Deutscher Wetterdienst erstellt dekadische Klimavorhersage bis 2029 – und zeigt damit, wie hoch der Handlungsdruck in der Klimakrise ist. Auch der Sommer 2022 wird laut saisonaler Prognose deutlich wärmer.
Die Klimakrise ist eine Art Krise in Zeitlupe im Vergleich zur Corona-Pandemie. Die Reaktion darauf fällt angesichts des politischen Systems schwer. Aber: Die erstmals vorgestellte dekadische Klimavorhersage des Deutschen Wetterdienstes DWD zeigt den verheerenden Anstieg der Lufttemperatur in den kommenden zehn Jahren – nicht erst bis Ende des Jahrhunderts. Beherztes und zügiges politisches Handeln, um die globale Erderwärmung zu begrenzen, ist daher unumgänglich. Die zweite dekadische Klimavorhersage entstand im Juni 2022 – die wichtigsten Erkenntnisse wurden dem Beitrag am Ende hinzugefügt.
Die Worte des Präsidenten der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), Prof. Dr. Gerhard Adrian, bei der Vorstellung der dekadischen Klimavorhersage des DWD könnten schärfer kaum sein: „Alle wichtigen Stellschrauben drehen sich unverändert in die falsche Richtung.“ Die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre nehme immer noch zu die, die weltweite Mitteltemperatur steige weiterhin an und gleiches gelte für den mittleren Anstieg des globalen Meeresspiegels.
Die Menschheit hat die Sturmglocken bisher noch nicht hören wollen. Unser Wetter und Klima wird extremer – weltweit, in Europa und hierzulande.
Prof. Dr. Gerhard Adrian, Präsident der Weltorganisation für Meteorologie
Der Rückblick auf das Jahr 2019 ist global tatsächlich erschreckend, im Vergleich der seit 1750 vorliegenden weltweiter Aufzeichnungen:
- Es war das zweitwärmste Jahr
- Die vergangenen fünf Jahre waren die wärmsten
- 2010 bis 2019 war die bisher wärmste Dekade
Die heutige Generation ist die erste Generation, die die Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels so umfassend messen, beobachten und wissenschaftlich analysieren kann. „Dieses Wissen ist in der Welt und lässt sich nicht mehr unter den Tisch kehren. Wir sind aber auch die erste Generation, die am eigenen Leib die Folgen der menschengemachten Erderwärmung erlebt“, so Adrian. Auf Basis dieser Klimafakten habe der Klimawandel sich fast überall auf der Welt einen Platz auf der gesellschaftlichen und politischen Tagesordnung erobert.
Erwarteter Anstieg der Lufttemperatur bis 2029
Die aktuelle dekadische Klimavorhersage für Deutschland zeigt in deutlichen Zahlen, Worten und Illustrationen, dass es in diesem Jahr in sämtlichen Regionen bereits 1,0 bis 1,5 Grad wärmer werden dürfte als im Mittel der Referenzperiode 1981-2010, so die Wissenschaftler des DWD. Im Zeitraum 2025 bis 2029 ist in der Mitte Deutschlands, also im Westen und Osten, sogar mit Temperaturen zu rechnen, die 1,5 bis 2,0 Grad über der Referenzperiode liegen.
Das würde bedeuten, dass die Regionen bereits dann den Anstieg der Erderwärmung erreicht haben, der noch für den gesamten Planeten noch bis Ende des Jahrhunderts verhindert werden soll. Es zeigt die Dringlichkeit mit der gehandelt werden muss – es geht nicht in Zeitlupe um die kommenden 80 Jahre, sondern im Eiltempo um die kommende Dekade.
Bezogen auf die Niederschläge gilt: Für 2020 ist in Deutschland mit durchschnittlichen Niederschlägen zu rechnen. Aber bereits im Zeitraum 2020 bis 2024 dürfte es zu trocken sein, so DWD-Forscher Fuchs in seiner Analyse. Mehr dazu ist auch im Klimastatusbericht des DWD für das Jahr 2019 nachzulesen.
Die nachfolgende Animation zeigt die Temperatur-Prognose weltweit bis 2029:
Konsequenzen für Wasser- oder Landwirtschaft
Branchen, die auf stabile Klimaverhältnisse angewiesen sind, können dank der dekadischen Klimavorhersage des DWD nun verstärkt Vorkehrungen treffen, um negative Auswirkungen abzufedern. So können etwa Wasserwerke die Trinkwasserversorgung sichern, wenn absehbar niederschlagsarme Jahre vorhergesagt werden. Außerdem kann die Land- und Forstwirtschaft Konsequenzen bei der Auswahl des Saatguts oder der Schädlingsbekämpfung ziehen. Auch im Bereich Erneuerbare Energien sind klare Handlungen erforderlich: Werden windarme Jahre prognostiziert, sind mehr Reserveleistungen einzuplanen.
DWD-Rückblick auf das Jahr 2019 in Deutschland
Das Jahr 2019 war mit einer Mitteltemperatur von 10,3 Grad Celsius in Deutschland zusammen mit dem Jahr 2014 das zweitwärmste Jahr seit Beginn der inzwischen 139-jährigen Temperaturzeitreihe. Elf der zwölf Monate des Jahres 2019 waren zu warm. Es war verglichen mit dem Mittelwert der internationalen Referenzperiode 1961-1990 von 8,2 °C 2,1 Grad zu warm. Neun der zehn wärmsten Jahre in Deutschland traten in den vergangenen 20 Jahren auf. Seit Beginn der Aufzeichnungen 1881 beträgt der Erwärmungstrend hierzulande +1,6 Grad oder 0,11 Grad pro Jahrzehnt. Die verstärkte Temperaturzunahme der jüngeren Vergangenheit vermittelt eine andere Zahl: Seit 1970 wurde es 0,37 Grad pro Dekade wärmer.
Vom 24. bis 26. Juli 2019 traten im Westen Deutschlands an drei aufeinanderfolgenden Tagen Höchsttemperaturen von über 40 °C auf. Im Niederschlags-Vergleich zu den vieljährigen Mittelwerten der Referenzperiode waren 2019 fünf Monate zu nass und sieben zu trocken. In der Summe ergibt sich für das gesamte Jahr mit 735 Litern pro Quadratmeter (l/m2) Niederschlag im Flächenmittel von Deutschland ein Defizit von knapp 54 l/m2 oder 6,8 Prozent.
Angesichts der dramatischen, langfristigen Vorhersagen schließt der DWD nun eine Lücke, um es Entscheidern leichter zu machen, auch entsprechend zu handeln. Tobias Fuchs, Leiter Klimatologie des DWD, betonte, die Klimvorhersagen für jeweils eine Dekade sollten die Lücke zwischen Klimavorhersagen für die kommenden Monate einerseits und den langfristigen Klimaprojektionen bis Ende des Jahrhunderts schließen.
Sie können damit zum Beispiel Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft helfen, jetzt schon Investitionsentscheidungen an den Klimawandel anzupassen.
Tobias Fuchs, Leiter der Klimatologie des DWD
Auf der Internetseite des DWD sind die Klimavorhersagen – das Projekt wurde übrigens vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert – transparent dargestellt.
Neue Vorhersage: Wie wird der Sommer 2022?
Im Juni 2022 hat der Deutsche Wetterdienst die Erwartungen aus dem Jahr 2020 erneuert. Bezogen auf den erwarteten Sommer 2022 gibt es einen klaren Trend zu weiter steigenden Durchschnittstemperaturen – auch in der saisonalen Klimavorhersage für Juni bis August. Für alle Regionen Deutschlands wird ein Temperaturplus von bis zu einem Grad im Vergleich zum vieljährigen Durchschnitt von 17,6 Grad Celsius des Zeitraums 1991-2020 prognostiziert. Zum Vergleich: Im Referenzzeitraum 1961-1990 lag die Mitteltemperatur im Sommer noch bei 16, 3 Grad Celsius.
Das saisonale Klimavorhersagesystem des DWD sagt für den Sommer 2022 normale bis trockenere Verhältnisse im Vergleich zum vieljährigen Mittel 1991-2020 voraus. Grundsätzlich sollte aber beachtet werden, dass Klimavorhersagen, vor allem beim Niederschlag, noch Unsicherheiten aufweisen. Diese Unsicherheiten quantifiziert der DWD mit Hilfe der Vorhersagegüte, die auch auf der Website dargestellt wird. Die Vorhersagequalität ist nicht mit einer Wettervorhersage für die kommenden Tage vergleichbar, deren Trefferquote bei über 90 Prozent liegt.
Und noch eine Aussage zur dekadischen Klimavorhersage: Die mittlere Temperatur der Jahre 2022 bis 2028 könnte hierzulande etwa 0,5 bis 1,0 Grad zu warm ausfallen – verglichen mit dem vieljährigen Durchschnitt von 9,3 Grad Celsius der schon recht warmen Referenzperiode 1991-2020. Das ergeben neue dekadische Klimavorsagen, die der Deutsche Wetterdienst (DWD) für Deutschland, Europa und auch weltweit berechnet hat.
„Unsere Analysen zeigen, dass der Klimawandel Deutschland auch in den kommenden Jahren deutlich prägen wird“, so Tobias Fuchs, Klima-Vorstand des nationalen Wetterdienstes. Der DWD hat auch die Trends für den Niederschlag berechnet und sagt für die Jahre bis 2028 meist trockenere Verhältnisse für Deutschland voraus – wieder verglichen mit dem Mittel des Zeitraum 1991-2020.
(Dieser Artikel entstand zunächst am 12. April 2020, wurde mit den den Daten vom 9. Juni 2022 überarbeitet)
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.