Kohleausstieg in Deutschland: Bis 2030 raus aus Stein- und Braunkohle?

Ausstieg aus der Kohleverstromung bis Ende der Dekade – was ist das Problem und wie gelingt der Strukturwandel?

Der Ausstieg aus der Kohleverstromung ist in Deutschland bis spätestens 2038 durch das Kohleausstiegsgesetz geregelt. Ist der Kohleausstieg bis 2030 möglich, so wäre dies ein gewaltiger Meilenstein zur Bekämpfung des Klimawandels (Was sind Ursachen und Folgen des Klimawandels?). Doch was bedeutet der Wegfall von Strom aus Steinkohle und Braunkohle für die Menschen ganz konkret. Beispielsweise beim Strukturwandel in der Lausitz? Wie müssen sich Unternehmen wie RWE, EnBW oder LEAG transformieren? Und vor allem: Wie schnell können Erneuerbare Energien genügend Verantwortung übernehmen, um dieses Industrieland (versorgungs-)sicher durch Sommer und Winter zu bringen?

Wann wurde der Kohleausstieg in Deutschland beschlossen?

Die große Koalition unter der Regierung von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat den Kohleausstieg in Deutschland am 16. Januar 2020 beschlossen. Es handelte sich um einen Kompromiss, der zwischen Bund und Bundesländern herbeigeführt wurde. Den entsprechenden rechtlichen Rahmen setzt das Gesetz zur Reduzierung und zur Beendigung der Kohleverstromung und zur Änderung weiterer Gesetze (Kohleausstiegsgesetz bzw. Kohleverstromungsbeendigungsgesetz). Es regelt das Ende der Verstromung von Kohle in Deutschland bis zum Jahr 2038. Dieses Kohleausstiegsgesetz ist am 3. Juli 2020 verabschiedet worden.

Download des Gesetzes als PDF-Version: Im Cleanthinking-Ordner zum Kohleausstieg

Das Kohleausstiegsgesetz hat zum Ziel, die Stromerzeugung aus Braunkohle und Steinkohle in Deutschland bis zum Jahr 2038 schrittweise zu reduzieren und zu beenden. Es ist seit dem 14. August 2020 offiziell in Kraft. Neben dem Aspekt der Abschaltung der Kohlekraftwerke dient das Gesetz auch dazu, die finanzielle Unterstützung und soziale Absicherung für die Unternehmen wie EnBW, LEAG oder RWE zu klären – und die Umrüstung der Energieversorgung auf Erneuerbare Energien zu forcieren.

Wann geht welches Kohlekraftwerk vom Netz?

Laut Bundesnetzagentur sieht der Kohlekraftwerks-Abschaltplan wie folgt aus:

Kraftwerk (Braunkohle)RevierBaujahrStillegungBetreiber
Nord-Süd-BahnRheinland1959-197631.12.2020RWE
Nord-Süd-Bahn (2)Rheinland1959-197631.12.2021RWE
Nord-Süd-Bahn oder WeisweilerRheinland1959-197631.12.2021RWE
Nord-Süd-Bahn oder WeisweilerRheinland1959-197631.12.2022RWE
BrikettierungRheinland1959-197631.12.2022RWE
Nord-Süd-BahnRheinland1959-197631.12.2022RWE
Nord-Süd-BahnRheinland1959-197631.12.2022RWE
Weisweiler FRheinland196701.01.2025RWE
Jänschwalde ALausitz198131.12.2025LEAG (EPH)
Jänschwalde BLausitz198231.12.2027LEAG (EPH)
Weisweiler GRheinland197401.04.2028RWE
Jänschwalde CLausitz198531.12.2028LEAG (EPH)
Jänschwalde DLausitz198631.12.2028LEAG (EPH)
Weisweiler HRheinland197531.12.2029RWE
Boxberg NLausitz197931.12.2029LEAG (EPH)
Boxberg PLausitz198031.12.2029LEAG (EPH)
Niederaußem GRheinland197431.12.2029RWE
Niederaußem HRheinland197431.12.2029RWE
Schkopau AMitteldeutschland199531.12.2034Uniper/EPH
Schkopau BMitteldeutschland199631.12.2034Uniper/EPH
Lippendorf RMitteldeutschland200031.12.2035LEAG(EPH)
Lippendorf SMitteldeutschland199931.12.2035ENBW
Niederaußem KRheinland200231.12.2038RWE
Neurath F (2)Rheinland201231.12.2038RWE
Schwarze Pumpe ALausitz199831.12.2038LEAG (EPH)
Schwarze Pumpe BLausitz199831.12.2038LEAG (EPH)
Boxberg RLausitz201231.12.2038LEAG (EPH)
Boxberg QLausitz200031.12.2038LEAG (EPH)
(Quelle: Bundesregierung)

Es war der 27. Juni 2019 als die EnBW als Betreiber des Blocks S des mitteldeutschen Braunkohlekraftwerks Lippendorf mitteilte, der Block werde aus wirtschaftlichen Gründen vorübergehend abgeschaltet. Erst Mitte Juli 2019 nahm die LEAG den Block S vom Kraftwerk Lippendorf wieder in Betrieb.

Das Beispiel zeigt: Der Ausstieg aus der Braunkohle und der Steinkohle in Deutschland ist – aus wirtschaftlichen Gründen – in vollem Gange. Während die politischen Entscheidungsträger in einem faulen Kompromiss erst bis 2038 aus der Braunkohle raus wollen, könnten die wirtschaftlichen Begebenheiten zu einem viel schnelleren Kohleausstieg führen. Indes: Es wäre besser im Hinblick auf Planungs- und Versorgungssicherheit, die Betreiber, die Netzbetreiber und die Kommunen vor Ort hätten Gewissheit.

Emissionshandel treibt Kohle aus dem Markt

Neben dem vorübergehenden Abschalten des Block S haben erneuerbare Energien in den vergangenen Jahren große Anteile der Steinkohle-Verstromung überflüssig gemacht. Neben dem wachsenden Angebot erneuerbarer Energien und positiver Wettereinflüsse ist dafür der Europäische Emissionshandel maßgeblich. Noch im Januar lag der Preis pro Tonne bei 5 Euro – heute sind es knapp 25 Euro und somit 417 Prozent mehr.

Experten aus Wissenschaft und Medien sind sich angesichts dieses funktionierenden Marktmechanismus einig, dass die nun vereinbarten Entschädigungszahlungen für die Kohlekraftwerksbetreiber RWE und LEAG zu großzügig sind. DIW-Ökonomin Claudia Kemfert sprach von „Geldverschwendung“ – die Bundesregierung habe es bereits vor 15 Jahren versäumt, höhere Preise beim EU-Emissionshandel durchzusetzen. Wie die heutige Entwicklung des Zertifikatehandels zeigt, hätte das zu schnellerem Abschalten von mehr Kraftwerken geführt.

Im Kompromiss ist vereinbart worden, dass RWE eine Entschädigungssumme von 2,6 Milliarden Euro erhält. Bis zur Nacht der Kompromissfindung war von maximal 2 Milliarden Euro ausgegangen worden. Die LEAG hingegen bekommt 1.75 Milliarden Euro als Entschädigungsleistung.

Anpassungsgeld und Strukturhilfen

RWE hat unmittelbar nach der Veröffentlichung des Kohleausstiegs die Entlassung von 3.000 Kumpeln aus der Braunkohlesparte des Unternehmens angekündigt. Bis 2030 werden 6.000 Kumpel ihren Job verlieren. Für diese und die Kollegen im Lausitzer und mitteldeutschen Revier hat die Bundesregierung ein Anpassungsgeld beschlossen.

Bedeutet: Wer 58 Jahre und älter ist, muss keinen schlechter bezahlten Job mehr annehmen, sondern kann – finanziert über den Topf in Höhe von bis zu 4,8 Milliarden Euro – in Vorruhestand gehen. Nach Medienangaben sind hierzu 16.898 heute noch angestellte Beschäftigte anspruchsberechtigt.

Neben den Kohlekumpel werden die Regionen in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen Strukturhilfen in Höhe von 40 Milliarden Euro erhalten. So soll beispielsweise in NRW ein Zentrum für Wasserstoff entstehen und in Cottbus ein Gesundheitszentrum mit Universitätsklinikum. Ein großer Teil der Strukturhilfen, gerade in der Lausitz, wird für die Infrastruktur von Straßen oder Bahn verwendet werden.

Was bedeutet der Kohleausstieg für die Strompreise?

Der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI hat vorgerechnet, dass die Kosten für den Kohleausstieg in Höhe von 50 Milliarden Euro zu einer Verteuerung der Strompreise von 0,4 bis 1,4 Cent je Kilowattstunde führen werden. Das ist für einen Durchschnittshaushalt mit 3.500 Kilowattstunden Verbrauch eine Mehrbelastung von 14 bis 50 Euro pro Jahr.

Studien haben aber gezeigt, dass sich der Ausstieg aus der Kohle volkswirtschaftlich rechnet – und indirekt jährlich fast 28 Milliarden Euro gespart werden können.

Nicht zu vergessen ist: Neben dem Braunkohle-Ausstieg, steht auch noch der Steinkohle-Ausstieg bevor, bei dem Entschädigungszahlungen per Auktion ermittelt werden sollen.

Umbau von Kohlekraftwerken, Ausbau der Erneuerbaren Energien

Die Konsequenz aus dem jetzt erfolgten Kohleausstieg muss nun mehrgleisig und schnell kommen: Einerseits muss der Deckel für den Photovoltaik-Zubau auch gesetzlich geregelt fallen. Andernfalls droht bereits im April der Einbruch der Solarbranche. Das wäre fatal. Andererseits muss es möglich gemacht werden, endlich das Thema Abstandsregeln für Windkraftanlagen an Land vernünftig zu entscheiden.

Und neben diesen beiden dringlichen Anpassungen muss die Bundesregierung den Ausbaupfad für Offshore-Windkraft so korrigieren, dass die Klimaziele wenigstens erreichbar bleiben. Mit dem faulen Kompromiss sind die Ziele nicht erreichbar – es bleibt aber zu hoffen, dass der Marktmechanismus schneller zum faktischen Kohleausstieg führt und durch Korrekturen beim CO2-Preis auch dessen Wirkung spätestens Mitte der 20er Jahre verstärkt wird.

Durch Kohle- und Atomausstieg wird der Druck Erneuerbare Energien ausbauen zu müssen und mit den Stromleitungen voranzukommen weiter zunehmen. Außerdem muss es wirtschaftlich werden, Gaskraftwerke wie das im bayerischen Irsching gelegene wieder dauerhaft in Betrieb zu nehmen. 2022 könnte es soweit sein, weil Bayern vom Atomausstieg betroffen ist, aber beim Windkraftausbau hinter her hinkt. Solange die Stromleitungen aus dem Norden nicht fertig sind, werden Gaskraftwerke gebraucht.

Die Bundesregierung möchte auch abgeschaltete Kohlekraftwerke zu Gaskraftwerken umfunktionieren – bislang gibt es aber keine Anzeichen dafür, dass entsprechende Rahmenbedingungen für einen solchen Kapazititätsmarkt geschaffen werden. Eine finanzielle Belohnung ist Betreibern im Kohleausstiegsgesetz (Entwurf) versprochen worden. Nach Experteneinschätzungen ist aber unsicher, ob das ausreichen wird.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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