Ökologisch orientierte Transformation der Ernährung basiert maßgeblich auf zellkulturbasierter Fleischproduktion.
Kultiviertes Fleisch als Teil einer zellulären Landwirtschaft ist jetzt in der deutschen Politik angekommen: Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hat in seinem Bericht sehr großes Potenzial von zellkultiviertem Fleisch festgestellt – und die Rolle öffentlicher Investitionen hervorgehoben. Nach Einschätzung des Good Food Institute Europe könnte Deutschland den Anschluss bei der wichtigen Klimaschutztechnologie verpassen. Der Bericht analysiert aber auch technische und regulatorische Herausforderungen von zellkultiviertem Fleisch.
Welche gewaltige Bedeutung alternative Proteine für die Ernährung von acht Milliarden Menschen unter den Bedingungen des Klimawandels haben, wird in einer Reihe von Studien überdeutlich. So hat SystemIQ kultiviertes Fleisch und alternative Proteine für den Einsatz in öffentlichen Einrichtung vorgeschlagen und als Super-Kipppunkt bezeichnet. Die Boston Consulting Group hat alternative Fleisch- und Milchprodukte als „größte ungenutzte Klimachance“ hervorgehoben.
Bei der aktuellen Analyse vom Büro für Technikfolgen zu kultiviertem Fleisch geht es um das Potenzial für den Klima, Umwelt und Gesundheit, aber auch um technische und regulatorische Herausforderungen bis zur Marktreife.
Herausforderungen zellkulturbasierter Produktion
Die wesentlichen Herausforderungen von zellkultiviertem Fleisch liegen einerseits in der Kostenstruktur und andererseits bei einzelnen, technischen Herausforderungen. So werden unterschiedliche Kosten aus Studien zitiert, die zwischen 6,43 Dollar pro Kilogramm kultiviertes Fleisch bis zu 116 Dollar liegen. Bislang sind die Fleischprodukte also noch nicht wettbewerbsfähig – auch nicht bei Einkalkulation der Massenproduktion. Kostensenkungen etwa bei Nährmedien sind perspektivisch zu erwarten.
Daneben gibt es noch technische Schwierigkeiten bei der Optimierung der Textur und der Dichte zellkultivierter Fleischprodukte, aber auch bei deren Farbe und Marmorierung. Neuere Technologien wie die von Project Eaden zeigen, dass die Industrie hieran arbeitet. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Entwicklungs- und Herstellungsverfahren noch deutlich weiterentwickelt und verbessert werden müssen, bevor eine Markteinführung realistisch erscheint.
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Die Perspektiven zellkultivierter Fleischproduktion sind sehr groß – allerdings muss die Technologie noch als in einer frühen Umsetzungsphase angesehen werden.
Öffentliche Förderung für künstliche Alternative
Andere Länder, wie beispielsweise die Niederlande, investieren bereits in ein Ökosystem rund um zelluläre Landwirtschaft. In den USA finanziert das Landwirtschaftsministerium ein Forschungszentrum für kultiviertes Fleisch und der US-Präsident hat erlassen, Innovationen wie kultiviertes Fleisch stärker zu fördern. Israel hat kultiviertes Fleisch und andere alternative Proteinquellen zur zweitwichtigsten nationalen Forschungspriorität erklärt, 18 Millionen US-Dollar in ein Forschungskonsortium für kultiviertes Fleisch investiert und ein neues Forschungszentrum angekündigt. Und erst vor wenigen Tagen hat der Premierminister von Japan erklärt, kultiviertes Fleisch voranbringen zu wollen.
Deutschland ist hingegen bei der Forschungsförderung von Biotechnologie allgemein gut aufgestellt – investiert aber im Vergleich zu den genannten Ländern in deutlich geringerem Umfang in die Entwicklung zellkulturbasierter Produkte. Der Think Tank für kultiviertes Fleisch, Good Food Institute Europe, fordert daher eine deutliche Ausweitung der Forschungsförderung und beispielsweise die Gründung eines öffentlich finanzierten Forschungszentrums.
Ein weiterer, wichtiger Schritt wäre, Unternehmen bei der Skalierung ihrer Produktion bei Infrastruktur-Investitionen zu unterstützen. Denn grundsätzlich habe Deutschland alle Voraussetzungen, um bei zellkultiviertem Fleisch ein globaler Innovationsführer zu werden wie beispielsweise die passende Forschungslandschaft und eine Reihe vielversprechender Startups im Bereich der Zellkultivierung.
Politische Reaktionen zu In-Vitro-Fleisch
Die Ampel-Koaliton hat sich bereits im Koalitionsvertrag für kultiviertes Fleisch aus dem Labor stark gemacht. Mit dem neuen Bericht an den Bundestag sowie den verstärkten Anstrengungen anderer Länder beim Thema zellkulturbasierte Ernährung könnte eine neue Dynamik anbrechen.
Für die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast ist die Schlussfolgerung aus dem Bericht klar: „Auch wenn es nicht allen schmeckt: Deutschland muss heute schon die Proteine der Zukunft fördern“, so die Bundestagsabgeordnete. „Wir diskutieren sehr viel über die Zukunft der Tierhaltung, aber noch viel zu wenig über pflanzliche und alternative Proteine, Präzisionsfermentation oder auch kultiviertes Fleisch.“ Es gehe dabei auch um viele Arbeitsplätze gerade im ländlichen Raum. Gesundheit, Tierschutz und effiziente Nutzung von Ressourcen seien dabei zentral. „Deutschland darf nicht den Anschluss verlieren, deshalb müssen wir jetzt auch bei der Ernährung mehr Zukunft wagen mit einer Strategie für Proteine der Zukunft.“
„Ohne öffentliche Investitionen droht Deutschland, bei diesem vielversprechenden Ansatz für den Klima-, Gesundheits- und Tierschutz den Anschluss zu verlieren. Daher ist es eine sehr gute Nachricht, dass sich nun erste Stimmen aus der Regierungskoalition für eine engagierte Strategie für Proteine der Zukunft einsetzen.”
Ivo Rzegotta, Senior Public Affairs Manager Deutschland bei GFI Europe
Was Winston Churchull über Cultured (kultiviertes) Meat sagte
„Wir werden von dem Aberwitz abkommen, ein ganzes Huhn zu züchten, um die Brust oder den Flügel zu essen, und diese stattdessen in einem geeigneten Medium züchten.“
Winston Churchill im Jahr 1932
Die wichtigsten Fragen & Antworten im Überblick
Wie funktioniert In-Vitro?
Zellkulturbasierte Fleischproduktion sind Alternativen zur heutigen Schlachtung von Tieren. Bei kultiviertem Fleisch werden Muskelstammzellen am lebenden Tier entnommen und vermehrt. Dieser Prozess ist mit einer Blutentnahme zu vergleichen. Anschließend wächst das Fleisch in Bioreaktoren unter Hinzugabe von Nährmedien.
Wie gesund ist Cultured Meat?
Zellkultiviertes Fleisch ist im Hinblick auf die Gesundheitswirkungen bislang schwer zu beurteilen, da es in der EU noch keine Zulassung gibt. Herstellerstudien geben Anhaltspunkte, dass Laborfleisch wesentlich gesünder ist als herkömmliches Fleisch. Zulassungen in den USA oder Singapur deuten ebenfalls darauf hin: Behörde FDA hat kultiviertes Hähnchenfleisch als sicher bewertet.
Was sind die Nachteile?
Einer der größten Nachteile sind heute noch die hohen Kosten. Durch disruptive Entwicklung und Skalierung der Produktion werden diese sich aber in wenigen Jahren relativien.
Martin Ulrich Jendrischik, Jahrgang 1977, beschäftigt sich seit mehr als 15 Jahren als Journalist und Kommunikationsberater mit sauberen Technologien. 2009 gründete er Cleanthinking.de – Sauber in die Zukunft. Im Zentrum steht die Frage, wie Cleantech dazu beitragen kann, das Klimaproblem zu lösen. Die oft als sozial-ökologische Wandelprozesse beschriebenen Veränderungen begleitet der Autor und Diplom-Kaufmann Jendrischik intensiv. Als „Clean Planet Advocat“ bringt sich der gebürtige Heidelberger nicht nur in sozialen Netzwerken wie Twitter / X oder Linkedin und Facebook über die Cleanthinking-Kanäle ein.