen wurde turbulent und kontrovers über die Einführung einer CO2-Steuer in Deutschland diskutiert. Bei welcher Höhe pro Tonne CO2 sollte es losgehen, was würde das für Preise von Heizöl, Benzin und Diesel bedeuten und wie könnte eine solche Steuer sozial ausgewogen ausgestaltet werden. Für alle Fragen gaben Wissenschaftler kluge Antworten – beispielsweise ging es um eine pauschale Klimaprämie für jeden. Motto: Wer schon klimaschonend lebt, wird dadurch belohnt, weil er an anderer Stelle nicht belastet wird.
Im Kern geht es bei dieser Frage darum, wie CO2 im Gebäude- und Mobilitätssektor in die Preise an der Zapfsäule oder am Tankwagen fair eingepreist werden kann. Ein solches Modell der CO2-Bepreisung fordern neben den Wirtschaftsweisen auch viele Industrievertreter oder jüngst beispielsweise mehr als 500 institutionelle Investoren in einem gemeinsamen Statement.
CDU, CSU und SPD: Uneins über CO2-Bepreisung
Eine solche CO2-Bepreisung, das attestierten auch die Wirtschaftsweisen könnte auch in Form eines Emissionshandels umgesetzt werden. CDU und CSU halten dieses Mittel für marktwirtschaftlicher und lehnen daher eine CO2-Steuer ab. Die Einigung über dieses zentrale Instrument vom Klimaschutzprogramm ist also, einen Tag vor dessen geplanter Vorstellung, vollkommen offen.
Zwar hält beispielsweise Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Mischform aus Steuer und Emissionshandel für denkbar – allerdings muss sich die Koalition dann immer noch über den Zeitpunkt der Einführung, die Höhe des Maximalpreises und vieles mehr einigen. Beobachter erwarten daher bei der Sitzung des Koalitionsausschusses, die heute Abend beginnen soll, eine lange Nacht. Morgen soll dann das Klimakabinett beschließen.
Dabei drängt die Zeit enorm: 300 Millionen Tonnen weniger soll Deutschland bis 2030 verbrauchen, um die verbindlich vereinbarten Klimaziele 2030 noch einzuhalten. Denn diese Menge würde den Treibhausgas-Ausstoß bis 2030 um 55 Prozent reduzieren. Das Land würde auf den Pfad in Richtung Klimaneutralität bis 2050 zurückkehren.
Wie die Zeit drängt, zeigen auch die Klimastreifen, die über www.energy-charts.de erzeugt werden können. Sie basieren auf der Idee des Wissenschaftlers Ed Hawkins und zeigen die durchschnittliche Lufttemperatur pro Jahr als farblicher Streifen an. Offensichtlich ist: Wir liegen bereits im dunkelroten Temperaturbereich und müssen entgegensteuern.
Mehr zu den Klimastreifen gibt es im Video von Volker Quaschning:
Dass die Wissenschaftler wie Quaschning heute deutlich mehr Gehör für die eigenen Botschaften finden, hat mehrere Gründe. Einerseits hat Greta Thunberg in unnachahmlicher Weise geholfen, komplexe Sachverhalte in einfache Botschaften zu übersetzen. Das Bild „Das Haus brennt“, aber wir alle verhalten uns nicht so, ist einfach, aber brillant. Gleichzeitig haben die Wissenschaftler erkannt, dass sie selbst Wege finden müssen, von komplexen Kurven, Hockeyschlägern und anderen wilden Instrumenten wegzukommen: Sinnbildlich dafür steht die Klimastreifen-Krawatte von Quaschning.
Wie sehr sich der Wind wegen Fridays for Future gedreht hat, wird in diesem Artikel hervorragend beschrieben. Grüne Wahlerfolge, hitzige Sommer, beerdigte Gletscher und drohende Kipppunkte haben dazu geführt, dass die Parteien versuchen, von Bremsern zu Beschleunigern zu werden. Nachteil an der Sache: Hätte man vor einem Jahr begonnen und nicht erst vor wenigen Wochen, wäre ein Klimaschutzprogramm 2030 mit Sicherheit durchdachter und stimmiger geworden.
Was steht im Klimaschutzprogramm 2030?
Es gibt einen Entwurf des Klimaschutzprogramms 2030, der den Stand bis Montagabend zusammenfasst. Dieser ist beim angesprochenen Konfliktthema CO2-Bepreisung unkonkret, enthält aber einige Maßnahmen, die so in den vergangenen Tagen noch nicht in der Debatte waren. Zum Grundsatz heißt es darin, Deutschland wolle „seinen Beitrag zum Erhalt der globalen Lebensgrundlagen“ liefern. Und weiter:
„Die Bundesregierung hat sich im Klimaschutzplan auf Sektorziele verständigt, die die bis zum Jahr 2030 insgesamt notwendige Minderung von Treibhausgasen um mindestens 55 Prozent auf die Emissionssektoren Energiewirtschaft, Gebäude, Verkehr, Industrie, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft verteilen.“
Auszug aus dem Klimaschutzprogramm 2030 laut welt.de
Folgende Maßnahmen sollen entscheidend dazu beitragen, erst einmal die Hälfte der 300 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Die Lücke soll durch die Maßnahmen rund um Emissionshandel oder Steuer oder eben Mischform geschlossen werden:
- Ab 2030 keine ausschließlich fossil betriebenen Heizungen
- Senkung der Mehrwertsteuer für Bahntickets im Fernverkehr von 19 auf 7 Prozent
- Verbindliche Quote für Elektroautos
- Eine Million Ladepunkte bis 2030
- Weitere Senkung der Dienstwagensteuer für Elektrofahrzeuge
- Kaufprämie für Elektroautos soll angehoben werden – von 2.000 auf 4.000 Euro zzgl. Händlernachlass von 2.000 Euro – denkbar ist auch eine Staffelung noch Autogröße
- Neue Fenster, Isolierungen oder Heizungen sollen steuerlich gefördert werden
- Ausbau der Onshore-Windkraft soll von 2,9 auf 3,9 GW pro Jahr steigen – derzeit ist der Zubau komplett zum Erliegen gekommen – notwendig wären 7 Gigawatt
- Photovoltaikausbau soll wieder angekurbelt werden – über den Bundesrat gibt es den aussichtsreichen Versuch, den 52-Gigawatt-Deckel zu kippen.
Die Youtuberin maiLab hat zum Thema auch ein leicht verständliches Video gedreht:
Fazit zum Klimaschutzprogramm 2030
In der Summe plant die Regierung im Klimaschutzprogramm Investitionen bis 2030 in dreistelliger Milliardenhöhe. Ob die Maßnahmen an den richtigen Stellen ansetzen, wird erst das tatsächliche Konzept zeigen. Bleibt abzuwarten, ob man sich dann tatsächlich der Euphorie des Bayerischen Ministerpräsidenten anschließen kann, der findet, es handele sich um eine „Revolution für Deutschland“.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.