Kraftwerksstrategie: Koalition will Kapazitätsmarkt ab 2028, um Kohleausstieg zu realisieren

Regierung hat sich auf eine Strategie zum Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke in Deutschland geeinigt. Ab spätestens 2040 sollen sie mit Wasserstoff betrieben werden.

Mit der Kraftwerksstrategie legt die Bundesregierung fest, welche modernen, flexiblen und klimafreundlichen Kraftwerke neben erneuerbaren Energien die Versorgungssicherheit langfristig gewährleisten sollen. Die Planungen sehen im ersten Schritt den Bau neuer wasserstofffähiger Gaskraftwerke in Deutschland vor (10 Gigawatt). Bis 2028 soll dann ein Kapazitätsmarkt entstehen, in dessen Rahmen die Betreiber nicht nach Kilowattstunde, sondern nach „bereitgestellter Leistung“ vergütet werden. Der Neubau entsprechender Kraftwerke ist eng mit der Möglichkeit des Kohleausstiegs um das Jahr 2030 herum verbunden.

Die Bundesregierung einigt sich auf Kraftwerksstrategie und auf den Bau wasserstofffähiger Gaskraftwerke in Deutschland verständigt: Bis zum Sommer 2024 wird die genaue Ausgestaltung des Kapazitätsmarktes festgelegt – und auch mit dem ebenfalls in Arbeit befindlichen Strommarktdesign verknüpft. Dieses geht aus der dialogorientierten Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ hervor.

Als Errichter neuer, wasserstofffähiger Gaskraftwerke kommen beispielsweise Uniper, Vattenfall oder EnBW und RWE in Betracht – teilweise haben die Konzerne entsprechende Vorhaben bereits vorgeplant. Die Kraftwerke sollen an Standorten entstehen, wo sie für das Gesamtsystem besonders großen Nutzen haben. Es ist davon auszugehen, dass speziell im Süden und Westen des Landes die meisten dieser Anlagen gebraucht werden.

Pikant: Erst 2032 soll festgelegt werden, wann die Gaskraftwerke auf Wasserstoff umsteigen sollen. Als Zeitspanne ist ein Zeitraum zwischen 2035 und 2040 vorgesehen. Und: Die Bundesregierung will die CO2-Abscheidung und -speicherung für „Verstromungsanlagen mit gasförmigen Energieträgern“ im Rahmen der Carbon-Management-Strategie aufgreifen. Der Einsatz der CCS-Technik jenseits der energieintensiven Industrie ist höchst umstritten – unklar ist, ob hiermit tatsächlich Erdgaskraftwerke gemeint sind oder vor allem Biogasanlagen.

Es gilt gut 28 Gigawatt an gesicherter, allzeit verfügbarer Leistung zu kompensieren, sobald der Kohleausstieg vollzogen ist.

Kraftwerksstrategie: Investitions- und Betriebskosten fördern

Für die Erforschung von Energie werden finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt, um neue Wasserstoffkraftwerke mit einer Kapazität von bis zu 500 Megawatt zu fördern. Um die Entwicklung von neuen Technologien wie der Kernfusion und die Durchführung von Testläufen in Kraftwerken zu unterstützen, werden diese Projekte mit geeigneten Förderinstrumenten gefördert.

Laut Informationen des SPIEGEL plant die Regierung, sowohl die Investitionen für den Bau (Capex) als auch die anschließenden Betriebskosten der Anlagen (Opex) zu unterstützen.

Es wurde außerdem beschlossen, dass vorhandene Hindernisse für die Errichtung und den Betrieb von Elektrolyseuren vollständig beseitigt werden sollen. Alle Möglichkeiten sollen genutzt werden, um insbesondere den Ausbau von Elektrolyseuren zu beschleunigen, die zur Unterstützung des Systems betrieben werden sollen. Doppelbelastungen von Abgaben und Gebühren auf Strom zur Speicherung und Elektrolyse werden abgeschafft, um marktwirtschaftliche und systemdienliche Anreize für die Produktion von Wasserstoff zu schaffen. Die uneingeschränkte Nutzung von Überschussstrom wird ermöglicht und alle bestehenden regulatorischen Hürden werden weitestgehend abgebaut.

Planungs- und Genehmigungsverfahren „substanziell“ beschleunigt

Die Planungs- und Genehmigungsverfahren für die in der Kraftwerksstrategie enthaltenen Kraftwerke werden substanziell beschleunigt.

Die gefundene Einigung zur Kraftwerksstrategie wird mit der EU-Kommission in Brüssel beraten und anschließend mit der Öffentlichkeit konsultiert. Mit der EU-Kommission können wir an die konstruktiven Gespräche aus dem Sommer letzten Jahres anknüpfen.

Kohleausstieg 2030 möglich?

Eine sichere und zukunftsfähige Energieversorgung, einschließlich eines schnellen Ausstiegs aus der Kohle, ist von der Erweiterung des deutschen Spitzenlastkraftwerkparks abhängig. Heute springen u.a. Kohlekraftwerke ein, wenn die Leistung von Solar und Wind sowie anderer erneuerbarer Energieträger nicht ausreicht. Auch das europäische Verbundsystem springt dann in die Bresche. Die Lücke zwischen erzeugbarer Leistung und tatsächlicher Last wird als Residuallast bezeichnet.

Nach heutiger Planung sollen bis zum Ende des Jahrzehnts 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Durch den europäischen Emissionshandels-Mechanismus wird die Kohleverstromung nach Einschätzungen wissenschaftlicher Studien unwirtschaftlich. Schafft es die deutsche Regierung nicht, die Versorgungssicherheit sicherzustellen, müssten dennoch Kohlekraftwerke subventioniert weiterbetrieben werden – womöglich unter dem Dach des Kapazitätsmarktes.

Für die Energiewende wäre das ein Rückschlag, wenn CCS-Technik oder ein Wechsel des Brennstoffs (etwa zu Nextfuel) nicht passiert.

Welche Kosten verursachen die wasserstofffähigen Gaskraftwerke?

Bislang war im Rahmen der Debatte über eine Kraftwerksstrategie von bis zu 50 neuen, wasserstofffähigen Gaskraftwerken ausgegangen worden. Robert Habeck hatte diese „Champagner-Lösung“ zuletzt aber während eines Interviews in der ARD zurückgewiesen. Der Bundesverband Erneuerbare Energien hingegen forderte, die Biogasanlagen stärker als dezentrale Lösungen einzubeziehen.

Vizekanzler Robert Habeck im Interview in der ARD-Sendung Caren Miosga am 4. Februar 2024.

Laut SPIEGEL liegen die Gesamtkosten der Kraftwerksstrategie jetzt nicht mehr bei 60 Milliarden Euro, sondern in den kommenden 20 Jahren bei zirka 16 Milliarden Euro.

Hintergrund: Was bedeutet Kapazitätsmarkt grundsätzlich?

Im Energiesektor zielt der Kapazitätsmarkt darauf ab, einen Mechanismus zu etablieren, der nicht nur den tatsächlichen Stromverbrauch, sondern auch die erbrachte Leistung handelt.

Im konventionellen Strommarkt erfolgt der Handel normalerweise basierend auf der verbrauchten Strommenge. In einem Kapazitätsmarkt liegt der Fokus jedoch auf der Bereitstellung ausreichender Stromkapazität für zukünftige Nachfrage, insbesondere in Zeiten steigender Nachfrage oder unvorhersehbarer Ereignisse wie dem Ausfall anderer Kraftwerke.

Mit einem Kapazitätsmarkt können Stromerzeuger Geld verdienen, indem sie ihre Kapazität zur Verfügung stellen, unabhängig davon, ob der erzeugte Strom tatsächlich verkauft wird oder nicht. Dies bietet Anreize für Investitionen in die Errichtung und Aufrechterhaltung von Kraftwerken und anderen Kapazitäten, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.

Durch einen Kapazitätsmarkt haben Stromerzeuger die Möglichkeit, Einnahmen zu erzielen, indem sie ihre Kapazität bereitstellen, unabhängig davon, ob der erzeugte Strom tatsächlich verkauft wird oder nicht. Dadurch werden Anreize geschaffen, in den Bau und die Wartung von Kraftwerken und anderen Kapazitäten zu investieren, um eine zuverlässige Stromversorgung zu gewährleisten.

Der Zweck des Kapazitätsmarktes besteht darin, Engpässe zu verhindern und eine zuverlässige und stabile Stromversorgung zu gewährleisten. Marktteilnehmer haben die Chance, finanziell entlohnt zu werden, indem sie dem Energiesektor ihre Kapazitäten zur Verfügung stellen.

Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.

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